Wie viele Lebensmittel werden in Russland verschwendet?

Vernichtung sanktionierter Lebensmittel auf der Deponie der Region Orenburg.

Vernichtung sanktionierter Lebensmittel auf der Deponie der Region Orenburg.

Sergej Medwedew / TASS
Im Umgang mit Lebensmitteln sind die Russen ressourcenschonend.

In einer kürzlich von Bosch erstellten Rangliste wurde untersucht, welche Länder jedes Jahr die meisten Lebensmittelabfälle produzieren. China, Indien und die USA waren dabei die schlimmsten Verursacher, während Russland mit nur 33 kg pro Kopf zu den einfallsreichsten Nationen in Sachen Lebensmittelverwertung gehört. Warum ist das so?

Doch zunächst einmal: Warum ist das Wegwerfen von Lebensmitteln so schlecht für die Umwelt?

Eine Charge sanktionierter europäischer Produkte (Pfirsiche) während der Zerstörungsmaßnahmen von Rosselchosnadzor auf einer Deponie in der Region Brjansk.

Wir alle wissen, dass es moralisch falsch ist, Lebensmittel wegzuwerfen, wenn es immer noch so viel Hunger auf der Welt gibt. Aber in den letzten Jahren ist ein weiteres großes Problem der Lebensmittelverschwendung aufgetaucht: ihre Auswirkungen auf die Umwelt.

Lebensmittelabfälle, die auf Mülldeponien landen, erzeugen beim Verrotten große Mengen an Methan - ein Treibhausgas, das 80-mal stärker ist als CO2. Und da 70 Prozent des weltweit verbrauchten Wassers auf die Landwirtschaft entfallen, sind Lebensmittelabfälle auch eine große Verschwendung von Süß- und Grundwasserressourcen. Außerdem werden jedes Jahr Millionen Liter Öl verschwendet, um Lebensmittel zu produzieren und zu transportieren, die nicht gegessen werden. 

Warum schneidet Russland so gut ab? 

Ein Kunde im Hypermarkt Auchan in Nowosibirsk.

Wir sprachen mit Experten, die von den Ergebnissen des Bosch-Rankings zunächst ziemlich überrascht waren.

„Wow, wirklich? Wir sind beeindruckt“, sagte Anna Balachonzewa vom Öko-Catering-Unternehmen Eda Spaset Mir (Essen wird die Welt retten), als wir sie um einen Kommentar baten.

Balachonzewa ist der Meinung, dass dies eine Folge der Kriegsjahre und der 1990er Jahre sein könnte, einer Zeit, die in Russland von Armut und Hunger geprägt war. Die heutigen Erwachsenen in Russland wurden von Menschen erzogen, die mit Lebensmitteln haushalten mussten.

„Wir haben viele Rezepte von unseren Babuschkas geerbt, wie man einige Produkte, die oft als ungenießbar oder nicht zum Verzehr geeignet gelten, doch noch nutzen kann“, fügt Balachonzewa hinzu.

Anna Uspenskaja, Gründerin von Foodsharing Moskau, stimmt zu, dass die Erinnerung an den Hunger im Krieg bei vielen Menschen noch präsent ist. Sie meint zudem, dass der Lebensstandard in Russland - und in der gesamten GUS-Region - noch nicht hoch genug sei,  als dass sich die Menschen den Luxus leisten wollten, Lebensmittel wegzuwerfen. 

Eine von Studenten der Moskauer Higher School of Economics durchgeführte Studie verweist auch auf Faktoren wie die Gleichsetzung des Wegwerfens von Lebensmitteln mit dem Wegwerfen von Geld, auf eine Kultur, in der Lebensmittel als das Ergebnis der Arbeit anderer betrachtet werden (und Lebensmittelverschwendung daher als respektlos gegenüber den Bemühungen anderer angesehen wird), auf einen Trend zu ethischem und nachhaltigem Konsum unter den jüngeren Stadtbewohnern oder auf orthodoxe christliche Werte, die Lebensmittel als heilig betrachten.

