Schlosberg-Haus: Eine bewegende Geschichte der Residenz des deutschen Botschafters in Moskau

Andrey Lyubimov/Moskva Agency/Legion Media
Das Gebäude im Herzen Moskaus, das seit mehr als einem halben Jahrhundert die Residenz des deutschen Botschafters ist, hat alle Turbulenzen des 20. Jahrhunderts überstanden und sein ursprüngliches Aussehen bewahrt.

Die Straße, die noch Zaren sah

In der Powarskaja-Straße, einer der schönsten im Moskauer Zentrum, befindet sich eine Stadtvilla mit Garten. 1910 im Stil der italienischen Renaissance errichtet, beherbergt dieses Gebäude heute die Residenz des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Russland. 

Ihren heutigen Namen - Powarskaja (zu Deutsch Kochstraße) - trägt die Straße seit dem 17. Jahrhundert, als dort eine Siedlung des Hofes untergebracht wurde. Hier lebten die für die Festgelage des Zaren zuständigen Köche und das Gesinde des Zaren, was auch in den Bezeichnungen der angrenzenden Gassen zum Ausdruck kommt - Chlebnyj pereulok (Brotgasse), Stolowyj pereulok (Tischgasse), Noschowyj pereulok (Messergasse) usw.

Powarskaja vor der Revolution 1917.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts während der Regierungszeiten von Peter dem Großen wurde die Hauptstadt nach Sankt Petersburg verlegt. Der Zarenhof musste ebenso umziehen und daher wurde die Powarskaja-Siedlung aufgelöst. Aber ein wesentlicher Teil ihrer Anwesen verblieb im Besitz des Adels. 

Große Herrenhäuser prägten ab dem Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts das Gesicht der Straße. In seinem Roman „Krieg und Frieden“ erwähnt Lew Tolstoj, dass das Moskauer Anwesen der Familie Rostow in dieser Straße gestanden habe. Bis heute ist das Haus der Fürsten Dolgoruki in der Powarskaja, 52, das als Prototyp für das Rostow-Anwesen im Roman von Tolstoi diente, als „Haus der Rostows“ bekannt. 

Die Straße bewahrte zwar ihren aristokratischen Charakter, erlebte aber im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Veränderungen, die auch Neuerungen im Hinblick auf ihr architektonisches Erscheinungsbild mit sich brachten. Adelssitze wechselten in die Hände des Großbürgertums, das anstelle der Stammsitze der Vorbesitzer neue repräsentative Villen nach der neuen architektonischen Mode errichten ließ.

1924 wurde die Straße zum Gedenken an den sowjetischen Diplomaten Wazlaw Worowski umbenannt. Ihren historischen Namen erhielt sie 1994 zurück.

Der letzte Eigentümer 

Das Haus mit dem Grundstück hat eine lange und interessante Geschichte. Seine zahlreichen Besitzer, die im Laufe der Jahrhunderte wechselten, gestalteten das Gebäude und den Garten im Einklang mit dem jeweiligen Geschmack ihrer Zeit. 

Jakow Schlosberg, der letzte Besitzer, wurde 1862 in Lodz, dem Zentrum der polnischen Textilindustrie, geboren. Sein Vater, Maximilian (Mendel Hirszowicz) hatte ein eigenes Handelskontor für Baumwolle aus Mittelasien -  sein Geschäft florierte und expandierte. Mitte der 1880er Jahre eröffnete er Niederlassungen seines Unternehmens in Moskau und St. Petersburg, deren Leitung ab 1888 seine Söhne Jakow und Boris übernahmen. Jakow hatte 1885 mit Auszeichnung die Polytechnische Schule zu Riga absolviert und übernahm die Leitung der Moskauer Filiale, Boris führte die Geschäfte in St. Petersburg. 

Kaufmann Schlosberg ließ an der Ecke von Skarjatinski-Gasse und Powarskaja-Straße das heute bestehende Gebäudeensemble errichten. Er wandte sich an den Architekten Alfred Seligson. 1913 bezogen Schlosberg und seine Frau Jelen das Haus in der Powarskaja. Leider wohnte die Familie Schlosberg hier nicht lange: Nach der Revolution 1917 mussten sie Russland verlassen und wieder in ihrer Heimatstadt Lodz in Polen ziehen.

Sowjetische Zeit

Nach der Revolution im Oktober 1917 wurde Schlosbergs Villa wie auch viele andere Adelssitze verstaatlicht. Unmittelbar nach der Zurückverlegung der Hauptstadt von St. Petersburg nach Moskau, beherbergten die ehemaligen Adels-Stadtvillen die wichtigsten Institutionen des jungen sowjetischen Staates oder die Wohnsitze seiner Führer. 

