Hoffnung für Blinde: Russische Wissenschaftler setzen Gehirnimplantat erfolgreich bei Affen ein

Wissen und Technik
NIKOLAJ LITOWKIN
Dank des Gehirnimplantats sollen blinde Menschen wieder sehen können. In Russland werden die Kosten vom Staat übernommen.

Ende Januar 2021 setzten Neurochirurgen und Ärzte des Forschungsinstituts für medizinische Primatologie in Russland erfolgreich ein neuronales Implantat in das Gehirn eines Pavians ein. Das Gerät trägt den Namen „ELVIS“ und soll blinden Menschen im Alter von 24 bis 65 Jahren das Augenlicht zurückgeben, unabhängig davon, ob die Blindheit angeboren oder erworben ist. Voraussetzung ist jedoch ein voll entwickeltes erwachsenes Gehirn. Das neuronale Implantat überträgt die Konturen von Objekten, die mit einer Kamera erfasst werden, die am Kopf des Versuchstieres befestigt ist, direkt in sein Gehirn. Die Kamera ist an einem Stirnband befestigt, das zum Schlafen abgenommen werden kann. Im Inneren des Geräts befindet sich ein Sensor, der das Bildmaterial liest und ähnlich wie Wi-Fi funktioniert, um Wellen ins Gehirn zu senden. 

Die Erfindung wird derzeit in präklinischen Versuchen an Tieren getestet. Die Wissenschaftler haben die Elektronik in das Gehirn eines Primaten implantiert und werden die Forschung fortsetzen, sobald der Genesungsprozess abgeschlossen ist. „Wir haben etwa zehn Tests geplant. Alles beginnt mit dem Erkennen von geometrischen Formen. Im Verlauf der Tests muss der Primat sein neu gewonnenes Sehvermögen nutzen, um die Objekte (Dreieck, Kugel, Würfel) in die entsprechenden Räume einzupassen. Dies ist die grundlegendste Aufgabe, mit der wir feststellen können, wie sich das neuronale Implantat an das Gehirn des Affen anpasst", erklärt Denis Kuleschow, Leiter des Sensor Tech-Labors. 

Primaten wurden für die Versuche ausgewählt, weil ihr Gehirn dem unseren strukturell ähnelt und sich besser für diese Art von Tests eignet, so die Entwickler.  

„Wir haben das Tier nicht geblendet oder in irgendeiner Weise traumatisiert. Wir haben ihm ein zweites - computergesteuertes - Sehvermögen gegeben, das aus der Ferne eingeschaltet werden kann und es ihm ermöglicht, die Konturen von Formen in völliger Dunkelheit zu erkennen", erklärt Kuleschow. 

Was sieht das Implantat? 

Das Sehen mit dem Implantat unterscheidet sich grundlegend von dem, was wir im täglichen Leben gewohnt sind. Der Mensch ist in der Lage, zwischen verschiedenen Farben und Details von Objekten zu unterscheiden. Aber das Implantat (in diesem Stadium der technologischen Entwicklung) wird nur die Übertragung von Konturen in das Gehirn ermöglichen. 

„Die Welt um uns herum erscheint ausgefüllt, als hätte jemand sie mit einem schwarzen Marker versehen. Man sieht die Konturen von Objekten ohne Details. Vereinfacht gesagt, sehen Sie eine Person vor sich, aber sie können diese Person nicht allein mit den Augen identifizieren", erläutert Kuleschow.  

Ihm zufolge ermöglichen es die Konturen den Blinden, sich frei auf den Straßen zu bewegen und öffentliche Verkehrsmittel ohne die Hilfe von Blindenhunden oder Freunden und Verwandten zu benutzen. Das Problem der „Detailwahrnehmung“ will das Unternehmen mit Hilfe künstlicher Intelligenz lösen. 

„Wir haben einen Sprachassistenten eingebaut, der Blinden helfen wird, zu erkennen, ob sie Elena oder Michail vor sich haben. Der Chip enthält eine Datenbank mit deren Freunden und Verwandten, die es dem Computer ermöglicht, die Person vor einem zu identifizieren“, so der Entwickler weiter.  

Verfügbarkeit und Preis des Gerätes 

Die Versuche mit freiwilligen Teilnehmern werden 2024 beginnen. Nachdem die Tests und die Zertifizierung von „ELVIS“ abgeschlossen sind, wird „ELVIS“ auf dem in- und ausländischen Markt eingeführt.  

Der gesamte klinische Zyklus (Installation des Geräts, Operation, Rehabilitation, klinische Versorgung) wird voraussichtlich etwa fünf Millionen Rubel (ca. 58.000 Euro) kosten. Weltweit gibt es bereits konkurrierende Geräte, aber die Verfahren sind erheblich teurer als die russische Variante. 

„Russen werden den Eingriff auf Staatskosten durchführen lassen können. Dieses Privileg gibt es im Ausland nicht", so Kuleschow abschließend.  

Jeder Russe in Russland oder im Ausland kann an dem Programm teilnehmen. Die Sensor Tech-Technologie soll Ende der 2020er Jahre in Russland und später weltweit verfügbar sein.