Abzocke mit Kalkül: Russlands Online-Piraten agieren jetzt global

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2019 erlitt der Online-Pirateriemarkt in Russland zum ersten Mal seit fünf Jahren einen Verlust von 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vor Jahresende entdeckten illegale Streaming-Webseiten und Kasinos jedoch neue Einnahmequellen, auch außerhalb Russlands. Wo steht die Online-Piraterie im Jahr 2020?

Das auf Online-Sicherheit spezialisierte Unternehmen Group-IB hat kürzlich die Ergebnisse einer Marktanalyse für Russland vorgestellt. Demnach ist der Markt für Internet-Piraterie im Jahr 2019 von 87 Millionen USD/ 74 Millionen Euro (2018) auf 63,5 Millionen USD/ 54 Millionen zurückgegangen. Trotz des Einbruchs gewann der Markt Anfang 2020 wieder an Stärke. Die Online-Piraten haben neue Einnahmequellen entdeckt und sich auf dem internationalen Markt ausgebreitet. 

Ein illegales Netzwerk 

Die Online-Piraterie verdankt ihren Erfolg im Wesentlichen Kasinos (Lucky Partners und Welcome Partners) und Online Wettbüros (1xBet, Melbt, Parimatch, Linebet, Orca88, Bwin usw.). Diese Unternehmen haben eine große Reichweite durch ihre Werbung auf illegalen Sport- und Streaming-Webseiten. Nach den Daten, die Group-IB, gesammelt hat, liegt der Anteil der Werbung, die Online-Buchmacher in den GUS-Staaten auf illegalen Streamingportalen schalten, bei mehr als 80 Prozent. Diese Dienste erhalten entweder einen Anteil an den verlorenen Wetten, 20 bis 40 Prozent, oder ein Fixum für die Zahl der Registrierungen und erstmals platzierten Wetten. Eine Streamingseite, die täglich 70 bis 80 Leute an Melbet verweist, kann im Monat dadurch bis zu 1,5, Millionen Rubel (17.300 Euro) verdienen. 

Abgesehen davon sponsern Buchmacher wie 1xBet (dessen Hauptdomainname 2016 von der Regierung gesperrt wurde) Raubkopien und die Synchronisation und den Vertrieb russischer Filme. Ausländische Produktionen werden immer noch größtenteils in russischer Sprache gestreamt. Seit 2015 hat 1xBet Raubkopien von 17 Synchronstudios gesponsert, auf die 80 Prozent des Synchronmarktes entfielen. Über 900 Filme und Shows wurden mit Unterstützung von 1xBet synchronisiert. Die Wettagentur gibt monatlich etwa 5.000 bis 8.300 US-Dollar für Synchronisationsaufträge aus, berichtet Group-IB.

Russische Banken und Zahlungsdienstleister tragen Mitschuld  

Russische Banken und Zahlungssysteme wie Visa und Mastercard haben zur Verbreitung dieser illegalen Unternehmungen beigetragen, heißt es in dem Bericht. Zum Zeitpunkt der Zahlung per Karte müssen Banken normalerweise einen speziellen Verkäufercode angeben, der als „Merchant Category Code“ (Händlerkategoriencode) bezeichnet wird. Damit können die Aktivitäten und Einnahmen des Unternehmens, das die Zahlungen erhält, nachverfolgt werden. Kasinos und Buchmacher erhalten ihren eigenen MCC-Code - 7995, wodurch sie in die Kategorie Online-Glücksspiele eingestuft werden. Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union bekämpfen die Piraterie in ihrem Hoheitsgebiet, indem sie Transaktionen blockieren, die diesen Code verwenden.

Laut der Studie haben russische Banken jedoch ihre eigenen Codes für Online-Kasinos. Beispielsweise darf Azino Casino den Code 6012 nutzen, der normalerweise Kreditunternehmen und Zertifikatsanbietern zugeordnet ist. Dies ermöglicht illegalen Unternehmen, Geld von Spielern und Kunden zu erhalten, ohne die Zahlungsdienstleister und die russische Zentralbank zu alarmieren.

Die Forscher erklären, dass dies ein russisches Problem sei. Die Hauptniederlassungen von Visa und Mastercard ignorierten die Verstöße.

Umgehen von Sperrungen 

Eine der wichtigsten Rollen bei der Verbreitung von Raubkopien spielen sogenannte Load Balancer - gigantische Knotenpunkte von Filmen, Musik, Spielen und anderen Inhalten. Online-Piraten wählen den gewünschten Inhalt aus, greifen auf die Links zu und setzen sie auf ihre Webseiten. Load Balancer machen bis zu 80 Prozent der Online-Filmpiraterie in Russland und den GUS-Ländern aus.

