Die Erklärung für dieses Paradox ist relativ einfach: Obwohl die Raumfahrer der einzelnen Länder dieselben Aufgaben ausführen und sich sogar Raumschiffe und die internationale Raumstation ISS teilen, hat jedes Land seine eigenen Anforderungen an Vorbildung und Fitness.
Das geht so weit, dass der erste Mann im All, Juri Gagarin, vermutlich nie zu einer Legende geworden wäre, wäre er in den USA geboren. Vermutlich hätte die NASA nicht einmal seine Bewerbung angenommen.
Das erste Team
Als Gagarin 1960 ins erste Raumfahrerteam der Welt aufgenommen wurde, war er nicht etwa Astronom, Raketeningenieur oder Geophysiker, sondern gelernter Gießereitechniker mit einem Diplom vom Technikum. Dafür hatte er bereits als Testpilot der sowjetischen Luftwaffe etwas Flugerfahrung sammeln können. Auch die anderen zukünftigen Kosmonauten waren zumeist militärische Testpiloten. Akademische Vorbildung wurde von den Anwärtern nicht erwartet.
Ganz anderes sah es da in den USA aus. Neben 1.500 Flugstunden mussten die Astronautenanwärter auch einen Hochschulabschluss (mindestens einen Bachelor) vorweisen. Hätten dieselben Kriterien auch für die ersten sowjetischen Kosmonauten gegolten, wären gerade einmal zwei von ihnen aufgenommen worden: Pawel Beljajew und Wladimir Komarow, die jeweils einen Abschluss von der Akademie der Luftwaffe hatten. Allerdings wäre zumindest Komarow wohl kaum auf 1.500 Flugstunden gekommen.
Auf der anderen Seite hätten allerdings auch nur drei amerikanische Astronauten auch sowjetische Kosmonauten werden können: Virgil Grissom, Scott Carpenter und Gordon Cooper (wobei auch schon die Aufnahme Carpenters, der nie ein Kampfflugzeug geflogen ist, fragwürdig gewesen wäre). Grund dafür sind hauptsächlich Anforderungen an die körperlichen Voraussetzungen, die in der Sowjetunion etwas strenger waren. So durften sowjetische Kosmonauten maximal 1,70 m groß und 35 Jahre alt sein. In den USA waren es 1,80 m und 40 Jahre.
Die Erlaubnis zum Weltraumflug
Auch im weiteren Bewerbungsprozess hatten beide Länder ihre eigenen Regeln. In der UdSSR mussten die Kosmonauten nicht nur über beste körperliche Fitness verfügen, kerngesund und Kampfpiloten sein, sondern auch Mitglied der Kommunistischen Partei. Diese Grundvoraussetzungen blieben bis zum Ende der Sowjetunion bestehen und führten dazu, dass es nie zu viele Kosmonauten gab. Dennoch gelang es immer, die drei Plätze im Sojus-Raumschiff mit den idealen Kandidaten zu besetzen.
In den USA sah dies etwas anders aus. 1978 suchte die NASA erstmals seit 1969 wieder Astronauten, diesmal für das Space Shuttle-Programm. Obwohl das auf maximal acht Astronauten ausgelegte Space Shuttle in der Lage war, Fracht auch ohne Pilot in die Umlaufbahn zu transportieren, war es jedem klar, dass man für das bahnbrechende Programm zahlreiche neue Astronauten brauchen würde. Also senkte man die Kriterien abermals ab und erhielt prompt 8.000 Bewerbungen. Von diesen 8.000 schafften es allerdings dann doch nur 35 - darunter sowohl Militärpiloten als auch zivile Forscher.
Im 21. Jahrhundert öffnete man sich jedoch auch in Russland. Die Tatsache, dass bis dahin nur Militärpiloten und Spezialisten aus der Raumfahrtindustrie als geeignete Kandidaten angesehen wurden, führte in Verbindung mit den relativ niedrigen Einstiegsgehältern dazu, dass das Auswahlkomitee 2005 zugeben (rus) musste, zu wenige Kandidaten zu haben, darunter viele, die nicht wirklich qualifiziert for den Job waren.
Also lockerte man 2006 die Regeln und schaffte zum Beispiel die vorher vorgeschriebenen drei Jahre Berufserfahrung ab. Die russische Raumfahrtagentur Roskosmos ging sogar noch weiter und suchte potenzielle Kandidaten direkt an den Hochschulen. Studenten im letzten Semester wurde angeboten, direkt nach dem Abschluss ohne Berufserfahrung ins Kosmonautenteam aufzusteigen. Auch Wissenschaftler und Ärzte können heute Teil einer russischen Weltraumcrew werden.
Abhängig von der Technologie
Amerikanische Astronautenanwärter hätten allerdings nach wie vor oft Schwierigkeiten, den russischen Auswahlprozess zu überstehen. Das liegt an den strengen Anforderungen an die Körpermaße - es gibt Regeln für Brustumfang, Schuhgröße, Hüftumfang und sogar für den Winkel der Achselhöhlen. Diese richten sich nach den Dimensionen der sowjetischen Raumschiffe und haben sich in all den Jahren nicht verändert. Es wird erwartet, dass diese Voraussetzungen in der nahen Zukunft, wenn das Raumschiff Orjol (auch als Federazija bekannt) in Betrieb geht, fallen.
Die NASA hat solche universellen körperlichen Voraussetzungen nicht, stattdessen gibt es jeweils eigene Anforderungen und Tests für Piloten, Wissenschaftler und sonstiges Personal.
Auf beiden Seiten wird hingegen erwartet, dass man gut schwimmen kann, Russisch spricht (die zweite offizielle Sprache der ISS) und mindestens einen Bachelor in einem technischen Fach oder in einer Naturwissenschaft hat. Das Alterslimit gibt es dagegen nicht mehr, genau so wenig wie die Voraussetzung, perfekt sehen zu können.