In den letzten zehn Jahren hat sich in Russland ein deutlicher Trend zur Nostalgie gegenüber der Sowjetunion herausgebildet. Meistens handelt es sich um Menschen über 55 Jahre, die zu dieser Zeit ihre Kindheit, Jugend und die besten Jahre ihres Lebens verbracht haben. Viele erklären diese Nostalgie damit, dass sie nicht mehr das „Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Großmacht“ verspüren. Die Einen sehnen sich nach Ordnung, Stabilität, Vertrauen in die Zukunft, andere vermissen „das verlorengegangene Gefühl, überall zu Hause zu sein“ oder beklagen „den Zusammenbruch der Beziehungen zwischen Familie und Freunden". Überraschenderweise neigen auch junge Menschen dazu, diese Zeit zu romantisieren, denn viele Menschen des 21. Jahrhunderts sehen den Alltag in der UdSSR als ein Leben ohne Armut und mit einer gerechten Weltanschauung an.
Die russischen Medien – Kino, Literatur, Fernsehen – greifen die sowjetische Vergangenheit in ihren sozio-historischen und natürlich auch in ihren moralischen und psychologischen Aspekten aktiv auf. Es ist davon auszugehen, dass dieser Appell an ein Massenpublikum letztlich den kommerziellen Erfolg von Werken bestimmt, die auf dem Motiv der Nostalgie für die UdSSR basieren.
Es ist bezeichnend, dass die Übereinstimmung mit der Realität in den Hintergrund tritt, wenn es darum geht, an die Emotionen der Menschen zu appellieren, die die betreffende Epoche erlebt haben, und nicht darum, historische Erfahrungen zu rekonstruieren oder die Einstellung des jüngeren Publikums zu der von ihm nicht erlebten Geschichte zu prägen.
Der ursprüngliche kulturelle Text muss dem Publikum emotional und inhaltlich nahe sein, und die notwendige Fähigkeit des Autors ist die Kunst der Stilisierung. Im Falle der zeitgenössischen Kultur führt eine neue Lesart der sowjetischen Geschichte, wie sie von den Autoren konzipiert wurde, durch die Einbeziehung des Zuschauers und nostalgische Gefühle zu einem kommerziellen Erfolg. Bei Büchern trägt auch die Cover-Gestaltung mit diversen Motiven aus jener Zeit dazu bei, Leser anzulocken.
„Der Leutnant des Imperiums“, Michail Lanzow
Leutnant Maxim Baranow von der russischen Armee hat bereits in „Krisengebieten“ gekämpft, wurde verwundet und ließ sich im „Hinterland“ nieder, wo er sich aus Langeweile für militärhistorische Rekonstruktionen interessiert. Bei der nächsten Exkursion ereignet sich jedoch etwas Außergewöhnliches: Nachdem er sich mit seinen Kameraden betrunken hat, wacht der Leutnant in einem Graben unter dem Feuer von Haubitzen auf. Und in der Nähe stehen russische Soldaten in der Uniform der zaristischen Armee. Sie klären Baranow, den sie für einen von einer Granate verletzten Offizier halten, darüber auf, dass sie sich Ende August 1914 – zu Beginn des Ersten Weltkriegs – in General Samsonows Korps in Ostpreußen befinden.
„Stalins Erzengel“, Sergej Schkenjow
Schon in Bulgakows Meister und Margarita hatte der Teufel Stalins Moskau besucht. Nun sind die Boten des Himmels an der Reihe. Aber was soll der Erzengel, der sich versehentlich in der UdSSR befindet, tun? Das Gleiche wie immer – Russland schützen und verteidigen! Was nicht so schwer ist, wenn man Lawrentij Beria selbst zum Märtyrer macht, Kirchen mit dem strahlenden Antlitz Josefs des Schrecklichen bemalt, die Helden der Sowjetunion mit dem Lenin-Orden auszeichnet und Michail Bulgakow zum Kulturkommissar ernennt, und die unbesiegbare Rote Armee marschiert nach Europa…
„Der stählerner Löwe. Für das Vaterland! Für Trotzki!“, Iwan Jewgraschin
Unser Zeitgenosse findet sich im Körper von Lew Trotzki wieder. Wird es ihm gelingen, die russische Vergangenheit neu zu schreiben? Wird er ein Verbündeter und Freund Stalins werden? Wird er der Anarchie Einhalt gebieten, den Bürgerkrieg und den Roten Terror stoppen? Dies ist in diesem Buch nachzulesen.
„Die Gegenwart ist die Vergangenheit. Nochmals hallo!“, Roman Slotnikow
Der Autor nimmt uns mit in die Zeit seiner Jugend, die von Musik, Sport, Liebe und Plänen für eine bessere Zukunft geprägt war. Der angesehene Schriftsteller lehnt eine teure medizinische Behandlung ab, denn er weiß, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Er hat ein erfolgreiches Leben hinter sich, aber das Unbekannte liegt noch vor ihm. Doch der Held findet sich plötzlich in den Siebzigerjahren wieder, als er vier Jahre alt war. Wie kann er wieder groß und stark werden, um das Wissen eines reifen Mannes in vollem Umfang nutzen zu können? Wird er erneut erwachsen werden müssen und die Welt mit erfahrenen Augen betrachten? Es scheint so... Und vor ihm liegen die ersten Freundschaften und Eifersüchteleien, Liebschaften und Sehnsüchte, sportliche Erfolge und die große philosophische Frage des Zeitreisenden: „Darf ich in die Geschichte eingreifen?“
„Altrussische PR“, Michail Fjodorow
Wir schweifen hier ein wenig vom Thema Sowjetunion ab, um zu zeigen, dass das Thema Zeitreisen in der russischen Trivialliteratur sehr beliebt ist. In diesem Buch findet sich der Protagonist im alten Russland wieder.