In Russland wurden diese Dienste 2019 aktiv blockiert. Im Jahr 2020 gab es jedoch eine zweite Welle von Load Balancern. Heute umgehen sie erfolgreich Sperrungen durch die häufige Änderung von Domainnamen und IP-Adressen sowie die Verwendung von Spiegel- und Sicherungsseiten, die von verschiedenen Anbietern gemietet werden.

Bis Ende 2019 war ZeroCDN einer der beliebtesten Kanäle des russischen Unternehmens Mnogobayt - eines Cloud-Speicherdienstes, der von 38 bis 60 Prozent der russischen Piratenseiten genutzt wird.

Abgesehen davon entdeckten die Forscher eine Reihe von Webadressen, die auf Piratenseiten führen und zur russischen Firma DDOSGVARD gehören - einem Content-Distributor und Host, der auch DDoS-Schutz bietet. Laut Experten bietet das Unternehmen auch Online-Piraten seine Rechenleistung an, hilft dabei, die Identität des ursprünglichen Hosts zu verbergen, und erschwert die Identifizierung der Eigentümer.

Malware auf den Piratenseiten 

Film-Streaming-Seiten, Torrent-Tracker und andere illegale Inhaltsanbieter verbreiten häufig Malware - normalerweise geht es dabei um Geldbetrügereien. 

In der Zeit der COVID-19-Pandemie entdeckte Group-IB über 1.300 Piraten-Webseiten, von denen 23 Prozent gefährliche Viren enthielten. Jeden Monat besuchen über 76,8 Millionen Benutzer die Webseiten. Die „.RU“-Domains weisen bei weitem die größte Konzentration an Malware auf.

Internationaler Markt 

Einer der größten Wettanbieter, 1xBet, trat nach einer Reihe von Blockaden im Inland in den Markt der Entwicklungsländer ein, insbesondere in Brasilien, Indien und Thailand. Das Wettbüro habe diese Länder aufgrund besonderer gemeinsamer Merkmale ausgewählt, darunter die Tatsache, dass die Mehrheit ihrer Bevölkerung nicht gut Englisch spricht, gerne Sportübertragungen schaut und sorgloser im Umgang mit Geld sei, so der Bericht.

Darüber hinaus begann 1xBet im Jahr 2018 eine aktive Rolle bei der Produktion von Inhalten für den internationalen Markt zu übernehmen - einschließlich der Synchronisation von mehr als 500 Filmen und Serien. Die beliebtesten Sprachen waren Englisch, Spanisch, Tamilisch, Portugiesisch, Thailändisch und Hindi.

Verbot von Online-Kasinos und Piraterie-Memorandum 

Glücksspiel und Kasinos sind in Russland offiziell verboten (außer in vier speziell ausgewiesenen Regionen). Das Organisieren von Glücksspielen, einschließlich Online-Aktivitäten, ist eine Straftat und wird entweder mit einer Geldstrafe von 300.000 bis 500.000 Rubel (ca. 3.500 bis 5.700 Euro), 180 bis 240 Stunden gemeinnütziger Arbeit oder einer Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet.

Anders als (Online-)Kasinos sind Wettbüros in Russland immer noch legal, sofern sie über eine Lizenz verfügen. 1xBet und andere oben erwähnte Buchmacher haben keine.

Die russische Aufsichtsbehörde für Massenmedien, Telekommunikation und Datenschutz, Roskomnadzor, kann den Zugang zu Online-Glücksspielressourcen und Raubkopien ohne Gerichtsbeschluss einschränken. Die Aufsichtsbehörde berichtete, dass sie 2019 über 30.000 Online-Kasinos und im Jahr zuvor 47.000 Buchmacher gesperrt habe. Die Betroffenen erstellen jedoch Spiegelwebseiten und ziehen auf neue Server um.

Darüber hinaus veranlasste Roskomnadzor im November 2018 die Unterzeichnung eines Memorandums zur Bekämpfung von Piraterie, wonach Yandex, Mail.ru und Rambler angewiesen werden, Verweise auf illegale Glücksspiel- und Streaming-Webseiten aus ihren Suchergebnissen zu löschen.

Das Memorandum läuft am 31. November 2021 aus, so der stellvertretende Vorsitzende von Roskomnadzor, Wadim Subbotin, der von über zwei Millionen Links zu illegalen Diensten berichtet, die im Zeitraum von November 2018 bis Januar 2020 gelöscht wurden.

Group-IB schickte Kopien seiner eingangs erwähnten Marktanalyse an die Staatsanwaltschaft sowie an internationale Strafverfolgungsbehörden und Hauptniederlassungen wichtiger Zahlungsdienstleister wie Visa und MasterCard. 

Laut dem Pressedienst von Group-IB hat Roskomnadzor ebenfalls Interesse an der Analyse gezeigt. Die Aufsichtsbehörde hat zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels auf die Bitte von „Russia Beyond“ um eine Stellungnahme noch nicht reagiert. 

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