Innovativ: Russland erfindet neue Wege, im Weltall Gemüse anzupflanzen

Wissen und Technik
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Keine Schwerkraft, kein elektromagnetisches Feld, kein Sonnenlicht: Mit der Frage, wie im Weltraum trotz dieser widrigen Bedingungen Gemüse angepflanzt werden könnte, beschäftigen sich Wissenschaftler bereits seit mehr als 50 Jahren. Russischen Forschern ist jetzt ein Durchbruch gelungen.

Das Kapillarsystem 

Als „Vitamin-Weltraum-Gewächshaus“ wird „Vitacikl-T“ bezeichnet, ein Titanrohr-Aufbau, mit dem durch ein Förderbandsystem Gemüse an Bord der Internationalen Raumstation angebaut werden kann. Es wurde entwickelt, nachdem Russland 2016 sein eigenes Lada-Gewächshaus verloren hatte. Die modifizierte Version schaffte es zwar in die Umlaufbahn, wurde aber dann zusammen mit dem Raumschiff Progress in die Luft gejagt. 

Die neue Konstruktion besteht aus einer sich drehenden Trommel mit sechs Wurzelmodulen. Nach und nach werden die Module im Abstand von vier Tagen bepflanzt. Nach 24 Tagen kann im ersten Modul geerntet werden. Nach der Ernte wird erneut ausgesät. Ein Zyklus läuft 44 bis 66 Tage. So wurden vorerst mehr und bessere Ergebnisse erzielt als bisher mit allen anderen im Ausland hergestellten Weltraumgärten.

Eine weitere Erfindung ist hier das poröse Titanrohrsystem, das wie ein Adergeflecht den künstlichen Boden durchdringt, um Wasser zu transportieren. „Man kann Pflanzen im Weltraum nicht herkömmlich gießen. Das Wasser würde in alle Richtungen davonfliegen. Wenn Sie aber eine solche Kapillarröhrenstruktur verwenden, sickert das Wasser langsam durch die Poren bis zu den Wurzeln der Pflanzen“, erklärt Maksim Schewerdjajew, Leiter der Abteilung für spezielle nichtnukleare Materialien bei Rosatom.

Drucksensoren messen die Feuchtigkeit. Wenn der Boden zu trocken wird, wird per Computersteuerung mehr Wasser zugeführt.  

Experimente für eine Weltraumfarm 

Tatsächlich ist es russischen Kosmonauten schon häufiger gelungen, Pflanzen im Orbit zu züchten. Die ersten Kulturen wurden bereits 1960 mit dem zweiten Sputnik-Schiff zusammen mit Belka und Strelka - den beiden berühmten Hunden – ins All geschickt. Wie haben die Samen auf die Schwerelosigkeit reagiert? War die Ernte für den Verzehr geeignet? Wurde die DNA der Pflanzen beeinflusst? All diese Fragen (und mehr) haben viele Experimente nach sich gezogen, die zur Entwicklung des autonomen High-Tech-Systems geführt haben, das in Zukunft zweifelsohne seine Daseinsberechtigung haben wird. 

Das Wachstum selbst geht vorerst in einem recht kompakten Aufbau vonstatten, wie im amerikanischen Segment der ISS und - bis vor kurzem - im russischen. Von einem Gewächshaus für Massenproduktion kann noch nicht die Rede sein. 

„Es gibt zwei Möglichkeiten, wie Wachstum in der Schwerelosigkeit stattfinden kann. Die Pflanzen heften sich entweder an eine Oberfläche, wickeln sich um diese oder sie tendieren zu einer Lichtquelle - alles hängt von ihrem Typ ab“, erklärt (rus) der Kosmonaut Sergey Prokopjew. „Die Pflanzen werden hydroponisch angebaut. Horizontal angebrachte Behälter mit künstlichem Substrat erhalten Saatgut und es werden Bedingungen geschaffen, unter denen Luft durch die Kapsel in das Gewächshaus eindringen kann.“

Mittlerweile werden Wasser und Nährstoffe automatisch zugeführt. Der Weg dahin war jedoch schwierig. Bisher wurde und wird dies teilweise manuell über Spritzen und Schläuche von den Astronauten erledigt. 

1974 gab es an Bord der Orbitalstation „Salut-4“ ein Hydrokultur-Setup namens „Oasis“. Der Kosmonaut Georgi Gretschko versuchte auf diese Weise, Erbsen anzubauen. Es gab keine Pflanzerde, die Erbsen mussten durch ein durchnässtes Netz wachsen. Bald nach Arbeitsbeginn traten riesige Wassertropfen aus dem Schlauchsystem aus, und Grechko musste sie mit Tüchern auffangen. Am Ende schnitt er den Schlauch ab und goss per Hand. 

Dies war jedoch nicht das einzige Problem. Gretschko glaubte, dass die Sprossen im Netz falsch wuchsen und holte sie heraus. Er hatte jedoch Wurzeln und Stängel verwechselt. 

Dennoch wurde das Experiment erfolgreich abgeschlossen. Die Erbsen begannen ihren Zyklus - vom Samen bis zum Stängel. Von den 36 Samen wuchsen jedoch nur drei an. Die Wissenschaftler vermuteten, es liege an den genetischen Eigenschaften, die von der Ausrichtung der Erde abhingen - der Geotropie: Der Spross tendiert immer zum Licht und zum Stamm in die entgegengesetzte Richtung.

Die Erde imitieren

Nachdem dieser Faktor berücksichtigt worden war, wurde das Setup geändert und neue Samen wurden mit Erfolg in den Orbit geschickt. Aber die Pflanzen blühten nicht - genau wie 1980 bei einem Versuch mit Orchideen. Es kam die Vermutung auf, dass das Erdmagnetfeld auch eine Rolle spielte. 

Der Vater der Kosmonautik, Konstantin Ziolkowski, hatte einen Lösungsvorschlag und entwickelte einen Plan zur Schaffung eines künstlichen Gravitationsfeldes, bei dem die Pflanzen in einer Zentrifuge gezüchtet wurden. Diese praktische Lösung gab es bereits 1933. Die Zentrifuge hat geholfen: Die Sprossen drehten sich nach dem Vektor der Zentrifugalkraft.

Nach diesem Erfolg brachten Kosmonauten weiterhin Samen in den Weltraum und bauten erfolgreich Zwiebeln, Weizen, Salat, Kohl und andere Kulturen an - und dies auch im Freien. In den Jahren 2007 bis 2008 gab es das Experiment „Biorisk“, bei dem Senfkörner, Reis, Tomaten, Radieschen, Hefe, Kresse und Nicandra 13 Monate lang in einem Container an Bord der ISS wuchsen. Die Tomaten gingen ein, aber das andere Gemüse konnte frisch zur Erde zurückgebracht werden. 

Der Verzehr von im Weltraum angebauten Kulturen ist seit den 1980er Jahren gesetzlich erlaubt. Wissenschaftler haben die Auswirkungen dieser Anbaumethode umfassend untersucht und für sicher befunden.