Russische Restaurants wegen Werbung dunkelhäutigen Models verfolgt – was ist da los?

Innerhalb einer Woche wurden zwei russisch-asiatische Restaurantketten in den sozialen Medien angefeindet, nachdem sie Werbeanzeigen mit dunkelhäutigen Männern veröffentlicht hatten. Die Hate-Kommentare und Drohungen kamen von Personen aus der gleichen Community.

Ein dunkelhäutiger Mann, umgeben von drei europäisch aussehenden jungen Frauen, die Nigiri, Maki und Nudeln essen – ein Werbefoto mit diesem Motiv postete die Sushi-Lieferkette JóbiDojóbi am 14. August 2021 im sozialen Netzwerk VKontakte.

Die Anzeige gefiel Wladislaw Posdnjaków, dem Gründer der russischen Bewegung Мужское государство (Muschskóje gasudársto, dt. männlicher Staat), offensichtlich nicht. Die Mitglieder der Community propagieren die Ideen des Patriarchats und des Nationalismus. Auch belästigen und bedrohen sie oft Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen, z. B. Models, weil sie in einem Musikvideo des Rammstein-Sängers Till Lindemann nackt zu sehen sind, russische Frauen wegen ihrer Beziehungen zu Männern anderer Ethnien oder Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft wegen ihrer sexuellen Orientierung. Posdnjakóws Community und sein Account wurden bereits in den russischen sozialen Netzwerken Vkontakte und TikTok gesperrt – er betreibt nun einen Kanal im Messenger Telegram mit 95.000 Abonnenten.

Wladislaw Posdnjakow

Posdnjaków forderte seine Anhänger auf, in 65 russischen Städten Fake-Bestellungen an zufällig ausgewählte Adressen ohne Vorauszahlung aufzugeben, um dem Unternehmen Verluste zu bescheren. Darüber hinaus begannen die Abonnenten, negative Bewertungen auf allen Bewertungsseiten im Netz, auf Online-Karten und in den Apps von iOS- und Android-Nutzern zu schreiben, während die offizielle Website Opfer von Cyberangriffen wurde. Der Telegram-Kanal ließ auch die Telefonnummern und Social-Media-Kontakte der Models aus den Werbespots und des Gründers des Lieferdienstes, Konstantin Simen, durchsickern – er erhielt daraufhin Drohbriefe und -anrufe. Simen ging zur Polizei, versprach aber, das Werbefoto nicht zu entfernen.  

„Viele Marken verwenden Bilder von verschiedenen Models, die sich in Hautfarbe, Geschlecht usw. unterscheiden können. Das ist keine Provokation, das ist einfach die Stimme der Zeit. Es tut mir leid, wenn jemand das Foto eines dunkelhäutigen Mannes (insbesondere neben vermeintlich ,slawischenʻ jungen Frauen) im Internet für inakzeptabel hält“, äußerte Simen.  

VKontakte entfernte die Fotos jedoch bald aus der entsprechenden Community und entschuldigte sich ebenfalls. „Im Namen des gesamten Unternehmens möchten wir uns bei der russischen Nation dafür entschuldigen, dass wir mit unseren Fotos Russen verletzt haben. Wir haben alle Inhalte entfernt, die diesen Rummel verursacht haben“, erklärte das Unternehmen.  

Am 29. August griff der „männliche Staat“ in ähnlicher Weise eine andere japanische Restaurantkette, Tanuki, wegen Fotos mit gleichgeschlechtlichen Paaren und dunkelhäutigen Models an.

„Warum werben Sie für diesen ,Russenʻ? Sind wir in Afrika?“, „Wenn sie eure Cafés dichtmachen, dann werdet ihr lernen, wie man im Heiligen Russland für Sodomie wirbt!“ – so lauteten die Kommentare der Mitglieder des „männlichen Staats“.  

Aufgrund dieser Angriffe deaktivierte Tanuki die Option, Bestellungen in bar bei Lieferung zu bezahlen, um die Zahl der Fake-Bestellungen zu verringern. Die Website der Kette funktionierte vorübergehend nur mit Unterbrechungen. Bei den Strafverfolgungsbehörden in Moskau gingen Anrufe mit falschen Bombendrohungen gegenüber Tanuki-Einrichtungen ein. 

Der Betrieb der Restaurants läuft normal weiter. „Tanuki hat die Fotos mit dem dunkelhäutigen Model nicht entfernt und sogar ein neues, ähnliches Foto veröffentlicht. Das Management der Kette bat auch Telegram-Gründer Pawel Durow und das russische Ministerium für digitale Entwicklung, Kommunikation und Massenmedien, alle Kanäle von Posdnjakows „männlichem Staat“ zu sperren.
„Der nicht-männliche Nicht-Staat hat die Falschen angegriffen. <...> Unsere Fotos in den sozialen Medien werden auch weiterhin schöne Menschen verschiedener Religionen, Nationalitäten, Ethnien und Orientierungen zeigen. Wir sind uns sicher: Keines dieser Attribute ist entscheidend für eine Person. Das Gute und das Schlechte gibt es, unabhängig davon, überall“ erklärte Tanuki.

Reaktion der sozialen Medien und der Behörden

Unterdessen starteten Tanuki-Kunden eine Social-Media-Kampagne mit dem Hashtag #JaMyTanuki (IchWirTanuki) und forderten öffentlich die Sperrung der Community und des Kanals des „Staatengründers“. In Posts in den sozialen Medien schrieben die Nutzer folgende Kommentare:

„Schaut euch die extremistischen Inhalte auf den Telegram-Kanälen an! Ist diese Diskriminierungs- und Rassismus-Rhetorik heutzutage tatsächlich noch möglich?“;

„Das geschieht ihnen Recht, diesen mittelalterlichen Teufeln! Langfristig, im Rückblick betrachtet, gewinnen immer Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“;

„Heute Abend bestellen mein Freund und ich Sushi im Tanuki.“

Einige anonyme Blogger glauben, dass es sich bei der ganzen Situation nur um bezahlte PR handelt. „Ach Gott, Mädels! Ihr werdet verarscht, wie Hohlbirnen. Den Post haben sie bei Posdnjakow in Auftrag gegeben, und selbst treten sie als Nachrichtenaggregator nicht in Erscheinung. Niemand braucht Tanuki und deren armen Neger. IS/AA [der Inhalt ist Scheiße, der Autor ein Arschloch – Anm. d. Übers.], wie man in unserer Kindheit zu sagen pflegte“,  schreibt der Autor des  Telegrammkanals Беспощадный пиарщик (Bespaschádnyj piárstschik, dt.: gnadenloser Meinungsmacher).

Darüber hinaus forderte die Duma-Abgeordnete Oksana Puschkina den Generalstaatsanwalt Igor Krasnow auf, die Aktivitäten der Bewegung Männlicher Staat zu überprüfen.  

Auch der russische Präsidentensprecher Dmitri Peskow äußerte sich zu dem Skandal. „Wenn es Handlungen gibt, die zu einem Verstoß gegen das Gesetz führen, und wenn es entsprechende Anzeigen gibt, dann sollten die Behörden natürlich reagieren“, sagte Peskow.

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