Ist die Situation wirklich so gut, wie es scheint?

Einen weiteren Grund für das gute Abschneiden Russlands in diesem Ranking sieht Balachonzewa in schlechten Statistiken.

„Um Russland richtig zu erforschen, muss man jede Stadt besuchen und in jeder mindestens 100 Menschen befragen. Und ich möchte, dass jeder versteht, dass wir in Russland zwar weniger Lebensmittel wegwerfen, aber immer noch zu viele“, erklärt Balachonzewa.

Vernichtung von Tomaten, die an der russisch-weißrussischen Grenze auf einer Deponie in der Nähe des Dorfes Gusino in der Region Smolensk festgenommen wurden.

Vielleicht schneidet Russland im Vergleich zu anderen Ländern gut ab, aber das bedeutet nicht, dass es eine Vorzeigegesellschaft ist, was die Vermeidung von Lebensmittelabfällen angeht. Jährlich werden weltweit etwa 884 Millionen Tonnen produzierter Lebensmittel weggeworfen, 17 Millionen davon stammen aus Russland. 

Einem Bericht des TIAR-Zentrums über Lebensmittelverschwendung zufolge landen in Russland fast alle weggeworfenen Lebensmittel (94 %) auf Mülldeponien, wo sie zu einer Quelle der Boden-, Wasser- und Luftverschmutzung werden. Etwa 2,4 Millionen Tonnen Methan werden durch Lebensmittelabfälle in Russland freigesetzt, ebenso wie andere Gase wie Ammoniak und Schwefelwasserstoff. Zusätzlich zu den Umweltkosten der Lebensmittelverschwendung kosten weggeworfene Produkte Russland jedes Jahr etwa 1,6 Billionen Rubel. 

Nächste Schritte zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung in Russland

Zum Glück gibt es einige Dinge, die sowohl Verbraucher als auch Unternehmen tun können.

„Zunächst einmal müssen Hersteller und Geschäfte mehr Produkte ohne oder mit einem Minimum an Verpackung oder unter Verwendung wiederverwertbarer Verpackungen anbieten. Die Geschäfte sollten untersuchen, wie viel von einem bestimmten Produkt am ehesten von den Verbrauchern gekauft wird, und auf dieser Grundlage eine Verpackungsgröße für unterschiedliche Bedürfnisse entwickeln. Viele Produkte können in einem abfallfreien Format an die Geschäfte geliefert werden, und die Geschäfte müssen sich generell bemühen, so abfallfrei wie möglich zu sein", erläutert Balachonzewa.

Restaurants, ein weiterer Hauptverursacher von Lebensmittelverschwendung, können ihre Speisekarten reduzieren, um nicht zu viele Produkte zu kaufen und nicht zu viele Gerichte vorzuhalten und weniger Frischhaltefolie und Vakuumbeutel verwenden. Was an Lebensmitteln übrig bleibt, könnte an Foodsharing-Dienste oder an die Mitarbeiter des Betriebs verteilt werden.

Normalverbrauchern rät Balachonzewa, eine gut durchdachte Einkaufsliste zu erstellen und sich beim Einkaufen auch daran zu halten, damit sie nicht zu viel kaufen. Wir sollten auch unsere eigenen wiederverwendbaren Behälter mitbringen und, wenn möglich, das ganze Produkt verwenden. 

„Es ist wichtig, dass in dem Maße, wie das nationale Trauma der Hungersnot im Krieg langsam abklingt und sich der Lebensstandard verbessert, diese Gründe [für geringere Mengen an verschwendeten Lebensmitteln] durch andere, positivere Gründe für die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung ersetzt werden, wie z. B. den Trend zu bewusstem Konsum und ökologischen Werten. Wir können sehen, dass solche Werte jetzt aufkommen, allerdings hauptsächlich bei jungen Menschen, die in Großstädten leben", schließt Uspenskaja.

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