Was hat es mit diesen mysteriösen Steinlabyrinthen im russischen Norden auf sich? (FOTOS)

Ein großes Labyrinth aus Steinen am Ufer des Weißen Meeres auf den Solowezky-Inseln am Kap der Labyrinthe.

Ein großes Labyrinth aus Steinen am Ufer des Weißen Meeres auf den Solowezky-Inseln am Kap der Labyrinthe.

Legion Media
Die Bolschoi-Sajatski-Insel ist eine der Hauptattraktionen des Solowezki-Archipels, die von Touristen aus dem ganzen Land besucht wird. Dort, an der Küste des Weißen Meeres, fernab der Zivilisation, befinden sich die größten Steinlabyrinthe Europas - Hunderte von Steinen, die in Form einer Spirale angeordnet sind. Ähnliche Konstruktionen wurden von Wissenschaftlern und Einheimischen an verschiedenen Orten im russischen Norden gefunden. Wer hat sie gebaut und warum?

Wer hat die Labyrinthe gebaut? 

Umba-Labyrinth (Babylon).

Solche Labyrinthe wurden überall auf der Welt entdeckt, aber die größte Anzahl befindet sich auf den Solowezki-Inseln (Region Archangelsk) - etwa 35, davon 14 auf der Bolschoi-Sajatski-Insel. Neben diesen Labyrinthen wurden auch Hunderte von Hügeln, Steinhaufen und Dolmen gefunden, was beweist, dass der Archipel im Weißen Meer in der Antike bewohnt war. Es ist bekannt, dass im 1. Jahrtausend v. Chr. nomadische Saami-Stämme dort lebten, aber sie waren nicht die ersten - die Radiokohlenstoffanalyse der Objekte ergab Spuren von Menschen aus dem 6. bis 7. Jahrtausend v. Chr. Die Labyrinthe selbst stammen aus dem 1. bis 2. Jahrtausend v. Chr., was bedeutet, dass sie vor den Saami oder Proto-Saami gebaut worden sein müssten. Einige Steinmuster könnten aber auch später entstanden sein. 

Ein Labyrinth aus dem 2. bis 1. Jahrhundert v. Chr. auf der Großen Haseninsel im Solowezki-Archipel.

Solche Labyrinthe wurden auch auf den Inseln des Kusowa-Archipels in Karelien und unweit der Stadt Kandalakscha in der Region Murmansk sowie in einigen Gebieten Sibiriens gefunden. Alle befinden sich entweder auf Inseln oder in Flussmündungen, also in Wassernähe. 

Labyrinthe auf der Großen Solowezki-Insel am Labyrinth-Kap. Solowki, Karelien, Russland.

Die Labyrinthe gibt es in verschiedenen Formen und Größen: mit ein oder zwei „Schneckengängen“, konzentrisch oder kreuzweise. Ihr Durchmesser schwankt zwischen fünf und 30 Metern. Sie sind aus der Ferne nicht gut sichtbar und werden am besten von oben betrachtet. Die Steine, aus denen das Labyrinth besteht, sind nicht in Mörtel eingefasst. Auch die Steine selbst sind natürlich geformt und die meisten von ihnen weisen keine Bearbeitungsspuren auf. 

Was sagen Wissenschaftler?  

Steinlabyrinthe auf der Bolschoi-Sajatski-Insel in der Region Archangelsk.

