Offiziell war der einzige Ort, an dem man legal in der Sowjetunion Fremdwährung ausgeben konnte, der gehobene Supermarkt „Berjoska“. Zu Beginn konnten nur sehr privilegierte Russen, wie Diplomaten, Fachpersonal des Militärs und Sportler, ihre Einkäufe dort tätigen. Als die Grundnahrungsmittel jedoch immer knapper wurden, fanden mehr und mehr durchschnittliche Sowjetbürger Wege, um dort einzukaufen.
Der „Berjoska“-Supermarkt richtete sich in erster Linie an westliche Touristen, die eingeladen wurden, so viel wie möglich von der Hartwährung ihres Landes auszugeben. Zu diesem Zweck verkauften diese Geschäfte hauptsächlich Souvenir-Schmuckstücke. Gini Graham Scott beschrieb in ihren sowjetischen Reiseerinnerungen den „Berjoska“-Laden in der Gorki-Straße, die heute Twerskaja heißt, als „Touristenparadies“, gefüllt mit Kunstbüchern, Schmuck, Wodka und exquisiten Matrjoschkapuppen.
Für die wenigen Sowjetbürger, die auf eine ausländische Währung zurückgreifen konnten – ab dem Jahr 1965 durften sie ihre Währung äquivalent zum Rubelwert in „Berjoska“-Schecks umrechnen lassen –, hatte die Möglichkeit, in einem „Berjoska“-Laden einzukaufen, vor allem praktische Vorteile. Dort gab es im Gegensatz zu den meisten sowjetischen Supermärkten, in denen die Priorität auf den Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Haferbrei, Wodka und Süßigkeiten lag, unter anderem ein reichhaltiges Fleischangebot. Sehen Sie sich hier die Preise dazu an:
Die Salami war mit drei Rubeln, beziehungsweise etwa 3,70 Euro pro Stück, eines der teureren Artikel, Schweinefleisch und Rindfleisch hingegen waren recht erschwinglich, vor allem, wenn man Dosenfleisch kaufte, dessen Preis für gewöhnlich unter einem Rubel lag.
Während viele Russen dort knappe Lebensmittel wie Fleisch einkauften, fanden auch jene, die an „Nahrung für die Seele“ interessiert waren, den Supermarkt sehr nützlich. Laut einem im Jahre 1977 erschienen Artikel (eng) der New York Times war Berjoska ein guter Ort, um jene Bücher zu kaufen, die die sowjetische Regierung missbilligte, wie die Werke von Boris Pasternak und Iosip Mandelstam.
Als die Produktion von Konsumgütern unter der Herrschaft von Breschnew ausgeweitet wurde, begannen Waren in „Berjoska“-Läden zum Verkauf zu stehen, die eindeutig nicht für Touristen bestimmt waren. So zählten Autos zu den beliebtesten Inlandkäufen jener Zeit. Ein zusätzlicher Anreiz dort einzukaufen bestand darin, nicht in einer Warteschlange stehen oder auf Kontakte zurückgreifen zu müssen, wenn man etwas Bestimmtes brauchte, und dass man wie in einem kapitalistischen Land einfach mit Geld bezahlen konnte.
Im Jahre 1970 wurden in den „Berjoska“-Geschäften sieben Prozent aller in der Sowjetunion verkauften Autos mit ausländischem Geld bezahlt. Das beliebteste Modell war der „Lada Sedan“, der für rund 6 000 Euro, also etwa der Hälfte des üblichen staatlichen Preises, zum Verkauf stand. Luxuriösere Varianten wie das „GAZ Wolga“-Modell kosteten zwischen 12 000 und 21 000 Euro.
Abgesehen von Autos hatten die „Berjoska“-Läden, die es in den wichtigsten Städten der Sowjetunion gab, Kleidung, Möbel und in den achtziger Jahren auch Elektronik im Sortiment. Der sowjetische Staat, der diese Waren nicht selbst herstellen konnte, schien sich damit zufrieden zu geben, seine Bürger diese Importe zwar kaufen zu lassen, jedoch meist zu hohen, stark besteuerten Preisen. Wie der Journalist Philip Taubman im Jahre 1987 bezeugte (eng), zahlten die Sowjetbürger für Toshiba-Fernsehgeräte damals bis zu 2 100 Rubel, beziehungsweise mehr als 2 500 Euro, also weitaus mehr, als in Amerika.
Wie kamen die Sowjetbürger jedoch an die verbotene ausländische Währung? Die offensichtlichste Kategorie von „Berjoska“-Kunden waren sowjetische Eliten, deren prestigeträchtige Jobs in der Kommunistischen Partei ihnen das Recht verschafften, ins Ausland zu gehen und dort Geld zu verdienen. Unter ihnen waren Beamte, Diplomaten und Offiziere, aber auch Sportler, Musiker und Kulturbotschafter, die sorgfältig ausgewählt wurden, um die Sowjetunion im Ausland zu vertreten. Dazu gehörte auch der legendäre Sänger Wladimir Wyssozki, der mehrmals nach Frankreich reiste, wo er schließlich seine französische Frau Marina Vlady traf. In seinem Lied „Ich bin der nüchternste aller Männer“ erzählt er, dass er den „Berjoska“-Laden besuchte, um Geschenke für seine Familie zu kaufen, nachdem er von einer Reise zurückgekehrt war.
Wie die Historikerin Anna Iwanowa in ihrer Studie (eng) enthüllte, war der Einkauf dort für alle Menschen möglich, vorausgesetzt, sie wollten es wirklich. Während beispielsweise die Reisen in den Westen stark eingeschränkt waren, konnte sich fast jede Fachkraft um eine Stelle in einem mit der Sowjetunion verbündeten Dritte-Welt-Land in Übersee bewerben, wo das Gehalt in ausländischer Währung ausgezahlt wurde. Iwanowa zitiert den Soziologen Georgi Delugian, der freiwillig für ein Jahr als Dolmetscher in Mosambik arbeitete und dann seiner Familie ein „GAZ Wolga“-Auto kaufte.
Sowjetische Bürger, die Verwandte im Ausland hatten, profitierten ebenfalls von Geldüberweisungen. Ebenso war der sowjetische Staat, als die Menschen in den 1970er Jahren auszuwandern begannen, weitaus nachsichtiger, wenn eine westliche Währung nach Hause geschickt wurde, solange sie in „Berjoska“-Schecks umgewandelt wurde.
Eine andere Möglichkeit, ausländische Währung zu erwerben, bestand darin, direkt mit Ausländern in Kontakt zu kommen. Wie Philip Taubman erzählte, wurde seine Rubelzahlung von einem Kellner in einem sowjetischen Restaurant mit den Worten „Wir akzeptieren nur echtes Geld“ abgelehnt. Die Aussicht, einen Ausländer zu verführen, war auch für eine russische Frau äußerst attraktiv – nicht zuletzt aufgrund eines möglichen Ausflugs in einen „Berjoska“-Laden.
Für die meisten jedoch war der einzige Zugang zu ausländischer Währung und „Berjoska“-Schecks der Schwarzmarkt, wo Schmuggler oft eine Provision, die das Drei- oder Vierfache des offiziellen Wechselkurses überstieg, erhielten.
Im Jahr 1988 begannen, als der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow den „Krieg gegen das Privileg“ führte, die „Berjoska“-Geschäfte zu schließen. In den frühen 1990er Jahren, als der Handel mit fremden Währungen legalisiert wurde, galt ihr Konzept als völlig veraltet und die Türen blieben für immer geschlossen.
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