Los Angeles 1984: Wie Russland erstmals die Olympischen Spiele verpasste

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Russland Ausschluss von den Olympischen Winterspielen im Jahr 2018 wird nicht zum Boykott von russischer Seite führen. Bei den Olympischen Spielen in Los Angeles 1984 ging der Streit jedoch nicht so glimpflich aus.

„Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ein paar Wolken waren zu sehen, aber dennoch kam es plötzlich und unerwartet. Zuerst hat es sich so angefühlt, als hätte sich in der Erde ein Loch aufgetan, das alles verschluckt hätte und es nur noch Leere gäbe. Das Ziel, auf das man jahrelang hingearbeitet hat, ist plötzlich verschwunden… Es war unklar, was als nächstes passieren würde.“ So beschreibt der Schwimmer und viermalige Olympiasieger Wladimir Salnikow, Spitzname „Wellenmonster“, seinen Zustand, als er zum ersten Mal vom Boykott der Spiele in Los Angeles hörte.

„Sich nicht auf Präsident Carters Niveau herablassen“

Salnikows Aussage widerspricht eindeutig der Meinung, dass die sowjetischen Behörden aufgrund des US-Boykott der Moskauer Spiele 1980 als eine Art Rachefeldzug von Anfang an geplant hätten, nicht an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Damals stellte US-Präsident Jimmy Carter die Sowjets vor ein Ultimatum und verlangte, die sowjetischen Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Der Kreml ignorierte erwartungsgemäß die Forderung und die US-Athleten, die von Sportlern aus mehr als 60 Ländern unterstützt wurden, blieben im Sommer 1980 daheim.

Erster Stellvertretender Ministerpräsident der Sowjetunion Gejdar Alijew (r.) mit dem damaligen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees Juan Antonio Samaranch (l.) im Kreml, Dezember 1982

Die sowjetische Führung zeigte zunächst eine positive Einstellung gegenüber der Teilnahme an den Spielen in Los Angeles. Im Dezember 1982 sagte der hochrangige sowjetische Beamte Gejdar Alijew dem damaligen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees Juan Antonio Samaranch: „Wir bereiten uns auf die Spiele in Los Angeles vor. Wir hören Gerüchte über einen möglichen Boykott unsererseits. Wir werden uns nicht auf Carters Niveau herablassen.“ Daraus lässt sich schließen, dass die Sowjets geplant hatten, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Auch die aktuelle russische Regierung strebte eine normale Teilnahme an den Olympischen Spielen an, jedoch kam der Dopingskandal dazwischen.

Hysterie und gegenseitige Vorwürfe

Was bewegte Moskau also dazu, seine Haltung zu ändern? Vermutlich waren es die politischen Spannungen, die sich in der zweiten Jahreshälfte 1983 aufbauten. Am 1. September wurde im sowjetischen Luftraum ein Passagierflugzeug aus Südkorea abgeschossen – ein Ereignis, das im Westen für Aufruhr sorgte. Es folgte eine Intervention der USA im kommunistischen Grenada und die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa. Die politischen Beziehungen zwischen den beiden Supermächten hatten erneut einen Tiefpunkt erreicht.

Dampfschiff „Georgia“

Inmitten dieser politischen Hysterie und den gegenseitigen Vorwürfen forderte der Kreml von der amerikanischen Seite eine schriftliche Garantie, die Sicherheit der sowjetischen Athleten zu garantieren, die von den USA jedoch abgelehnt wurde. Ebenso wurde den Russen ein direkter Charterflug aus der UdSSR nach Los Angeles untersagt und dem Dampfschiff „Georgia“, das als „schwimmender“ Sportplatz diente, keine Erlaubnis gegeben, in einem amerikanischen Hafen zu bleiben. Im Mai 1984 entschloss sich schließlich das Politbüro unter der Führung des Generalsekretär Konstantin Tschernenko zum Boykott der Olympischen Spiele. Vierzehn weitere sozialistische Länder schlossen sich diesem an.

„Danke, Genosse Tschernenko“

Den meisten Nutzen aus diesem Boykott zog bei den Olympischen Spielen die USA. 83 Gold-, 61 Silber- und 30 Bronzemedaillen sowie insgesamt 174 der 221 Auszeichnungen gingen an die amerikanischen Athleten. Bis heute konnte dieser Rekord nicht gebrochen werden. Ein amerikanischer Kommentator bedankte sich sogar bei der Abschlusszeremonie beim „Genossen Tschernenko“ dafür, dass er „den USA mehr Goldmedaillen als jeder Sportler in der Geschichte der Olympischen Spiele bescherte“.

Bei Olympia 1988 in Seoul errangen sowjetische Sportler 55 Goldmedaillen. Auf dem Bild: das Turnerinnen-Team der UdSSR

Im Vergleich hatte die Sowjetunion 1980 drei Goldmedaillen weniger, jedoch mit insgesamt 195 Auszeichnungen mehr Silber- und Bronzemedaillen gewonnen. In die Olympischen Spiele 1984 wurden aus diesem Grund hohe Erwartungen gesetzt. „Nach den Spielen 1980 bekamen wir eine hervorragende finanzielle Unterstützung und moderne Sporteinrichtungen. Die Ergebnisse der Sportsaison 1983 gaben uns Anlass zur Hoffnung, dass wir mehr als 63 Goldmedaillen, im Vergleich zu den 40 Medaillen der DDR- und der 36 bis 38 Medaillen der amerikanischen Athleten, gewinnen würden können“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Sportkomitees der Sowjetunion Anatolij Kolesow später. „Ich war mir sicher, wir würden die Spiele gewinnen. Die Olympischen Spiele 1988 in Seoul bestätigten, dass ich Recht hatte. Wir schlugen sie alle.“ Bei den Wettkämpfen errangen Sportler der UdSSR 55 Goldmedaillen, die USA nur derer 35.

Das Internationale Olympische Komitee hatte mit Juan Antonio Samaranch in der Mittlerrolle insgesamt viel für die Verhinderung des Boykotts sowie für die Vermittlung zwischen den USA und der Sowjetunion getan. Leider waren beide Seiten nicht zu einer Einigung bereit.

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