Das Flaggschiff der Expeditionsflotte Witjas.
Nikita Zenkevich/SputnikDer Marianengraben ist ein ozeanischer Graben im westlichen Pazifik. Er hat die Form einer Mondsichel und ist ca. 2.500 Kilometer lang. Hier befindet sich der tiefste bekannte Punkt der Weltmeere, der nach der Korvette, von der aus er entdeckt wurde, Challenger-Tiefe genannt wird.
Während die durchschnittliche Tiefe des Pazifiks vier Kilometer beträgt, beträgt sie im Marianengraben etwa elf Kilometer. Der Wasserdruck am Grund erreicht dort 1.100 Bar, mehr als das 1100-fache des normalen atmosphärischen Drucks an der Wasseroberfläche.
Der Ort ist nicht so gut erforscht wie die Rückseite des Mondes und wurde von weniger Menschen besucht als der Weltraum. Doch gerade wegen seiner Unzugänglichkeit war der Marianengraben zu einer wahren Herausforderung für die Menschheit geworden. Wie tief ist er? Und könnte Leben in einer solchen Tiefe existieren? Dies waren die Schlüsselfragen.
Der Marianengraben wurde erstmals 1875 von einer britischen Expedition entdeckt. Damals ermittelte die Korvette Challenger mit einem Tiefseeschleppnetz eine Tiefe von 8.367 Metern. Die Bodenprobe bestand aus dunklem Vulkansand, und die Wassertemperatur lag unter 1 °C. Alle Instrumente, die mit dem Lot in die Tiefe gesenkt wurden, zerbrachen oder wurden durch den enormen Druck beschädigt geborgen. Es war zu dieser Zeit nicht die größte gemessene Tiefe. Generell war damals die ganze Welt auf der Suche nach diesem „letzten Grund“ des Planeten und durchpflügte die bekannten Ozeangräben. Im Jahr zuvor hatte das amerikanische Schiff Tuscarora einen Punkt nordöstlich von Tokio in einer Tiefe von 8.513 Metern ausgemacht.
Challenger 2
Archive photoDen nächsten Versuch, diesen Punkt im Marianengraben zu finden, unternahm 1899 das amerikanische Schiff Nero, ein Kabelverlegungsschiff, das in einem Graben bei Guam, der größten der Marianeninseln, eine Tiefe von 9.636 Meter ermittelte. Allerdings sind Lotmessungen aufgrund von Korrekturen für Neigung, Biegung, Dehnung des Kabels usw. mit zahlreichen Fehlern behaftet.
Mehr als 30 Jahre später „ertasteten“ die japanischen Schiffe Mansui, Kosui und Yodo mit Hilfe von Navigationsecholoten den neuen Grund, der fast 200 Meter tiefer lag als der vorherige – bei 9.814 Meter. Dies schien jedoch nicht die Grenze zu sein.
Im Jahr 1951 übernahm das neue britische hydrographische Schiff HMS Challenger (das nach der oben erwähnten Korvette benannt worden war) den Staffelstab und ermittelte mithilfe von Stahlkabeln 10.830 Meter. Das war der absolute Rekord. Die Tiefe war verblüffend. Das war mehr als die Höhe des größten Berges der Erde, des Mount Everests (8.849 Meter). Die Wissenschaftler waren überzeugt, dass in dem schwarzen Abgrund, in den kein Sonnenlicht eindrang, kein Lebewesen existieren konnte. Das glaubte man bis zur sowjetischen Expedition.
In den späten 50er und frühen 60er Jahren suchten die Sowjets, wie viele andere auch, nach der größten Tiefe des Ozeans. Das Flaggschiff der Expeditionsflotte war die Witjas. Die 1939 ursprünglich als deutsches Frachtschiff gebaute Mars mit einer Wasserverdrängung von fünfeinhalb Tonnen war den Sowjets nach dem Krieg als Reparationsleistung überlassen worden. Sie wurde für Forschungszwecke umgebaut und befuhr ab 1949 den Pazifik, den Indischen und den Atlantischen Ozean.
Das Flaggschiff Witjas.
Nikolai Nazarov/TASSZwischen 1957 und 1958 erforschte die inzwischen 18 Jahre alte Witjas zehn Tiefseerinnen im Marianengraben und ermittelte eine maximale Tiefe von 11.022 Metern. Dieser Rekord ist bis heute von niemandem gebrochen worden. Es wird angenommen, dass dies die maximale Tiefe der Weltmeere ist.
