Schwimmende Startplattform: Comeback des weltweit einzigartigen Kosmodroms „Morskoi Start“?

Witalij Ankow/Sputnik
Die einzigartige Struktur galt bereits als tot. Nun pumpt die russische Regierung plötzlich Milliarden in ein schwimmendes Kosmodrom. Was sind die Gründe?

Das schwimmende Kosmodrom „Morskoi Start“ (auch bekannt als „Sea Launch“) ist eine Quelle des Stolzes und der Hoffnung für das Land, seit es in private Hände übergegangen ist. Es war das erste nichtstaatliche Kosmodrom und Russlands einziges privates Projekt dieser Art.  Russland hat hart für das Projekt gekämpft, das wirklich einzigartig ist.  

Die Einzigartigkeit macht es auch so besonders. Das mobile Kosmodrom ermöglicht Raketenstarts mitten im Pazifik, direkt vom Äquator aus. Diese geografische Position ermöglicht die effizienteste Nutzung des Erdspins. So kann die Nutzlast enorm gesteigert werden. Auch Elon Musk (eng) ist ein Fan der Idee. Aber wie kam Russland an dieses Kosmodrom? 

Das Projekt war zunächst ein internationales, aber mit russischen Wurzeln. 1993 wurde die Idee eines schwimmenden Kosmodroms von einer Firma namens Energia entwickelt (eng) - dem führenden Raketenbauunternehmen in Russland. Das Land hatte nicht genug Mittel dafür und so wurden ausländische Partner gesucht. Die Anteile am Projekt wurden schließlich aufgeteilt zwischen Boeing (40%), Energia (25%), den ukrainischen Konstruktionsbüros Juschnoje und Juschmasch (5% bzw. 10%) und dem norwegischen Unternehmen Aker Kvaerner (heute Aker Solutions). 

In einem Hafen im Baltikum lag damals das Bohrschiff „Odyssee“. Dessen Brand im Jahr 1988 ging als eine der größten Seekatastrophen in die Geschichte ein. Danach rostete das Bohrschiff in den Docks im schottischen Dundee, bevor es zur Reparatur nach Wyborg gebracht wurde. 

Die „Odyssee“, das dazugehörige Kommandoschiff und das Bodenkontrollzentrum in Long Beach, Kalifornien, bildeten zusammen das Projekt „Morskoi Start“. Ab 1998 wurden dort 36 Starts durchgeführt - 32 davon erfolgreich. Dies reichte jedoch nicht aus, um die Ausgaben zu kompensieren. Daher meldete das Betreiber-Konsortium 2009 Insolvenz an. Die Infrastruktur ging zunächst in die Hände von Energia und Roskosmos über. Später, im Jahr 2016, wurde sie Eigentum der privaten Raumfahrtgesellschaft S7 Space. Bloomberg schätzte (eng) den Wert damals auf 100 Millionen US-Dollar.

„Morskoi Start“ wurde zum wichtigsten Aktivposten von S7 Space. Das Unternehmen plante (rus), mit „SpaceX“ von Elon Musk zu konkurrieren und eine eigene Trägerrakete zu entwickeln. Der Name des Gründers von S7, Wladislaw Filew, wurde in einem Atemzug mit Elon Musk und dem Amazon-Chef Jeff Bezos genannt (eng). Von einem spannenden Weltraumrennen war die Rede.  Jedoch war das Kaufobjekt von S7 nicht im Top-Zustand und brachte kein Geld ein. Das Projekt hatte alle möglichen Probleme, die S7 eigentlich überwunden glaubte. 

Weiterträumen trotz Pandemie 

Eines der größten Hindernisse ist aktuell das Fehlen von Raketen. Aufgrund der Ereignisse in der Ukraine im Jahr 2014 hatte sich Juschmasch, das ukrainische Konstruktionsbüro, geweigert, die speziell bei „Morskoi Start“ eingesetzte Zenit-Rakete zu liefern. Die Privatisierung des Projekts hat das Problem nicht lösen können. Das komplexe Lieferschema zwischen der Ukraine, den USA und Russland ist nicht realisiert worden. 

