Während meiner Zeit in Moskau beschloss ich, das Beste aus einem verlängerten Wochenende zu machen und die abenteuerliche Reise in einen abgelegenen Teil Russlands anzutreten. Manon, eine Freundin von mir, die ebenfalls hier lebt, arbeitet in einem Reisebüro und weiß viel über Expeditionen. Wir entschieden uns für einen Besuch der Halbinsel Kola am nördlichsten Punkt Russlands, die an das Weiße Meer und die Barentssee grenzt.
Entspannung bei einer 31-stündigen Zugfahrt
Wir kauften unsere Fahrkarten und begannen die unvergessliche Reise in einem Schlafwagen. In 31 Stunden erreichten wir die kleine Stadt Apatity. Der Zug war sehr günstig, 4 160 Rubel (etwa 52,80 Euro) pro Person, und wir hatten die perfekte Gelegenheit, vom Fenster aus die einmalige Aussicht zu genießen.
Bei einem Halt im Bahnhof von Petrosawodsk verließen wir kurz den Zug, um uns umzuschauen. Einige Babuschkas auf den Gleisen verkauften Beeren, warme Piroschkis, Gläser selbstgemachter Marmelade und sogar Fisch. Auf dem Weg in den Norden nutzten wir jede Gelegenheit, die kleinen Dörfer und endlosen Wälder zu bewundern.
Sobald wir in Apatity ankamen und ein Taxi suchten, näherte sich ein Mann und bot an, uns für 150 Rubel (knapp zwei Euro) 17 Kilometer weiter an unser nächstes Ziel, Kirowsk, zu bringen. Unser Fahrer entschied, uns als letztes am Hostel abzusetzen, damit wir unterwegs einen Eindruck von der Stadt gewinnen konnten.
Kirowsk: Die atemberaubende Haupstadt der Stille
Das Hostel war außergewöhnlich. Es befand sich in einem Gebäude aus der sowjetischen Zeit mit riesigen Türen, großen Räumen und einer Einrichtung, die nicht authentischer hätte sein können.
Wir beschlossen, die Gegend zu erkunden und zogen unsere Mützen, Handschuhe, dicken Mäntel und Schals an. Als wir zur Tür heraustraten, wurden wir augenblicklich von einem Phänomen überrascht, das in der heutigen Zeit nahezu unbekannt ist: vollkommene Stille. Kein Laut war in dieser von schneebedeckten weißen Bergen und Kieferbäumen umgebenen Stadt zu hören.
Mit dem Ziel, einen der höchsten Gipfel der Chibinen zu erreichen, gingen wir zur Straßenbahn. Angekommen am Skiort Bolschoi Budjawr machten wir in einer kleinen Berghütte eine Pause, tranken eine Tasse heißen Tee und aßen einen schnellen Imbiss, bevor wir unseren Aufstieg begannen.
Wir stiegen in eine Seilbahn und fanden uns plötzlich in einer Höhe von 850 Metern wieder. Der Schneesturm war so stark, dass wir die Stadt unter uns kaum erkennen konnten.
Uns blieb wegen der extremen Temperaturen und dem kräftigen Wind keine andere Wahl, als zum Fuß des Berges zurückzukehren.
Danach zogen wir los, um die Stadt zu erkunden. Die meisten Gebäude waren in einem schlechten Zustand oder sogar verlassen. Sie erschienen uns wie vergessene Relikte einer glorreichen Vergangenheit, obwohl der Gerechtigkeit halber erwähnt werden muss, dass einige Anstrengungen unternommen wurden, um etwas Farbe in diese von Grautönen, Weiß und Schwarz bestimmte Stadt zu bringen.
Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg zu einem Nonnenkloster in Chibinogorsk. Um es zu erreichen, mussten wir einige Kilometer zu Fuß am zugefrorenen Bolschoi-Wudjawr-See entlanggehen.
Die schwarz-weiße Landschaft wurde belebt von farbenfrohen Gebäuden und hier und da verstreuten Fahrzeugen. Nach dem einstündigen Marsch im Schnee kamen wir endlich in einer kunstvoll geschmückten Kirche des Klosters an, wo wir ermuntert wurden, eine Kerze anzuzünden.
Als wir zur Stadt zurückkehrten, machten wir Halt, um etwas zu essen und zu trinken. Kurz bevor wir das Lokal verließen, sprach mich eine Kellnerin etwas verlegen an und bat mich um ein Autogramm. Trotz meiner Überraschung stimmte ich zu und fragte nicht nach dem Grund. Vielleicht hatte sie noch nie einen Franzosen getroffen? Wir gingen dann zur Bushaltestelle, um nach Apatity zu fahren. Wir hofften, die Stadt besichtigen zu können, bevor unser Zug nach Murmansk abfuhr.
Obwohl mit 56 000 Einwohnern größer und fortschrittlicher als Kirowsk, war diese Stadt im Vergleich nicht besonders beeindruckend, da sie hauptsächlich aus Gebäuden im sowjetischen Stil und aus Straßenzügen bestand, die einander zum Verwechseln ähnlich sahen. Wir nahmen daraufhin den Zug und brachen zur Hauptstadt der Region auf, die drei Stunden und 45 Minuten nördlich von Apatity liegt.
Murmansk: Das Tor zum Nordpolarmeer
Vor dem Hauptbahnhof in Murmansk kamen wir an einen Ort, der mit verschiedenen Skulpturen und sogar einer Eisrodelbahn der Hauptplatz der Stadt zu sein schien. Ich konnte es mir nicht verkneifen, die Rodelbahn selbst auszuprobieren, zusammen mit einem Haufen von Kindern, die trotz der späten Stunde einen Heidenspaß hatten. Jedoch war es ohne einen Schlitten nicht möglich, nennenswert zu beschleunigen.
Am Abend versuchten wir, einen Blick auf die Nordlichter zu erhaschen, doch ohne Erfolg. Auf dem Spaziergang am nächsten Morgen bestaunten wir die bunten Häuser und eindrucksvollen Prachtstraßen von Murmansk.
Obwohl der Zustand der Gebäude zu wünschen übrig ließ, bestand kein Zweifel an der glorreichen Vergangenheit der Stadt.
Wir wanderten zum Hafen, wo wir auf den legendären „Lenin” stießen, den ersten mit Atomkraft betriebenen Eisbrecher der Welt. Wir kletterten auf einen Hügel zu einem Leuchtturm, der stolz an in Friedenszeiten gefallene Soldaten erinnert. Innen hallt das Geräusch der sich brechenden Wellen wider.
Schließlich stiegen wir hinauf zum riesigen Denkmal der Verteidiger der sowjetischen Arktis im Großen Vaterländischen Krieg, das auch als Aljoscha bekannt ist. Das nach der Mutter-Heimat-statue in Wolgograd zweitgrößte Denkmal Russlands misst beeindruckende 35,5 Meter. Vor dem gigantischen Soldaten, dessen Blick den fernen Horizont fixiert, brennt eine ewige Flamme.
Wir gingen zurück zum Hostel, um vor unserem Flug von Murmansk nach Moskau, der uns 4 132 Rubel (gut 52,30 Euro) kostete, die Koffer zu packen. Mit dem Bus fuhren wir zum Flughafen, wo wir die nächsten Stunden in Erinnerungen an die unvergesslichen Erlebnisse der letzten Tage schwelgten.
Durch die großen Fenster des Flughafens konnten wir noch immer keine Nordlichter sehen, aber vielleicht war das ein Segen? Immerhin, ist das nicht die perfekte Ausrede, eines Tages noch einmal in diese bezaubernde Gegend zu reisen?