Ist es leicht, eine Kapelle zu verstecken? Und warum eigentlich sollte man das tun - auch noch in einem Wohnhaus? Der deutschstämmige, russische Architekt Fjodor Schechtel hat das jedenfalls 1900-1902 beim Bau einer Villa für den Millionär Stepan Rjabuschinskij getan.
Denn die Rjabuschinskijs waren Altgläubige, Anhänger einer Abspaltung der orthodoxen Kirche, die die Kirchenreformen des 17. Jahrhunderts nicht anerkannte. Die Altgläubigen waren in Russland bis 1905 verboten und mussten ihren Glauben und ihre Gottesdienste verbergen. Darum wurde in Rjabuschinskijs Stadtvilla eine schöne Kapelle im Obergeschoss so eingebaut, dass sie von außen nicht zu sehen war. Aber nicht nur diese Geheim-Kapelle macht die Schechtel-Villa zu einem der ausgefallensten Gebäuden Moskaus.
Das Interieur orientiert sich am Thema Meeresgrund: Die berühmte Prachttreppe mit einem Wellengeländer mündet dann in eine riesige Quallen-Lampe an der Spitze. Zahlreiche Meerestiere und Blumen sind überall im Haus zu sehen.
Rjabuschinskij stammte aus einer der reichsten Familien seiner Zeit, war selbst Kaufmann und engagierte sich sozial. In dem kleinen Wyschni Wolotschok im Twerer Gebiet betrieb er umsatzstarke Baumwolltextilwerke.
"Es zeigte sich, dass es sehr interessant war (...) Ich glaube, in ganz Europa gibt es kein Haus wie dieses gibt."
Rjabuschinskij zeigte sich nach eingehender Erstbegehung enthusiastisch.
Stepan Rjabuschinskij
WikipediaAltgläubige hatten oft viele Kinder. Stepan Rjabuschinskij hatte sieben Brüder und fünf Schwestern. Sie alle erhielten eine hervorragende Ausbildung, beherrschten mehrere Fremdsprachen und waren in ihren Berufen herausragende Persönlichkeiten. Nach der Russischen Revolution 1917 flohen sie jedoch aus Russland. Heute leben die Rjabuschinskij-Erben in aller Welt - in Frankreich, Italien, Großbritannien, den Vereinigten Staaten und vielen anderen Ländern.
Einer von ihnen, Dmitryij Rjabuschinski, hatte in Kutschino in der Moskauer Region das erste Aerodynamik-Institut der Welt mit einem echten Luftstrom-Tunnel gebaut. Dort arbeitete er weiter an Mehrzweckflugzeugen und Raketenprojekten. Nach der Revolution wurde das Institut verstaatlicht - und Dmitrij Rjabuschinskij 1918 zum Klassenfeind erklärt. Nur Dank der persönlichen Bemühungen des sowjetischen Schriftstellers Maxim Gorki konnte er noch das Land verlassen und viele Jahre als Professor an der Sorbonne in Paris arbeiten. Dmitrij Rjabuschinskij blieb Gorki sein ganzes Leben lang dankbar und verbunden.
Maxim Gorki
M. Bessmertniy/SputnikNach der Revolution und dem Auszug der Rjabuschinskij-Familie nutzten verschiedene sowjetische Staatsinstitutionen die Villa: erst die Konsularabteilung, dann ein Staatsverlag, ein Kindergarten für die Kinder sowjetischer Parteiarbeitern uvm. Und dann kam... wieder Maxim Gorki. Vom 1931 bis zu seinem Tod 1936 lebte der "Sturmvogel der russischen Revolution" hier, danach noch seine Familie bis 1961. 1965 eröffnete das Gorki-Museum.
Gorki war 1931 nach seiner Emigration ab 1921 in die Sowjetunion zurückgekehrt. Nachdem er ursprünglich die Revolution unterstützt hatte, kritisierte er später jedoch die bolschewistischen Regierungsmethoden. Darum lebte er zehn Jahre in Europa, vor allem Italien.
Nach zahlreichen Bitten der Sowjetregierung und aufgrund von ernsten finanziellen Schwierigkeiten im Ausland, stimmte Gorki schließlich einer Rückkehr in die UdSSR zu. Die Rjabuschinskij-Villa wurde sogar speziell für ihn restauriert.
Gorki mochte das Herrenhaus jedoch nie:
"Es ist großartig, grandios - es gibt nichts zu lächeln. (...) Es wäre besser, wenn sie uns eine gute Wohnung geben würden..."
Gorki beschrieb später diese letzten Jahre in seinem Heimatland als die bittersten seines Lebens. Er wurde ständig von seinem Sekretär und den Geheimdiensten beobachtet, seine Gäste wurden sorgfältig ausgewählt. Gorki war überzeugt:
"Hinter jeder Tür [dieses Hauses] lauscht ein Ohr!“
Im Jahr 1934 starb sein Sohn im Alter von 34 Jahren unter merkwürdigen Umständen. Dies gab Gorki dann den Rest, der Schriftsteller starb kurz darauf im Jahr 1936.
Die Familie des Schriftstellers blieb noch weitere 30 Jahre nach seinem Tod in der Villa. Heute ist in der Villa Gorkis riesige Bibliothek mit 12.000 Bänden ausgestellt - die zweitgrößte Bibliothek aller russischer Schriftsteller mit Ausnahme von Leo Tolstoi.
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