Wie sich die Wirtschaftskrise auf die Korruption auswirkt

Vladimir Smirnov/TASS
Seit der Wirtschaftskrise unternimmt Russland mehr Anstrengungen, die Korruption im Land zu bekämpfen. Der Korruptionsindex von Transparency International zeigt, dass es erste Erfolge gibt. Doch Schmiergelder werden weiter gezahlt, weniger oft, dafür aber höhere Summen.

Ein ungeheuerlicher Vorwurf aus Washington: Russlands Präsident Wladimir Putin sei korrupt. Das behauptet zumindest der amtierende Stellvertreter des US-Finanzministers und Beauftragte für Terrorbekämpfung und Finanzaufklärung Adam Szubin in einer 30-minütigen BBC-Dokumentation – ein bislang einmaliger Vorgang. In der Dokumentation, die unter dem Titel „Putins geheimes Vermögen“ am Montag auf BBC One ausgestrahlt wurde, heißt es, Wladimir Putin sei der reichste Mensch Europas. Er habe ein Vermögen von 40 Milliarden US-Dollar, besitze zudem eine Jacht und ein Schloss. Das sei ein offenes Geheimnis. Der Kreml bezeichnete die angeblichen Enthüllungen als haltlose Verleumdungen.

Wie um die Empörung zu unterstreichen, fand am folgenden Tag eine – allerdings zuvor geplante – Sitzung des russischen Antikorruptionsrats statt. Auf der Tagesordnung stand der immense volkswirtschaftliche Schaden, der durch Korruption in Russland entsteht. Wladimir Putin forderte von den Ratsmitgliedern harte Maßnahmen zu ergreifen, um illegal außer Landes gebrachtes Kapital wieder zurückzuholen. Immerhin steckt das Land in einer Krise. Im vergangenen Jahr wurden von gerichtlich festgestellten 15,5 Milliarden Rubel (180 Millionen Euro) Vermögen aus Korruption lediglich 588 Millionen Rubel (sieben Millionen Euro) beschlagnahmt. „Sie werden mir zustimmen, dass das eine recht bescheidene Summe ist“, kommentierte Putin.    

Dabei hat das Ausmaß der Korruption in Russland im vergangenen Jahr abgenommen, wie der am Tag nach der Sitzung veröffentlichte Korruptionsindex von Transparency International zeigt. Um 17 Punkte ist das Land in dem Ranking aufgestiegen und steht nun auf Platz 119 – in Gesellschaft mit Aserbaidschan, dem südamerikanischen Guyana und dem westafrikanischen Sierra-Leone. Die russische Wirtschaftskrise zwingt offenkundig auch die Vetternwirtschaft zum Maßhalten. 

Verteilungskämpfe um staatliche Gelder

Teils wirken auch die von Russland unternommenen Maßnahmen. So wurden im vergangenen Jahr Dutzende regionale Politiker – darunter zwei amtierende Gouverneure – verhaftet. Bei Alexander Chorowaschin, Gouverneur der Insel Sachalin, und einem weiteren Verdächtigen stellten die Behörden bei einer nächtlichen Razzia Millionenbeträge sicher. Chorowaschin wurde nach Moskau gebracht – reisen musste er in der zweiten Klasse. Verloren habe er gewirkt, berichteten Mitreisende.

Im Zuge dieses Skandals kam einiges an schmutzigen Geschäften ans Licht: Geldwäsche von bis zu 14 Millionen Euro, über fünf Millionen Euro Bestechungsgelder und dazu rund 150 Armbanduhren, die einen Einzelwert von 28 000 bis 925 000 Euro hatten. Gerüchte über „Säuberungen“ an der Spitze wurden immer lauter. Es schien, als ob der Staat der Maßlosigkeit nun endlich einen Riegel vorschieben und bei Korruptionsfällen kein Auge mehr zudrücken wolle. Doch nach diesem Skandal wurde es wieder still um die „Großen“. Es gab keine Verhaftungen mehr.

Neue Entwicklungen waren zu beobachten: Öffentliche Gelder wurden knapper. Und wenn der zu verteilende Kuchen auch kleiner geworden war, der Kampf darum wurde härter. „Tatsächlich verschärft sich der Verteilungskampf (um die Gelder aus dem föderalen Budget). Korruptionsvorwürfe werden nun genutzt, um unliebsame Gegner loszuwerden“, sagt Julij Nisnewitsch, Antikorruptionsforscher an der Higher School of Economics in Moskau. Wohl dem, der gute Beziehungen nach oben hat, so scheint es: Die Zuschüsse aus dem Staatshaushalt wurden im vergangenen Jahr für alle Regionen gekürzt, die Ausnahme war Tschetschenien. 

Die Ebbe in den öffentlichen Kassen wirkt sich zweifellos auf das Ausmaß der Korruption aus: „Die Krise, die der Kampf um staatliche Gelder auslöst, kann zugleich die Effizienz ihrer Verwendung stärken“, sagt Anton Pominow, Generaldirektor des Zentrums für Antikorruptionsforschung bei Transparency International Russia.

Weniger, aber höhere Schmiergeldzahlungen

Auch die Beamten des mittleren Dienstes seien seit Beginn der Krise vorsichtiger geworden.  Neue Korruptionsschemata etwa seien nicht aufgekommen. Zudem sei die Anzahl der „Beteiligungen“ von Beamten an neuen Wirtschaftsprojekten zurückgegangen, weil in der Krise keine neuen Akteure auf den Markt drängten. Die Höhe der durchschnittlichen Bestechungsgelder sei dennoch gestiegen. 2015 habe sie 8 740 Euro erreicht – im Vergleich zu 5 185 Euro im vergangenen Geschäftsjahr, heißt es beim russischen Verband der Anwälte für Menschenrechte.

„Das ist durch die Abhängigkeit des Korruptionsausmaßes von den außenwirtschaftlichen Beziehungen zu erklären“, sagt Verbandspräsidentin Maria Bast. Im vergangenen September hat sie den unabhängigen Jahresbericht der Russischen Antikorruptions-Organisation „Saubere Hände“ vorgestellt. Dort, wo es um wirklich großes Geld gehe – also um Staatsaufträge oder Konzessionen – würden Bestechungsgelder in Euro oder Dollar gezahlt. Seit dem Rubelsturz seien viele gezwungen, ihre „Gebühren“ zu erhöhen, um die Einkommen zu halten, erklärt die Expertin.

Im September 2015 schätzte die gemeinnützige Organisation das gesamte Korruptionsvolumen in Russland auf 54 Prozent der Wirtschaftsleistung – ein Rekordwert. Dieser Umstand treibt die Verantwortlichen offensichtlich dazu an, die Korruption als ein die Staatsfinanzen aufzehrendes Phänomen stärker ins Visier zu nehmen. Auf der besagten Sitzung des Antikorruptionsrats hat der Chef der Präsidialverwaltung, Sergej Iwanow, angeordnet, Instrumente auszuarbeiten, um notfalls Beamteneigentum konfiszieren zu können. Keine einfache Aufgabe. Denn um eine illegal erworbene Villa etwa in Griechenland einzuziehen, müssten die russischen Ermittlungsbehörden ihre griechischen Kollegen um Hilfe bitten. Doch gute Kontakte zu ausländischen Ermittlungsbehörden gebe es nicht, bemerkt Transparency International.

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