Fünf einfache Dinge, von denen jeder Sowjetbürger geträumt hat

Geschichte
JEKATERINA KLEMENTJEWA
Russia Beyond hat einen Blick auf die Dinge geworfen, die in der Sowjetunion stets knapp und daher ein ständiges Objekt der Begierde waren. Alle von ihnen sind heutzutage so normal, dass es unglaublich ist, dass dies mal anders war.

In den 1950er bis 80er Jahren war „Defizit“ eines der am häufigsten verwendeten Wörter in der Sowjetunion. Die Liste der „defizitären“ Produkte war lang und beinhaltete praktisch alles – von Käse und Wurst über Unterwäsche bis hin zu Möbeln. Während sich die Sowjetregierung auf die Entwicklung der Schwer- und Verteidigungsindustrien konzentrierte, schenkte sie den täglichen Bedürfnissen ihrer Bürger keine große Aufmerksamkeit. Daher war es keine Überraschung, dass überall kilometerlange Schlangen zu sehen waren und Neid auf die Glücklichen herrschte, die Dinge in ihrem Besitz hatten, die heute als absolut normal gelten.

Russia Beyond hat Menschen befragt, die diese Situation aus erster Hand miterlebt haben, um ihre Erinnerungen darüber zu teilen, von was für Dingen die Sowjetbürger träumten.

  1. Toilettenpapier

Die erste Fabrik für Toilettenpapier in der Sowjetunion wurde erst 1969 gebaut und es dauerte noch länger, bis das komplette Land mit diesem wesentlichen Gebrauchsgegenstand versorgt werden konnte.

Jelena erinnert sich: „Menschen ‚mit Verbindungen‘ und Freunde, die in Lebensmittelgeschäften arbeiteten, benutzten das grobe graue Papier, das für die Verpackung verwendet wurde. Und das waren die wenigsten! Wir konnten nur von Klopapierrollen träumen. Ich erinnere mich an eine Schlange von 100 Leuten, die anstanden, um solche zu kaufen.“

Es gab sogar eine Obergrenze für die Anzahl der Rollen, die eine Person auf einmal kaufen konnte – sie lag bei zehn Rollen.

„Die Glücklichen, die welche ergattern konnten, haben die Rollen auf eine Schnur gefädelt und sind mit ihrer Beute wie mit einer Kette nach Hause gegangen. Jeder Passant, der ihnen begegnet ist, war neidisch.“

  1. Plastikbeutel

Oleg erinnert sich: „Eine Plastiktüte mit Werbung für ein Auto oder nur mit einer Inschrift in einer Fremdsprache war bis in die frühen 1980er Jahre ein Objekt der Begierde. Die Leute haben sie aufbewahrt und gesammelt. Frauen trugen Plastiktüten statt Handtaschen und Schulkinder benutzten sie anstelle von Schulranzen.“

Zu jener Zeit wurden Plastiktüten nur in Ostblockstaaten wie der Tschechoslowakei, Polen, Jugoslawien oder Ostdeutschland hergestellt und von Sowjetbürgern, die eine der seltenen Reisen unternahmen, als Souvenirs mitgebracht.

„Die Leute haben sie nicht einmal gefaltet, damit der Druck nicht verschmierte. Und wenn sie schmutzig wurden, hat man sie gewaschen und getrocknet.“

  1. Kugelschreiber

Ein gewöhnlicher Kugelschreiber war ein wahres Luxusprodukt, aber selbst jene, die ein solches Produkt besaßen, mussten sich mit dem nächsten Problem auseinandersetzen: Wo bekommt man die Ersatzpatronen her?

Sergej erklärt: „Sowjetischen Schulkindern wurde Schreibschrift gelehrt. Zuerst wurde ihnen beigebracht, mit Schreibzeug wie Stift und Tintenfass zu schreiben und dann mit einem Füllfederhalter, bei dem man die Tinte nachfüllen musste. Als Leute anfingen, Kugelschreiber aus dem Ausland mitzubringen, war es das beste Geschenk, das ein Schulkind bekommen konnte!“

Dann entstand jedoch ein neues Problem: Wo bekommt man Nachfüllpatronen für Kugelschreiber her? Als Ergebnis entstand eine ganz neue Beschäftigung – Menschen, die die vorhandenen Ersatzpatronen mit neuer Tinte befüllten. In den 1960er Jahren wurden sogar spezielle Verkaufsstellen dafür eröffnet.

  1. Haarfärbemittel

Bis Mitte der 1980er Jahre gab es nur zwei „natürliche“ Arten von Haarfärbemitteln in den Geschäften – Basma Haarfärbemittel, um die Haare dunkel zu färben und Henna um rote Haare zu bekommen.

Diejenigen, die blonde Haare haben wollten, mussten riskieren, ihre Haare mit Kamillensud oder Wasserstoffperoxid zu schädigen, nur um dann lange Zeit damit zu verbringen, ihre Haare wieder gesund zu pflegen.

Irina erinnert sich: „Es gab auch einige barbarische Tricks, wie das Hinzufügen von schwarzer Tinte zu einem Shampoo. Dadurch bekamen junge Frauen rabenschwarzes Haar, während ältere Frauen, die schon ein bisschen grau waren, mit lila Haaren endeten.“

  1. Belletristik

Sowjetbürger haben sich immer stolz als „größte Lesenation der Welt“ bezeichnet. Und doch waren die Buchhandlungen in der Sowjetunion praktisch leer: Selbst russische Klassiker waren kaum verfügbar und die meisten Leute mussten stattdessen Bibliotheken benutzen.

Die Absurdität der Situation wurde außerdem dadurch verschärft, dass russische und internationale Klassiker in den Ländern des Ostblocks massenhaft verfügbar waren, da die sowjetische Führung der Förderung der russischen Sprache besondere Aufmerksamkeit schenkte.

Michail erinnert sich: „Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter Anfang der 1980er Jahre stets etliche Bücher von Auslandsreisen mitbrachte: Kindermärchen, Detektivgeschichten von Agatha Christie und Conan Doyle sowie Romane von Dumas und Zola. So entstanden die privaten Hausbibliotheken, auf die die Menschen sehr stolz waren. Alles, was damals in den sowjetischen Buchhandlungen erhältlich war, waren patriotische Bücher über den Zweiten Weltkrieg und Fantasien über das Aufleben des Agrarsektors.“

>>> Zigaretten, Jeans und Magazine: Die geheime Welt der sowjetischen „Farza“

>>> Der sowjetische „Berjoska“-Supermarkt: Luxusgüter gegen Fremdwährung