Wassili Subow, Inhaber einer großen St. Petersburger PR-Agentur, beschließt, Wölfe zu jagen. Woher weiß der Unternehmer, dass das graue Raubtier gar kein Tier, sondern ein gerissener Zauberer namens Prostomir ist? Subow wird in ein alternatives altes Russland versetzt, pünktlich zum Beginn des Wahlkampfs in Nowograd. Wer weiß, wie dieses Abenteuer für ihn ausgehen würde, befände er sich nicht unter der Schirmherrschaft des Bojaren Michailo – einem der Kandidaten für den Posten des Nowograder Posadniks. Der in St. Petersburg ansässige PR-Mann muss sein ganzes berufliches Knowhow nutzen, um sich aus der Affäre zu ziehen.
„Hinter dem Thron. Die Gnade des Zaren“, Juri Kortschewski
Alexej Terechow, ein ehemaliger Geheimdienstoffizier, gerät durch Zufall ins 17. Jahrhundert und macht am Zarenhof Karriere – vom einfachen Strelitzen bis zum Befehlshaber der Leibgarde. Er hat einen Ort, an dem er seine Fähigkeiten einsetzen kann – Russland führt einen harten Krieg gegen das mächtige Osmanische Reich und dessen Verbündeten. Aber „hinter dem Thron zu stehen“ ist ein äußerst gefährlicher Beruf, denn es wird immer jemanden geben, die ihn beneiden und bereit sein wird, ihn zu verraten. Doch auch nach seinem Prozess und seiner Verbannung bleibt Terechow ein loyaler Soldat seines Landes, der nicht dem Zaren, sondern seinem Herzen dient.
„Der Heiler. Ein neuer Weg“, Waleri Bolschakow
Michail Garin, ein älterer IT-Ingenieur, hat sich in sein junges Selbst im Jahre 1975 verwandelt. Er schreibt erstaunliche Programme und macht Entdeckungen, teilt sein Wissen mit dem Politbüro, entkommt der CIA und dem KGB, heilt Kranke. Die Sowjetunion schlägt langsam einen neuen Weg ein und entfernt sich von einem Kurs, der in den Ruin führt. Doch das Leben seines Retters ist nicht einfach. Michail mischt sich aktiv in die Politik ein, erfindet die erste E-Mail der Welt, und man trachtet ihm nach dem Leben ... Plötzlich verliert er, wie durch Zufall, seine Superkräfte und wird wie alle anderen! Schafft er es, mit gewöhnlichen Gymnasiasten die professionellen Killer zu überwältigen? Kann er sich selbst – und die UdSSR – retten?
Michail Karpow, ein ehemaliger OMON-Offizier und Scharfschütze, hat es nicht geschafft, der Vergangenheit zu entfliehen, in der er 2018 seltsamerweise in einen Autounfall verwickelt wurde. Er verflucht das Internet, Mobiltelefone, seinen Mercedes und seinen Landcruiser und die Freiheit, sich auf dem Planeten zu bewegen. Er sehnt sich nach seiner Familie, seiner Frau. Hier, im Jahr 1971, in einem Land namens UdSSR, leben seine jungen Eltern und sein geliebter Großvater. Aber Michail wagt es nicht, seine Verwandten auch nur aus der Ferne zu betrachten, jetzt, wo er älter als seine Eltern ist. Er beschließt, seine ganze Energie und sein Wissen in den Kampf um die Rettung der Sowjetunion zu stecken. Er hält es auch für seine Pflicht, alle bekannten Serienmörder zu vernichten, insbesondere diejenigen, die Kinder angegriffen haben. Solche Pläne erfordern beträchtliche Mittel, aber er hat bereits gelernt, wie man hier seinen Lebensunterhalt verdient.
Die Romane des Science-Fiction-Autors Michail Karpow verkaufen sich in der UdSSR in großen Auflagen.
„Der Phagozyt. Für mich selbst und für diesen Kerl“, Andrej Welitschko
Viele derjenigen, die in der Sowjetunion geboren worden und aufgewachsen sind, träumen davon, auch nur für kurze Zeit in diese Epoche zurückzukehren. Ja, es war auf seine Weise schwierig, aber es gab auch viele gute Dinge: eine starke Wirtschaft, eine hervorragende Produktion, gemütliche sowjetische Wohnungen... Aber die Vergangenheit ist, wie man so schön sagt, Vergangenheit. Oder ist es etwa nicht so? Der Protagonist des Romans wird in einem Moment in die sechziger Jahre versetzt, die von vielen immer noch als eine „goldene“ Zeit im Leben des Landes angesehen werden. Mit dem Wissen über die Zukunft und die weitere Entwicklung der Ereignisse sieht diese Zeit jedoch nicht mehr so wolkenlos aus. Das große Land beginnt bereits zu zerfallen. Bislang ist das kaum zu erkennen, aber es wird jeden Tag deutlicher. Hat es einen Sinn, zu versuchen, die Situation zu korrigieren? Oder sollte man sich einfach anpassen und das Leben so leben, wie es funktioniert? Ohne Internet, neumodische Gadgets und Kabelfernsehen... Dieser Roman ist eine Reminiszenz an eine ganze Epoche; so wird der Leser selbst für eine Weile in die Vergangenheit versetzt – für viele vertraut und doch schon so fremd.