Die Startplattform „Odyssee“ bei der Ausfahrt aus dem Suezkanal Richtung Rotes Meer im Jahr 1998. Im Hintergrund eine Moschee. 

Das Unternehmen setzte dann auf die Roskosmos Rakete Sojus-5, die jedoch erst 2023 erhältlich sein wird. Da die Raketen nicht von US-Territorium aus gestartet werden können, musste das gesamte Kosmodrom über den Pazifik in die Region Primorje transportiert werden. Für das Projekt musste eine separate Infrastruktur von Grund auf neu erstellt werden. Die Plattform wurde seit 2014 nicht mehr genutzt. 

Das Coronavirus schien der letzte Sargnagel der Ambitionen von S7 zu sein. Angesichts der daraus resultierenden finanziellen Verluste des Unternehmens wurde das Kosmodrom als nicht zum Kerngeschäft gehörender Vermögenswert zum Verkauf angeboten. Doch noch im Juni 2020 sah niemand einen Sinn (rus) darin, sich am Projekt zu beteiligen. 

Prestige ist mehr wert als Geld 

Weder Rosatom - einer der bekanntesten Kaufinteressenten - noch staatliche Unternehmen wollten Milliarden von Rubel in ein unrentables Projekt pumpen, während sie im Wettbewerb mit Elon Musks Projekten standen. Eine Roskosmos nahestehende Quelle erklärte (rus), S7 habe schon vorgehabt, die Plattform abzuwracken. Das ist jedoch nicht passiert. 

Der stellvertretende Premierminister Juri Borisow sprach (rus) auf der Waffenausstellung „Armee-2020“ in Russland über den Plan zur Wiederbelebung des Kosmodroms. Dafür sollen Berichten zufolge 55 Milliarden Rubel (ca. 465 Mio. USD) bereitgestellt werden. Die Entscheidung wurde nach Rücksprache mit Präsident Wladimir Putin getroffen, sagte Borisow.

Die Finanzierung bleibe „eine offene Frage. Rosatom, Roskosmos und S7 werden voraussichtlich dem Board of Investors beitreten, zu dem auch „andere verschiedene Fonds und Banken gehören werden, denn wir brauchen Geld.“ Borisow erklärte die Entscheidung, wieder in das Programm zu investieren, wie folgt: „Es wäre dumm, ‚Morskoi Start‘ nicht zu renovieren und es zu nutzen. Technisch ist alles möglich.“  

Unabhängige Experten sehen nur einen wirklichen Grund dafür: Das mit dem Restart des Projektes verbundene Prestige. „Aus technischer Sicht ist es immerhin ein interessantes Projekt - die einzige schwimmende Plattform der Welt, sagte Witali Jegorow, der Gründer des Projekts „Open Space“.

Laut Jegorow ist „Morskoi Start“ für russische Interessenten kommerziell nicht von großer Bedeutung. „Es wird in der Tat mit der russischen „Angara-A5“ und der „Wostochni“ konkurrieren. Es wird nicht genug Aufträge für alle Projekte geben. Die Konkurrenz durch SpaceX auf dem Weltmarkt ist hart.“ 

Eine Luftaufnahme des Schwerlastträgers Xin Guang Hua in Hongkong mit der mobilen Startplattform Odyssee beim Eintreffen im Hafen von Slawjanka. 

Der ehemalige Suchoi-Konstrukteur Wadim Lukaschewitsch sagt (rus): „Nur die Regierung ist in der Lage, ‚Morskoi Start‘ zu kaufen. Und es spielt keine Rolle, wer im Board of Investors sitzen wird, egal ob nun Rosatom, Roskosmos, OAO Unified Energy System von Russland, Sberbank, Gazprombank oder VTB. Kein vernünftiger Geschäftsmann würde Geld in ein Unternehmen investieren, das schon zweimal Bankrott ging, jedes Mal mit einem großen Skandal.“

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