In der UdSSR gab es keine Clubs im modernen Sinne, sondern nur Diskotheken in Kulturhäusern. Erst in den 1990er Jahren wurden in Moskau erste Nachtclubs eröffnet. Nach und nach tauchten sie auch in anderen Städten auf, aber Moskau blieb der Champion, weil es das meiste Geld hatte. Die „Aktivisten“ der Branche verloren jedoch genau so schnell an Popularität, wie sie sie erlangt hatten, und die meisten Lokale schlossen Anfang der 2000er Jahre, weil sie der Konkurrenz nicht standhalten konnten.
Unterhaltung für die Neureichen
Nach dem Zerfall der UdSSR verlor ein großer Teil der Bevölkerung seine gewohnten Einkommensquellen. Während die meisten ums Überleben kämpften und nach neuen Möglichkeiten suchten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, fand eine Minderheit einen Weg, schnell reich zu werden. Einigen gelang es, sich ehemals staatliches Eigentum anzueignen, andere gründeten ihre eigenen Unternehmen, die einen ansehnlichen Gewinn abwarfen. Wieder andere wurden Teil der schnell wachsenden kriminellen Szene.
Nachdem sie in den Besitz von „schnellem“ Geld gekommen waren, suchten die Bürger nach Möglichkeiten, es gewinnbringend auszugeben. Die aufkommende Clubindustrie half ihnen dabei. Einige „kriminelle Autoritäten“ sponserten neue Etablissements, andere verschwendeten das Geld einfach zum Spaß.
Nach Angaben der Veranstalter kostete die Einrichtung des Titanic, eines der erfolgreichsten Clubs in Moskau in den 90er Jahren, rund 1,5 Millionen US-Dollar. Aus England wurde eigens die beste Tontechnik herbeigeschafft, statt Pop wurde Techno gespielt und für die Beleuchtung wurden Laser-Lichteffekte eingesetzt. Dank des originellen Konzepts, der Themenpartys und der trendigen Musik konnte das Titanic sehr teure Werbeverträge mit internationalen Brands abschließen. Doch im Jahr 2000 hielt der Club dem Konkurrenz druck nicht mehr stand und wich neuen Trend-Locations.
Die Nachtclubs zogen natürlich nicht nur Gangster an – auf der Tanzfläche konnte man jeden treffen. „Es gab noch keine so starke soziale Schichtung. Im coolsten Club konnte man Tanja Djatschenko [die Tochter von Präsident Boris Jelzin], ihren Sohn und z. B. Umar Dschabrailow [einen russischen Unternehmer] treffen. Der Club verfügte über zwei VIP-Lounges mit einem Abstand von etwa vierzig Metern, und ich konnte ganz nah bei ihnen sein. Und die Personenschützer durften dort nicht hinein!“, erinnert sich einer der ehemaligen Gäste des Lokals.
Für Jugendliche war es schwierig, in die angesagten Etablissements zu gelangen; oft kamen sie nicht durch die Einlasskontrolle. Swetlana Wickers, Miteigentümerin des Clubs Eremitage, erinnerte sich in einem Interview: „Jeder Club hatte sein eigenes Publikum, aber alle gingen in den Eremitage: Gangster, Geschäftsleute, die so genannte Intelligenzija und Jugendliche. Letztere hatten Schwierigkeiten, in den Club zu gelangen, aber eines Tages fanden sie ein Loch im Dach, direkt über der Toilette. Und was glauben Sie, haben sie getan? Sie zwängten sich durch dieses Loch und fielen denjenigen, die in der Schlange vor der Toilette standen, direkt auf den Kopf.“
Schießereien, Schlägereien und Gay-Clubs
Schusswaffen, die in den 90er Jahren von einem bestimmten Personenkreis getragen wurden, mussten an der Eingangstür abgegeben werden, aber nicht alle hielten sich an diese Regel. Die Bekannten der Besitzer konnten mit Waffen in den Club kommen, und es war viel einfacher, einen Konflikt auszulösen als ihn zu vermeiden: „Ein Schulterstoß, ein versehentlicher Fußtritt, eine vergessene Entschuldigung – und es konnte zur Messerstecherei oder Schießerei kommen. Ein falscher Blick, eine unzureichende Entschuldigung – buchstäblich alles konnte der Anlass sein. Wenn eine Schießerei begann, ließen sich die ,Security-Mitarbeiter' des Clubs einfach zu Boden fallen“, erinnert sich einer der Stammgäste dieser Clubs.
