Ausflug in die Rote Zone: Wie in Russland versucht wird, Impfgegner zu überzeugen

Ein Rundgang durch die „Rote Zone“, die COVID-Abteilung eines großen Krankenhauses, Androhung von Strafverfahren und kistenweise Daten kranker Menschen als Argumente – leider führten einige dieser Überzeugungsmittel bei Impfgegnern zu einem Skandal.

Ein Krankenhausflur – Dutzende von Journalisten umringen einen Mann in kariertem Hemd und schwarzer Skimaske, während die Polizei ihn zum Ausgang auf die Straße begleitet. 

„Wir haben vorher bekannt gegeben, dass wir ohne persönliche Schutzausrüstung [in die Rote Zone – Anm. d. Red.] hineingehen, aber wir wurden gezwungen, sie zu tragen“, beschwerte sich der Blogger Sergei Mitjuschin, der alles, was passierte, mit der Kamera aufzeichnete. 

So begann der erste Ausflug russischer Impfgegner in die Coronavirus-Abteilung. 

Auf Telegram und anderen sozialen Netzwerken gibt mehr als zehn russischsprachige Anti-Impf-Gruppen und -Kanäle mit jeweils Zehntausenden von Mitgliedern. Auch einige russische Politiker und Vertreter des Showbiz, die in den sozialen Medien Hunderttausende von Followern haben, rufen offen zur Ablehnung der Impfung auf. Im Jahr 2021 fanden in Moskau, Jekaterinburg und anderen russischen Städten Kundgebungen gegen die Impfpflicht und QR-Codes für Geimpfte und Genesene statt. 

Nach Angaben des Allrussischen Meinungsforschungszentrums (VCIOM) glauben 27 % der befragten Russen nicht, dass die Forderung nach einer Verweigerung der Impfung Leben und Gesundheit gefährden könnte, und der Anteil der Impfgegner in Russland liegt insgesamt bei etwa 15 %. Deshalb organisieren die Ärzte solche „Ausflüge“, um die Impfgegner dazu zu bewegen, ihre Meinung zu ändern und aufhören, Fakenews über das Coronavirus zu verbreiten. 

Wahrheit und Masken gegen Glauben und Penicillin 

Am 24. November 2021 veröffentlichten Ärzte von elf russischen Krankenhäusern einen offenen Brief, in dem sie Impfgegner, darunter einzelne Politiker, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Stars aus dem Showbusiness, einluden, die Roten Zonen der Krankenhäuser zu besuchen und COVID-19-Patienten mit eigenen Augen zu sehen. Die meisten der eingeladenen Medienpersönlichkeiten lehnten den Besuch mit der Begründung ab, sie hätten „schon alles gesehen“ und seien gegen ungetestete Coronavirus-Impfstoffe, eine Impfpflicht und die Einführung von QR-Codes. 

Letztendlich meldeten sich nicht mehr als ein Dutzend Instagram-Blogger zu einem Ausflug in das Moskauer Klinikum Nr. 15 „O. M. Filatow“ an. Unter ihnen waren Maria Stepanowa, deren Mutter im Hospital „Kommunarka“ am Coronavirus starb, Sergej Mitjuschin, der glaubt, dass die Impfpflicht dazu diene, der Pharmaindustrie riesigen Gewinne zu bescheren, und Anton Tarassow, der überzeugt ist, dass es kein Coronavirus gibt und dass Patienten in Krankenhäusern Lungenverätzungen erlitten haben, nachdem angeblich Giftstoffe in die Atmosphäre gesprüht wurden. 

Ein medizinischer Mitarbeiter behandelt einen Patienten in einer Einheit eines temporären COVID-19-Krankenhauses im Sokolniki Exhibition and Convention Center. Moskau, April 2021.

Sie alle weigerten sich, Schutzanzüge, Masken und Handschuhe zu tragen, bevor sie die Rote Zone betraten (mit der Begründung, dass die Ärzte ihnen bei ihrer Anmeldung versprochen hatten, sie ohne Schutzausrüstung hineinzulassen), und eine obligatorische Einverständniserklärung für den Besuch der Station mit COVID-Intensivpatienten zu unterzeichnen. Nur Tarassow hatte vorsichtshalber Chlorhexidin und Antiseptika mitgenommen – er dachte, das würde ausreichen. Letztendlich haben nur zwei Personen, Stepanowa und Mitjuschin, alle Regeln befolgt und sind zu den Patienten gelangt. Beide haben jedoch ihre Meinung über die Impfung nach dem Besuch nicht geändert. 

„Nachdem ich die Rote Zone selbst besucht hatte, äußerte ich den Ärzten gegenüber die Meinung <...>, dass das alles aufhören werde, wenn ihr (Ärzte) kein Geld von den Steuerzahlern mehr bekommt, die Impfungen abbricht und Covid gleich verschwinden werde", schrieb Mitjuschin auf Instagram. 