Die Erforschung der nördlichen Labyrinthe begann im 19. Jahrhundert, obwohl solche Strukturen bereits in einigen Legenden aus der Mitte des 16. Jahrhunderts erwähnt wurden (eine der frühesten findet sich in den Aufzeichnungen über die Verhandlungen mit den Schweden im Jahr 1552). Wegen ihrer komplexen Form wurden sie früher „Babylons" genannt. So schrieb der Arzt und Mitglied der Russischen Geographischen Gesellschaft Alexander Elisejew im Jahr 1883: „Unserer Meinung nach sind diese Labyrinthe, wie andere Steinmuster unseres Nordens, einem ganz ursprünglichen Typus megalithischer Bauten zuzuordnen und können neben den Steinkreisen ohne zentralen Aufbau und auch in der Nähe der großen russischen Hügel platziert werden... Die mehr oder weniger eindeutige Position der ‚Babylons' deutet darauf hin, dass sie zu einer bestimmten Gruppe von Völkern gehörten. Die verschlungene Form hat zweifellos eine symbolische Bedeutung oder eine mythische Unterfütterung; eine Schriftrolle aus Steinen, die kein Ende hat, kann in Analogie zu der symbolischen unendlichen Linie anderer arischer und negerischer Völker sowohl die Unendlichkeit der Welt als auch die Schlange, d.h. den bösen Anfang, symbolisieren." 

Er sagte auch, dass Labyrinthe bei einigen nordischen Völkern als heilige Orte gelten. 

Handgefertigte Labyrinthe auf der Haseninsel.

Im Jahr 1925 interessierte sich der Ethnograph Nikolai Winogradow, der im Sonderlager  Solowetski inhaftiert war, aber das Lager auch verlassen durfte, ebenfalls für diese Labyrinthe. Er untersuchte mehrere Inseln, beschrieb die meisten Labyrinthe sehr detailliert und kam zu dem Schluss, dass sie sich alle in Form und Ausrichtung zu den Seiten der Welt unterschieden und daher für unterschiedliche kultische und symbolische Zwecke bestimmt gewesen sein könnten. Bis heute ist dies die detaillierteste wissenschaftliche Beschreibung der Labyrinthe.

Ein anderer Solowezki-Häftling, der Priester und Philosoph Pawel Florenski, schlug in den 1930er Jahren vor, dass die Labyrinthe Grabsteine seien, die die Seele daran hindern, in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Archäologische Ausgrabungen haben diese Theorie jedoch widerlegt. 

Rituale oder Alltagsleben? 

Das erste neolithische Labyrinth auf der Insel Oleschin, Kusowa-Archipel, Weißes Meer, Russland.

Die Wissenschaftler wissen immer noch nicht, wozu diese Labyrinthe wirklich geschaffen wurden. Viele zeitgenössische Forscher glauben, dass solche Strukturen eine rituelle Bedeutung hatten. Die Spirale ist eines der ältesten Symbole der Welt, das in jeder Kultur auf die eine oder andere Weise zu finden ist und besonders häufig mit Ritualen wie der Initiation in Verbindung gebracht wird. Die so genannten „Labyrinthprüfungen" wurden auch in den griechischen Epen (erinnern Sie sich an die Geschichte vom Labyrinth des Minotaurus?) und in der mittelalterlichen christlichen Tradition als Symbol der Reinigung von Sünden verwendet (sie sind beispielsweise in den Kathedralen von Chartres und Amiens in Frankreich erhalten). Wenn man das Labyrinth durchquert, verlässt man die Vergangenheit und entdeckt etwas Neues. 

Labyrinthe auf der Großen Solowezki-Insel am Labyrinth-Kap. Solowki, Karelien, Russland.

Abgesehen von Ritualen können Labyrinthe, zumindest einige von ihnen, auch eine rein praktische Bedeutung haben. Die sowjetische Archäologin Nina Gurina, die Labyrinthe in Karelien und Murmansk untersucht hat, geht davon aus, dass sie zum Fischen gedacht waren. Der Grund dafür ist, dass der Wasserstand vor Jahrhunderten höher gewesen sein könnte und solche Steinfallen die Fische „einsperrten", ohne die Menschen von anderen Aktivitäten abzulenken. 

In diesem Video zum Beispiel versuchen russische Blogger, die Steinfalle für Fische mit der Technik eines kanadischen Indianerstammes nachzubauen - sie hat eine etwas andere Form, ist aber ebenfalls ein Labyrinth. Wie sie selbst behaupten, haben sie dafür nur 20 Minuten benötigt. 

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!