AN-148-Absturz bei Moskau: Was uns die Flugschreiber über die Tragödie verraten

Wissen und Technik
NIKOLAJ SCHEWTSCHENKO
Einen Terroranschlag schließen die Behörden aus. Aber das Rätselraten um die tatsächliche Absturzursache geht weiter.

Terror – ja oder nein?

Am Sonntagnachmittag ist im Kreis Ramenskoje, rund 80 Kilometer von Moskau entfernt, ein Passagierflugzeug vom Typ AN-148 abgestürzt. An Bord der Maschine der Saratov Airlines waren 71 Menschen, darunter sechs Crewmitglieder. Zwei Tage später finden die Ermittler den ersten Flugschreiber – und können wenigstens einen Terroranschlag ausschließen.

Swetlana Petrenko von der durch die russische Regierung eingesetzten Untersuchungskommission sagt: „Die AN-148 ist erst beim Aufprall am Boden explodiert.“

Eine Überwachungskamera eines Wohnhauses unweit der Absturzstelle hatte den Sturzflug und die Explosion aufgezeichnet. Darauf ist deutlich zu erkennen, dass das Flugzeug bis zum Aufprall „komplett“ war. Die massiven Explosionen und Knallgeräusche, die Anwohner noch am Abend der Tragödie gemeldet hatten, müssen also entstanden sein, als die Maschine auf den Erdboden knallte. All das spricht immerhin gegen einen Terroranschlag.

Was verursachte den Absturz?

Auf die wichtigste aller Fragen allerdings hat die Untersuchungskommission bis jetzt keine Antwort: Was genau war die Unfallursache? Bislang kursieren verschiedene Versionen, die untersucht und geprüft werden: technische Fehler, ausgegangener Treibstoff, Pilotenfehler.

Die Kommission hat sich sämtliche interne Flugprotokolle der Saratov Airlines übergeben lassen und parallel die Ermittlungen auch direkt am Moskauer Flughafen Domodedowo eingeleitet, von wo das Flugzeug wenige Minuten vor dem Absturz gestartet war. Auch der Flughafen Pensa wird unter die Lupe genommen, denn von dort kam der Flieger Stunden vorher nach Moskau.

Version 1: Motorenfehler

Möglicherweise könnte ein technisches Problem mit dem Motor den Absturz verursacht haben. „Ein solcher Fehler entsteht durch ein Abreißen des konstanten Luftstroms in der Turbine und führt zur Zerstörung des Motors“, erklärt der russische Flugverkehrexperte Sergej Krutousow. Auch ein Vogel könnte solch einen Motorenfehler verursacht haben.

Version 2: Vereiste Tragflächen

Als weitere mögliche Absturzursache kommt auch eine Vereisung der Tragflächen während des Starts und der ersten Flugminuten in Frage. Ob die Maschine am Boden vorschriftsmäßig enteist worden war, ist derweil auch nicht völlig sicher. Falls, wie manche jedoch unbestätigte Quellen behaupten, sich der Pilot geweigert haben sollte, sein Flugzeug enteisen zu lassen – beispielsweise um Geld des Arbeitgebers zu sparen – könnten die Tragflächen beim Start Eis angesetzt haben und dadurch beim Start beschädigt worden sein.

Version 3: Fehlender Treibstoff

Ein anonymer Experte des Gromow-Luftfahrtforschungsinstitutes sagte im Interview mit dem russischen Nachrichtenportal Life.ru, dass auch ein kleiner Fehler der Crew dazu geführt haben könnte, dass ein Teil des Treibstoffes aufgrund der niedrigen Temperaturen im Moskauer Gebiet einfror. Üblicherweise wird dem durch Zugabe eines Wärmestoffes in den Treibstoff verhindert. Ob dies jedoch auch im aktuellen Fall getan wurde, ist bislang unklar. Die Untersuchungskommission will erst in den kommenden Tagen die Ergebnisse ihrer Überprüfung des Treibstoffes veröffentlichen.

Version 4: Pilotenfehler

Auch Fehler direkt im Cockpit, des Piloten oder seines Kollegen, können schwere Folgen haben. Bislang wird ein solches menschliches Versagen im Cockpit von der Untersuchungskommission nicht wirklich in Erwägung gezogen, aber: „Die Triebwerke der Maschine könnten versagt haben, wenn der Pilot beispielsweise vergessen hat, die elektrische Treibstoffpumpe beim Start anzuschalten“, so der Gromow-Experte weiter. Das jedoch sei die unwahrscheinlichste Version, denn der 51-jährige Walerij Gubanow war ein erfahrener Pilot mit über 5000-Stunden Erfahrung.

Außerdem müssen die Piloten selbst von dem Unglück überrascht worden sein: Wie der Flughafen-Dispatcher am Flughafen Domodedowo noch am Unfallabend sagte, hätte die Crew keinerlei Unregelmäßigkeiten gemeldet. Vielmehr sei nach vier Minuten Flug einfach der Kontakt zu der Maschine abgebrochen.

“Die Piloten melden normalerweise jeden Zwischenfall an das Kontrollzentrum”, betont Andrej Bulin, der ehemalige Vize-Präsident des Russischen Verbands der Fluglotsen. „Dabei gilt allerdings die Regel, erst das Flugzeug unter Kontrolle zu bekommen und dann erst den Fall zu melden. Wenn die Piloten um die Kontrolle über das Flugzeug kämpfen mussten, dann konnten sie nicht auch noch gleichzeitig einen Notruf absetzen.“

Wo sind die Flugschreiber?

Die Flugschreiber sind mittlerweile beide – einer mit der Kommunikation der Crew-Mitglieder, der andere mit den Flugparametern – von den Bergungsteams vor Ort gefunden worden. Die Daten wurden bereits kopiert, müssen nun jedoch noch dechiffriert werden. Davon erwarten sich die Ermittler die nötigen Informationen, um ein sicheres Urteil über die Absturzursache zu treffen.

Was passiert mit den anderen Antonow-148?

Die Antonow-Modelle 148 werden in der Ukraine sowie in Russland unter ukrainischer Lizenz gebaut. Zuletzt ist 2017 in Russland eine AN-148 vom Band gerollt. Die Ukraine hat die Produktion schon länger eingestellt, weil die Nachfrage stark zurückgegangen war. Antonow-Maschinen fliegen heute vor allem in der Ukraine, Russland und China.

Unter anderem nutzen verschiedene Abteilungen des russischen Verteidigungsministeriums sowie das russische Zivilschutzministerium explizit auch Maschinen des Modells AN-148. Auch der russische Geheimdienst hatte noch 2014 drei solche Maschinen bestellt. Über die Auslieferung ist jedoch nichts bekannt.

Im kommerziellen Bereich verkehren AN-148 für verschiedene regionale Fluggesellschaften wie Saratov oder auch Angara Airlines.

Bislang haben nur Saratov Airlines mitgeteilt, dass sie den Betrieb ihrer AN-148-Maschinen wenigstens vorübergehend einstellen, solange die Ermittlungen zur Absturzursache nicht abgeschlossen sind.

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