„In der Laborsektion, in der das Echolot stand, konnte man sich nicht umdrehen: Jeder wollte bei der Geburt der Entdeckung dabei sein“, erinnert sich einer der Teilnehmer an die 25. Expedition der Witjas im Jahre 1957. „Das Echolot zeichnete ein steiles Gefälle der Rinne. Die Tiefenlinie verschwand und tauchte dann plötzlich wieder auf. Alle starrten gespannt auf das Band: Wie wird der Hang enden? Endlich gab es einen flachen Bereich – den tiefsten Teil der Rinne. Es ertönte das Kommando: Alle Maschinen Stopp! und die Witjas schaukelte auf den Wellen; unter ihrem Kiel befand sich ein Abgrund, der viele Kilometer tief war. Die Hydrologen begannen mit ihrer Arbeit: Messungen mit dem Tiefseethermometer und die Bestimmung des Salzgehalts in verschiedenen Tiefen, Ermittlung der Korrekturen an den Echolotdaten. Die Stunden des Wartens zogen sich hin. Die Instrumente wurden an Bord eingeholt. Es musste noch ein wenig gewartet werde, um zu erfahren, ob es wirklich die größte Tiefe war... Schließlich war alles fertig, alle Berechnungen waren abgeschlossen. Es gab eine neue maximale Tiefe des Weltozeans, die von der Witjas entdeckt wurde – 11.022 Meter!“
Die sowjetischen Ozeanografen machten auf dieser Expedition jedoch eine viel wichtigere Entdeckung.
Vor der sowjetischen Expedition zum Marianengraben gehörten Annahmen über das Leben in einer Tiefe von über 6.000 Metern in den Bereich der Fiktion.
Aber auch diesen Mythos hat die Witjas widerlegt. Mit speziell entwickelten Schleppnetzen haben Wissenschaftler die Tiefseegräben des Pazifiks durchpflügt, um Mikroorganismen in den größten Tiefen zu finden. Damit wurde zumindest die Annahme widerlegt, dass Lebewesen unter einem solchen Druck nicht überleben können.
Später, im Jahr 1960, bestätigte eine Expedition unter der Leitung des Schweizers Jacques Piccard und des Amerikaners Don Walsh nicht nur die sowjetische Behauptung, dass es Leben in solchen Tiefen gebe. Am 23. Januar stiegen sie als erste Menschen in der Geschichte bis auf eine Tiefe von knapp elf Kilometer auf den Grund des Marianengrabens hinab.
Das Bathyscaphe Trieste tauchte fast fünf Stunden lang auf den Grund des Ozeans hinab. Sie verbrachten zwölf Minuten in dieser unvorstellbaren Tiefe und während sie eine Tafel Schokolade aßen, um ihre Kräfte wieder zu generieren, sahen sie eine Garnele und einen flunderähnlichen Fisch am Bullauge vorbei schwimmen.
Der Wettlauf um die Messung des tiefsten Punktes im Ozean ging weiter. Nach der sowjetischen Expedition im Jahr 1984 versuchten japanische Hydrographen, den Grund des Marianengrabens zu erreichen, und kamen zu dem Schluss, dass die Tiefe lediglich 10.924 Meter betrage, 98 Meter weniger als bei den sowjetischen Messungen.
Im Jahr 2020 erklärte Igor Denissow, stellvertretender Generaldirektor der Stiftung für fortgeschrittene Forschung (SFF), dass die Messungen der sowjetischen Witjas möglicherweise ungenau waren. Es wurde erneut eine Expedition an diese Stelle geschickt: eine moderne Witjas-Drohne wurde in die Senke geschickt, die 10.028 Meter aufzeichnete. „Dies bedeutet, dass es Informationen zum Nachdenken gibt: Hat die vorherige Witjas die Tiefe falsch gemessen oder hat der Boden selbst sich verändert? All dies ist Gegenstand von Überlegungen und Analysen“, so Dennisow.
Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist jedoch immer noch skeptisch, was den „neuen“ tiefsten Punkt des Ozeans angeht.
„Aus ozeanologischer Sicht ist das einfach nicht seriös“, erklärt Andrej Sokow, stellvertretender Direktor des Ozeanologischen Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften. „Im Jahr 1957 führte der sowjetische Apparat groß angelegte Erhebungen durch, eine harte Routinearbeit. Nicht umsonst heißt es, dass der Grund des Ozeans schlechter erforscht ist als die Rückseite des Mondes. Das hat einen tieferen Sinn. Es ist eine harte, ernsthafte Arbeit, all diese Tauchgänge, das Studium des Meeresbodens, die Passagen – das muss sehr systematisch und langfristig durchgeführt werden. Ich bezweifle sehr, dass das der Apparat [die Witjas-Drohne] eine solche Aufgabe hatte. Ich habe mit dem SFF gesprochen und habe nicht gehört, dass sie versucht hätten, den tiefsten Punkt zu entdecken. Ziel war es, den Apparat zu testen. Natürlich hat sich die Tiefe nicht verändert, sie ließen den Apparat einfach nur hinunter und überprüften die Koordinaten. Um den tiefsten Punkt im Jahr 1957 zu entdecken, waren sehr ernsthafte Vorarbeiten geleistet worden.“
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!