In den Jahren des Bürgerkriegs, der nach der Revolution folgte, wurden die Gebäude vieler Moskauer Villen willkürlich von Anarchisten besetzt. Der Kampf gegen dieses Banditentum war eine der Hauptaufgaben des Volkskommissariats für Staatssicherheit (Vorläufer der KGB) unter der Leitung von Felix Dserschinski.

Am 14. März 1918 versuchten Anarchisten, das ehemalige Haus von Jakow Schlosberg zu besetzen. Es handelte sich um eine Petrograder Guerillaeinheit von Anarchosyndikalisten, die mit dem Zug aus der ehemaligen Hauptstadt angereist war. Während der Beschlagnahmung räumte das Kommando das Haus, in dem zuvor die Kommission „Milch für Kinder“ untergebracht war. Sie hatte Milch an die Kinder von einkommensschwachen Moskauern geliefert. Als die Moskauer Anarchisten erfuhren, was geschehen war, befahlen sie dem Petrograder Kommando, das Haus sofort zu verlassen. 

Britische Mission in der Powarskaja-Straße, 1927.

Mitte der 1920er Jahre wurden mehrere Häuser in der Powarskaja-Straße an Botschaften ausländischer Länder vermietet, die Sowjetrussland anerkannten. Das ehemalige Herrenhaus Schlosberg war eines der ersten: 1923 bezog Großbritannien dort seine Residenz. Mitte der 1930er Jahre zog die britische Botschaft aus, doch das Konsulat blieb für einige Zeit in der Powarskaja-Straße.

Während des Zweiten Weltkriegs war hier der Sitz des Lend-Leas-Koordinierungsrates, der Lieferungen aus den USA an die westlichen Alliierten und die UdSSR verteilte. 

Nach dem historischen Besuch von Konrad Adenauer in Moskau im September 1955 und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern wird das Haus seit 1956 als Sitz des deutschen Botschafters bis heute genutzt.

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der ehemalige Präsident der Sowjetunion Michail Gorbatschow treffen sich in der Residenz des deutschen Botschafters in Moskau, 25. Oktober 2017.

Trotz verschiedener Hausherren in den vergangenen Jahrzehnten bewahrte das Gebäude den Geist der Gastfreundschaft. Die ehemalige Schlosberg-Stadtvilla war stets ein wichtiger Treffpunkt für hochrangige Politiker, Geschäftsleute und Künstler beider Länder. 

Der Schmuck der Residenz

In der heutigen Einrichtung der Residenz gibt es vieles, das auf die historischen jahrzehntelangen Verbindungen der beiden Länder hinweist.

Vestibül und Treppe. Im Vestibül, links und rechts neben der Eingangstür stehen Bronzebüsten von Alexander von Humboldt und Justus von Liebig. Die beiden Skulpturen sollen an die enge wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland im 19. Jahrhundert erinnern.

Die Büste von Alexander von Humboldt erinnert an jene engen Verbindungen, die er zu Russland pflegte, und an den erheblichen Einfluss, den seine Reise 1829 durch Russland und Sibirien hatte. 

Dank seiner Entdeckungen in Chemie und deren Bedeutung für die Landwirtschaft Russlands wurde Justus von Liebigs 1862 Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg.

Die Halle im Erdgeschoss. Die Halle, um die alle Zimmer der Beletage angeordnet sind, spielt als kompositorisches Zentrum eine Rolle. Die Wände der Halle sind mit Holzpaneelen vertäfelt. Der prachtvolle Kamin ist mit einem hölzernen Schmuckrahmen eingefasst. Seine ursprüngliche Gestalt wurde während der Restaurierungsarbeiten in den Jahren 2000 bis 2001 wiederhergestellt.

Im geräumigen Foyer im Erdgeschoss hängt ein Porträt von Otto von Bismarck. Es ist vermutlich eines der letzten, das zu Lebzeiten Bismarcks vom Künstler  Franz von Lenbach im Jahr 1897 geschaffen wurde. Das Gemälde wurde 1968 vom deutschen Botschafter Helmut Allardt aus Beständen des Auswärtigen Amtes mitgebracht und befindet sich seitdem in Moskau.  Laut einigen Quellen befand sich dieses Portrait bis 1935 in Bismarcks ehemaligem Arbeitszimmer in der alten Reichskanzlei.