Stepanowa erklärte, dass alle Patienten, denen sie vorgestellt wurde, glatt rasiert und gut frisiert waren und wie angeheuerte Schauspieler aussahen. Sie war auch der Meinung, dass es zu wenige Patienten in der Roten Zone gab, so dass es ihrer Meinung nach keine Pandemie gibt. 

Moskau, RUSSLAND - 29. MAI 2020: Mitarbeiter bei der Arbeit in der

Der Chefarzt des Krankenhauses, Walerij Wetschorko, sagte seinerseits, dass ein Dialog nicht zustande kam – die Impfgegner lachten und beleidigten die Patienten und boten an, die Kranken mit Penicillin zu behandeln. 

„Wir besuchten die Intensivstation und sahen Patienten, die sowohl an ein Beatmungsgerät als auch an ECMO angeschlossen sind. Es wurden gerade zwei große Operationen durchgeführt und wir haben gezeigt, wie unsere Chirurgen arbeiten... Sie [die Impfgegener – Anm. d. Red.] wollen die Wahrheit absolut nicht wissen“, sagte Wetschorko. 

Statistik versus Unterschriften der Impfgegener

Der Staat versucht auch, die Impfgegener mithilfe von Statistiken umzustimmen. Am 26. November brachte die Abgeordnete der Kommunistischen Partei Irina Poljakowa bei der Diskussion des Gesetzentwurfs über die Einführung von QR-Codes auf öffentlichen Plätzen und in Verkehrsmitteln in der Region in der Regionalen Legislativversammlung von Rostow eine Schachtel mit 5.118 Unterschriften gegen die Annahme des Gesetzes durch die Staatsduma mit. Die Unterschriften wurden innerhalb von drei Tagen in Rostow gesammelt, schreibt 161.RU.

Passagiere an der Station Zwetnoj Bulwar der Moskauer Metro.

„Wir müssen die Bürger anhören <...> Ich bin nicht gegen die Impfung, ich bin für eine vernünftige, kompetente Impfkampagne“, erklärte Poljakowa. 

Alexander Ischtschenko, Vorsitzender des Parlaments und Mitglied der Partei Einiges Russland, forderte daraufhin, drei Kisten mit Daten über die Todesfälle aller Einwohner der Region der anderthalb Jahren der Pandemie zu veröffentlichen.

„Diese Leute [die Verstorbenen – Anm. d. Red.] werden keine Petitionen mehr unterschreiben können. Ich denke, es gibt kaum einen unter ihnen, der Ihren Appell unterschreiben würde <...> Offensichtlich wurden diese [restriktiven] Maßnahmen von Spezialisten entwickelt. Nicht viele Menschen werden sie mögen, sie schränken die Rechte in gewisser Weise ein“, sagte Ishchenko. 

Am Ende unterstützten die Abgeordneten den Gesetzentwurf. 

Sperrung von Fakenews und Androhung von Strafverfahren 

Eine andere Methode besteht darin, Fakenews über das Coronavirus im Internet zu blockieren und nach Impfgegnern zu suchen. 

So wurden beispielsweise auf Ersuchen der staatlichen Aufsichts- und Zensurbehörde für Massenmedien Roskomnadsor seit Anfang 2021 ca. 3.500 Websites mit COVID-19-Fakenews aus dem Runetentfernt. 

Ebenfalls am 1. November 2021 wies der Föderale Dienst für Gesundheitsüberwachung Rossdrawnadsor die Regionen an, die an Anti-Impf-Kampagnen beteiligten Personen ausfindig zu machen und sie der Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsbehörden zu melden. Besonderes Augenmerk sollte auf medizinisches Personal gelegt werden, das „aktiv falsche Informationen über die Schäden einer Impfung gegen das neue Coronavirus verbreitet“. 

Innerhalb eines Monats erhielt die Staatsanwaltschaft Informationen über 37 Bürgerinnen und Bürger, die in den sozialen Medien Anti-Impf-Propaganda betrieben hatten. 

„Wir haben Erklärungen zu den Fakten weitergegeben, als Leute aktiv anderen ihre Meinung aufdrängten, sich nicht impfen zu lassen. Die rechtliche Bewertung wird jedoch von der Staatsanwaltschaft vorgenommen“, erklärte Irina Batschkova, Leiterin der Filiale von Rossdrawnadsor in der Region Wolgograd. 

Es ist geplant, Impfgegner gemäß § 207.1 und § 207.2 des Strafgesetzbuchs zu bestrafen. Der erste Paragraf schlägt eine Bestrafung für die öffentliche Verbreitung wissentlich falscher Informationen unter Umständen vor, die eine Bedrohung für die Sicherheit der Bürger darstellen können – in diesem Fall ist eine Geldstrafe von 300.000 bis 700.000 Rubel oder eine Freiheitsbeschränkung von bis zu drei Jahren vorgesehen. Wenn die gefälschten Informationen zum Tod einer Person oder zu anderen schwerwiegenden Folgen führen, kann der Täter zu einer Geldstrafe von 1,5 bis 2 Millionen Rubel oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt werden.

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