Lange, gepflegte Haare, ein Puppengesicht, iPhone-Selfies und ein Zitat über die Liebe zum Kaffee – ein scheinbar gewöhnliches Tinder-Girl.
So sahen die Profile der 26-jährigen Sofia und der 24-jährigen Anastasia aus Moskau aus. Daran schien nichts Verdächtiges zu sein, aber es stellte sich heraus, dass sie Mitglieder und das erste Glied in einem großangelegten Betrugsschema waren, um Männern auf Tinder Geld aus der Tasche zu ziehen. Der Autor des Blogs Tinder Prom auf der Website TJ wurde Opfer eines solchen Betrugs. Er beschloss, herauszufinden, wer dahintersteckt und wie das Schema funktioniert.
Verabredung und ein fingiertes Date
Schon während sie chatten beginnt Sofia über ihre Geschäfte zu sprechen – sie besitze einen Schönheitssalon in der Schweiz und reise nur in einem Luxusauto mit persönlichem Fahrer durch Moskau. Wegen der häufigen Flüge hat sie kein Privatleben, weshalb sie eine Liebesbeziehung über die App suche und sich so schnell wie möglich treffen möchte.
Der Chat verlagert sich auf WhatsApp und die junge Frau bietet unaufdringlich an, sich unweit des Zentrums von Moskau zu treffen. Am Tag des Dates ruft sie von einer unbekannten Nummer aus an und fährt in einem BMW mit Blaulicht vor (in Russland sind solche Lichtsignale nur einer begrenzten Anzahl von Beamten und Vertretern der Geheimdienste vorbehalten).
„Sie sah beeindruckend aus, erzählte aber eine dubiose Geschichte, dass sie das alles angeblich von ihrem Papa bekommen habe, der Abgeordneter sei“, so der Autor des Blogs.
Während des Spaziergangs führt die junge Frau ihr Opfer in ein Café – im konkreten Fall war ein gewisses „Meeresrestaurant“ mit „geschmacklosem und vulgärem“ Interieur ohne einen einzigen Gast. Das Mädchen erklärt, dass sie nur Essen zum Mitnehmen bestellen möchte, trinkt aber sogleich zwei Gläser Champagner. Nach einer Weile bringt der Kellner die Rechnung mit einem Betrag, der deutlich über dem Durchschnitt Moskauer Cafés liegt.
„Trotz des überhöhten Betrags stimmte ich zu, zu zahlen, bat aber um eine detaillierte Abrechnung – ich bekam eine mit Hand geschriebene Rechnung, auf der ein Glas Champagner, den das Mädchen bestellt hatte, mit 7.000 Rubel (77 Euro) veranschlagt worden war“, schrieb das Opfer in seinem Blog.
Etwas später habe die junge Frau ein weiteres Glas bestellte – diesmal bereits für 9.000 Rubel (100 Euro). Der Blogger weigerte sich, dafür zu bezahlen, also gab sie vor, selbst die Rechnung zu begleichen. Kurz darauf habe sie etwas Dringendes zu erledigen gehabt – sie habe ihrem Vater, dem Abgeordneten, wichtige Dokumente zu überbringen.
„Sie nahm die Tüte mit den Speisen mit; es bleibt jedoch ein Rätsel, ob sich in der Tüte wirklich Essen befand“, erklärte das Opfer.
Gruppen-„Business“
Mithilfe eines Services, der den tatsächlichen Namen der Nutzer von Kommunikationsdiensten ermittelt, fand der Blogger heraus, dass „Sofia“ in Wirklichkeit Jekaterina Newasowa heißt. Unter ihrem echten Namen betreibt sie einen Kanal auf TikTok und über die russische Kleinanzeigen-Website Awito sucht sie nach anderen jungen Frauen, um Männer in Cafés zu locken. Jekaterina nennt diesen Job „Hostess für eine Restaurantkette“. Solche „Hostessen“ verdienen lediglich 10 - 15 % dessen, was die Männer zu berappen haben; der „spendabelste“ Kunde zahlte 160.000 Rubel (1.770 Euro) für Wein und Champagner, schrieb der Blogger mit Verweis auf den Bericht einer der „Hostessen“.
Später fand der Blogger noch weitere Inserate, sowie deren Autoren. Als einer der Organisatoren dieser Betrugsmasche entpuppte sich Pjotr Schalin, der junge Frauen für die Arbeit in eben jenem „Meeresrestaurant“ suchte. Pjotr selbst bezeichnet sich als Millionär, aber der Blogger fand heraus, dass Pjotr Schulden in Millionenhöhe hat. Das Foto zeigt Pjotr in genau diesem Restaurant.
Den Besitzer des mondänen Etablissements Rintschin Baldanow fand der Blogger ebenfalls über ein Inserat – Baldanow schrieb auf seiner Seite im sozialen Netzwerk VKontakte, dass er aus dem „Moskau der Diebe“ stamme und Mitglied der Community Klassische Betrüger sei.
Nach dem Studium der Profile dieser beiden Männer in den sozialen Netzwerken fand das Opfer mehr als 15 Betrüger, die dieses Schema verwenden. Während sie sich im Internet als Geschäftsleute bezeichnen und Fotos in Markenkleidung mit Nobelkarossen vom Typ Mercedes und BMW mit immer denselben Nummernschildern posten, stecken die meisten von ihnen ebenso bis über die Ohren in Schulden. Aus öffentlich zugänglichen Datenbanken kann man erfahren, dass die Betrüger die Autos geleast hatten.
Die meisten Mitglieder dieses Betrugsschemas haben ihre Profile geschlossen, nachdem ihre Identität öffentlich gemacht wurde.
Laut dem Autor der Untersuchung findet man auf Anzeigenseiten Dutzende von Inseraten, in denen „Hostessen“ für das Restaurant gesucht werden, in dem er in die Falle getappt war. Es ist unmöglich, genau zu berechnen, wie viele Menschen in Moskau und anderen russischen Städten nach diesem Schema arbeiten.
Zusätzlich zu den Ermittlungen gelang es dem Autor des Blogs jedoch, einen weitere „Hostess“ zu enttarnen. Die zweite Frau, „Anastasia“, heißt in Wirklichkeit Milena Popowa.
„Als ich das zweite Mal mit dieser Betrugsmasche zu tun hatte, vereinbarte ich ein Treffen und tat so, als ginge ich zu dem Date, blieb aber in Wirklichkeit zu Hause. Als „Anastasia“ von ihrer persönlichen Nummer anrief und sagte, sie sei mit ihrem Mercedes vorgefahren, antwortete ich, dass ich nicht auf sie gewartet habe und schon losgegangen sei“, erzählte der Blogger von Tinder Prom.