Diejenigen, die in eine solche Auseinandersetzungen verwickelt waren, wurden nur selten für das Geschehen zur Verantwortung gezogen, ebenso wenig wie die Drogenhändler und deren Kunden. „Die Drogen wurden in den Clubs völlig ungeniert vertickt, und wenn ein Dealer doch einmal erwischt wurde, konnte er ihn einfach freikaufen“, fügt der Gesprächspartner hinzu.
Die Clubs dienten auch als Ort für Verabredungen einer bestimmten Art. „Es gab ein Casino-Restaurant namens Meteliza. Dort saßen junge Frauen eines bestimmten Berufsstandes an der Theke und verhandelten sofort mit den Gästen“, erzählt ein ehemaliger Besucher solcher Lokale.
1993 wurden in Russland gleichgeschlechtliche Beziehungen entkriminalisiert, und es entstanden in Moskau offene Gay-Clubs. Dazu gehörten das Chance, das einst zu den zehn besten Gay-Clubs der Welt gehörte, das Tri obesjany (dt.: Drei Affen) und das Zentralnaja stanzija. Sie hatten strengere Einlasskontrollen als andere Clubs, um zu verhindern, dass Schwulenhasser reinkommen. Aber um nicht bankrott zu gehen, waren die Besitzer gezwungen, nicht nur Leute einzulassen, die sie kannten. So konnte man beispielsweise aus Versehen in einem Gay-Clubs landen, erinnert sich der Gesprächspartner: „Ich war da schon ziemlich beschwipst, und meine Freundin und ich fuhren in irgendeinen Club im Taganka-Viertel, aber sie sagte mir nicht, in welchen, und es war mir auch egal. Als wir ankamen, bin ich erstmal auf die Toilette gegangen, um mir die Hände zu waschen, und da stand ein Mann neben mir und hat sich die Lippen angemalt. Ich war verwirrt,weil ich nicht verstand, was da abging, und starrte ihn an. Er bemerkte meinen Blick, kapierte nicht, warum ich ihn anstarre, und dann schnallte er es scheinbar, hielt mir den Lippenstift hin und fragte: Willst du auch?“
Pathos,Glamour und das Ende einer Ära
Ende der 90er Jahre änderte sich alles: An die Stelle von Leuten mit Waffen und Geld traten Leute ohne Waffen, aber mit Geld. Zu dieser Zeit wurden das Zeppelin, das XIII, das Jazz Café und das Gallerija eröffnet. „Im Gallerija wurden die Leute einfach nur schikaniert, man ließ sie absichtlich in der Schlange warten. Zu dieser Zeit war die soziale Trennung der Gesellschaft bereits spürbar, es entstanden Schickeria-Lokale. Manche wurden gerade wegen ihrer Exklusivität populär. Ich hatte einen Bekannten, der damals einen Porsche mit Turbolader fuhr und damit in die Schweiz reiste, aber man wollte ihn trotzdem nicht in den Club lassen. Also kam seine Frau tagsüber vorbei, suchte den Manager und überredete ihn, abends in den Club zu dürfen. So war es auch in im Garage – ein schickes Paar in einem Mercedes mit Bodyguards und der Einlasser des Clubs fragt sie: Haben Sie unsere Club-Karte?“, erinnert sich einer der damaligen Club-Besucher.
Die kapriziöse Auswahl der Kunden führte zum Ruin – Anfang der 2000er Jahre begannen die noblen Clubs zu schließen. Unser Gesprächspartner erinnert sich, dass das Publikum in neue Szenelokale abwanderte, während das Schicksal der ehemaligen Clubgänger eine andere Wendung nahm: „Ich glaube, es war 2003, da gab es kein Zeppelin, kein Gallerija und kein Garage mehr. Auf der Twerskaja machte ein Café auf und alte Bekannte luden mich ein. Dort traf ich dann meine alte Bekannte aus de Club-Zeiten, der ich einst 300 Dollar gab und ihr ihre vulgären Modellage-Fingernägel ausredete. Zu der Zeit hatte sie bereits einen Oligarchen geheiratet und verbrachte die meiste Zeit in London. Die Zeiten hatten sich geändert.“
Heute boomt die Clubbing-Branche in Russland: In den meisten Städten, und erst recht in Moskau, gibt es eine Vielzahl von Etablissements für jeden Geschmack und Geldbeutel. Doch trotz aller Unterschiede haben sie wenig Ähnlichkeit mit den Clubs der 1990er Jahre – das Nachtleben ist viel sicherer und zivilisierter geworden.