Von Zeit zu Zeit fährt der Moskowiter Nikolai Mursa in einem Mercedes CLA zur Arbeit. „Mercedes ist wie Apple. Die Autos sind zwar teuer, erregen aber immer Aufmerksamkeit. Ihre technische Ausstattung ist sehr innovativ und zugleich benutzerfreundlich,“ meint er. Dabei ist Nikolai, der als Entwicklungsingenieur arbeitet, durchaus kein Angeber und nutzt regelmäßig die angebotenen Carsharing-Dienste, da er es bevorzugt, sich nicht bei seinen täglichen Pendelfahrten in die überfüllte U-Bahn quetschen zu müssen. Neue Autos zu testen und Rezensionen zu schreiben, wurde zu seinem Hobby.
Russlands erste Carsharing-Firma Delimobil, gegründet 2015, mit über 100 Fahrzeuge im Bestand, bietet eine minutengenaue Abrechnung an. In zwei Jahren wuchs Delimobils Autoflotte auf insgesamt 1500 Fahrzeuge an. Wegen der steigenden Popularität dieses Services, gibt es bereits sechs weitere Firmen in der russischen Hauptstadt, die um Kunden buhlen. Zwei weitere sind in Sankt Petersburg zu finden.
Laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes, vervierfachte sich im letzten Jahr der Carsharing-Marktanteil in der russischen Hauptstadt. Für dieses Jahr wird ein Wachstum von weiteren 70 Prozent prognostiziert. Voraussichtlich erhöht sich die Anzahl der mietbaren Fahrzeuge, derzeit sind es 2 650, auf 10 000 bis 15 000 an. Warum gehört dieses Geschäftsmodell zu den am schnellsten wachsenden Märkten?
Das Testen von Autos
Viele Moskauer Fahrer sind von der breiten Palette der Fahrzeugmodelle, die das Carsharing anbietet, begeistert. Während sich vor einem Jahr das Carsharing-Geschäftsmodell noch sehr in seiner Entwicklungsphase befand, sieht man heute auffällig lackierte Autos an jeder Ecke. Es gibt Angebote, die die Möglichkeiten bieten, ein neues Auto im Wert von einer Tasse Starbucks-Kaffee auszuprobieren.
„Für 350 Rubel, das entspricht ungefähr 5 Euro, kann ich von der Arbeit nach Hause fahren. Da habe ich genug Zeit, um zu beurteilen, ob ich das Auto mag oder eher nicht, es aber für einen kurzen Trip ausreicht,“ erzählt der regelmäßige Carsharing-Nutzer Alex Michailow.
Günstiger als Parken
Laut der PWC-Studie machen Parkgebühren bis zu einem Drittel der Nebenkosten für den Besitz eines Autos in Russland aus. Die Gebühren für öffentliches Parken im Zentrum und sogar in einigen entfernten Regionen Moskaus variieren zwischen 40 und 200 Rubel pro Stunde. Das bedeutet, dass ein durchschnittlicher Autobesitzer sehr viel Geld für Parkgebühren ausgibt und falls das Auto wegen Überziehung der Parkdauer abgeschleppt wird, kann es sogar noch teurer werden! Trotz der hohen Parkgebühren, ist es dennoch sehr schwierig überhaupt einen freien Parkplatz in Moskau, die Anzahl der registrierten Fahrzeuge hat dieses Jahr die 8 Millionen erreicht, zu finden. Im Versuch das Verkehrsaufkommen ein wenig einzudämmen, bietet die Regierung den Carsharing-Unternehmen spezielle Parkgebühren an. Für den Carsharing-Kunden sind die Parkgebühr und die Grundversicherung im Mietpreis enthalten. Der Kunde kann sich aber auch für eine Premium-Versicherung mit einer kleineren Selbstbeteiligung, aber zu einem höheren Preis, entscheiden.
Testfahrt in einem Ferrari
Den Kunden in Moskau, bietet Delimobil die Möglichkeit, eine zweistündige Fahrt in einem Ferrari inklusive Fahrlehrer, zu gewinnen. Das sogenannte DeliFerrari tauchte erstmalig im April 2016 auf den Straßen der Hauptstadt auf. Zunächst bot das Unternehmen dem aktivsten User des Monats eine Testfahrt in einem Sportwagen an. Später wurden die Gewinner wöchentlich ausgelost. Diesen September organisierte Delimobil, anlässlich seines zweiten Firmenjubiläums, ein Gewinnspiel auf VK, dem russischen sozialen Netzwerk. Die Teilnehmer konnten Bonuspunkte, eine Tagesausfahrt in einem Audi TT oder eine Einzelfahrt in einem BMW oder einem Ferrari gewinnen.
Ein anderes Carsharing-Unternehmen, BelkaCar, bietet seit August 2017 Autos der Luxusklasse an. 100 Mercedes-Benz CLA stehen Interessenten, mit mindestens fünf Jahren Fahrpraxis und einem Mindestalter von 25 Jahren, zur Verfügung. Der Mietpreis pro Minute ist bei der Anmietung einer Luxusklasse doppelt so hoch, als bei der Buchung eines Mittelklassewagens. Das Unternehmen verfolgt den ambitionierten Plan seine Luxuswagen-Flotte bis Ende 2017 zu verdoppeln. Easy Ride, das jüngste Carsharing-Unternehmen in Russland, stellt seinen Kunden ausschließlich die Kaptur Luxusklasse, einen SUV der Marke Renault, zur Verfügung.
Viele Moskowiten trauen keinem Taxifahrer, denn sie behaupten, dass manche von ihnen absichtlich längere Strecken fahren, um mehr Geld abzukassieren, oder einfach, weil sie sich nicht genug in der Stadt auskennen.
Carsharing hingegen bietet die Möglichkeit, selber am Steuer zu sitzen und die kürzeste Route zu wählen.
Aus Neugier
Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern, müssen die Kunden in Russland keine Mitgliedschaftsgebühr zahlen, um Carsharing nutzen zu können. Es ist ausreichend, dem Anbieter eine Kopie des Passes, des Führerscheins und die Bankdaten zur Registrierung vorzulegen.
Ein freies Auto zu finden, wurde sogar noch einfacher, als eines der größten Internetunternehmen Russlands, Yandex, die Yandex-Carsharing App auf den Markt brachte. Auf einer Karte werden alle buchbare Fahrzeuge von fünf Anbietern aus Moskau und zwei Anbietern aus Stankt Petersburg angezeigt. Durch das Anwachsen der Carsharing-Unternehmen und der Anzahl an mietbaren Autos, geben selbst Autobesitzer dem Carsharing, rein aus Neugier, eine Chance. Warum sollte man nicht einmal ausprobieren, ein Auto mit einer App zu entsperren, zwischen verschiedene Modelle zu wählen und zum Flughafen zu fahren, ohne Parkgebühr zahlen zu müssen?
Im Moment arbeiten Carsharing-Unternehmen daran ihr Geschäftsmodell auf andere russische Städte auszuweiten. Seit Anfang Oktober wird der Service auch in Ufa angeboten. In den kommenden Monaten folgt Nischni Nowgorod, die fünftgrößte Stadt Russlands.