An der gleichen Wand hängt ein Portrait von Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst (1729-1769), die 1762 den russischen Thron als Katharina II. bestieg. Diese Kopie von der berühmten Originalarbeit des Hofmalers Fjodor Rokotow wurde 1996 für die Residenz anlässlich des 200. Todestages der Herrscherin gefertigt.

Ein Portrait von Friedrich Werner Graf von der Schulenburg, dem ehemaligen Botschafter in der UdSSR in den Jahren 1934-1941, wurde auf der Grundlage seiner Fotografie geschaffen. Es hängt gegenüber dem Bildnis Katharinas der Großen.

Musiksalon und Gesellschaftszimmer. Die verglasten Türen in der Halle zu beiden Seiten des Kamins führen in den Musiksalon und den benachbarten Gesellschaftsraum.

Die beiden Räume schmücken einige Bilder und Skulpturen. Die Frauenfiguren stellen Königin Katharina von Württemberg (1780- 1819) dar, eine Tochter des russischen Zaren Paul I., und Ehefrau von Wilhelm I. Sie war die Begründerin der landwirtschaftlichen Universität in Stuttgart (heute Universität Hohenheim) und des Königin Katharina-Stifte für Mädchen. Die zweite Büste verkörpert die Frau des russischen Zaren Nikolaus I., Alexandra Fjodorowna (1798-1860), die als Prinzessin Charlotte von Preußen und Tochter des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. und der Königin Luise geboren wurde. Ihr Sohn Alexander II. ging in die russische Geschichte dank seiner Reformen und der Aufhebung der Leibeigenschaft ein. 

Leonid Pasternak: Porträt von Rainer Maria Rilke, gemalt 1928, zwei Jahre nach dessen Tod.

Eine besondere Episode aus der deutsch-russischen Geschichte verbindet sich mit dem Bild „Rilke in Moskau“. Der deutsche Dichter besuchte Russland zweimal um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und blieb dem Land, seinen Menschen und seiner Kultur zeitlebens tief verbunden. Unter den Persönlichkeiten, denen er begegnete, war der Maler dieses Porträts, das den Künstler vor dem Kreml zeigt: Leonid Pasternak, der Vater des Schriftstellers Boris Pasternak. Das Bild hing ursprünglich im Amtssitz des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue in Berlin, und kam 2017 auf Initiative des damaligen Botschafters Rüdiger von Fritsch in die Residenz.

Die Bibliothek. Aus der Halle gelangt man in die Bibliothek, die ebenso vollständig mit Holz verkleidet ist. Der Raum hat sein ursprüngliches Aussehen beinahe vollständig bewahrt, und auch die Original-Eichenpaneelen an den Wänden sind in einem guten Zustand. 

Eines der Portraits in der Bibliothek zeigt Friedrich-Joseph Haass (1780-1853), den „heiligen Doktor“. Seit 1806 stand er in russischen Diensten und arbeitete als Heereschirurg während des Krieges gegen Napoleon. Als Chefarzt der Moskauer Gefängnisse widmete er seine Anstrengungen und sein Vermögen der Erleichterung des Schicksals der Gefangenen. Haass wurde auf dem Wwedenskoje-Friedhof in Moskau beerdigt. 

Die Barockuhr in einem der Bibliotheksschränke ist ein Exponat des Kunstgewerbemuseums Berlin, das der Residenz zur vorübergehenden Nutzung überlassen wurde.

Das Speisezimmer. Dieser Raum gewinnt beträchtlich durch einen recht geräumigen und tiefen dreieckigen Erker sowie drei Fenster, die das ganze Zimmer wunderbar erhellen. Die Wände des Speisezimmers sind einfach gehalten. 

Die Details der Ausschmückung dieses Raums, die Deckenbalken und das Dekor der Holztüren, sind typisch für Jugendstil und Historismus, der Elemente der mittelalterlichen und nationalen Kunst integrierte.

Der Wintergarten. Der Wintergarten hat einen separaten Ausgang auf die Balkonterrasse und in den Hofgarten.

Der Hofgarten.

Dieser Raum mit Fliesenboden der Firma Villeroy & Boch ist mit grünlichem Marmor verkleidet. Über der Marmorverkleidung befindet sich ein recht hohes, mit geschwungenen Delfinsilhouetten verziertes Stuckfries.

Dieser Artikel basiert auf der Ausgabe „Das Haus in der Powarskaja: Residenz des deutschen Botschafters in Moskau“, Marixverlag, Wiesbaden 2013.

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