Mode und Revolution: Wie sich die Kleidung der Menschen nach den kommunistischen Umbrüchen verändert

Geschichte
DARIA WARLAMOWA
Der Erste Weltkrieg, die Oktoberrevolution, die neue Wirtschaftspolitik – all das spiegelte sich im Leben und im Stil der Moskauer Anfang der 1920er Jahre wider. Russia Beyond erinnert daran, wie sich die Kleidung der Menschen im Zuge der politischen Veränderungen gewandelt hat.

In nur etwa 20 Jahren änderte sich die Mode in Russland und später der Sowjetunion um 180 Grad. Raffinierte Schnitte und elegante Hüte wichen den traurig anmutenden, sackartigen Roben und proletarischen Kopftüchern. Wie und warum ist das passiert?

Von der Belle Époque bis zur Uniform

In der Belle Époque, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Jahr 1914, wurde in Russland wie in Europa das Bild einer Frau in luftiger Kleidung, zärtlich und schmal, zurückhaltend und leicht rätselhaft, kultiviert. Mit Hilfe eines Korsetts, das die Taille auf 42 bis 45 Zentimeter festzog sowie speziellen Futtereinlagen an Brust und Oberschenkeln wurde die Silhouette einer Sanduhr kreiert. Der Rock endete mit einer langen Schleife. Meist wurden zarte Farben verwendet, die Blässe der Haut wurde durch Reispulver betont und die prächtigen Haare mit massiven Hüten gekrönt. Kleider mit komplexem Schnitt wurden mit einem unaufdringlichen, aber ausgefallenen Finish verziert. Dabei war die Kleidung in Russland viel opulenter gestaltet, als in westlichen Ländern. Es gab zu der Zeit eine Rückkehr zu alten russischen Motiven, daher war beispielsweise handgefertigtes Leinen sehr gefragt.

In den Vorkriegsjahren sah die Kleidung in Russland lebhafter und exotischer als in anderen Ländern aus. Deshalb entwickelte sich Russland zu einem der Trendsetter innerhalb Europas. Ballets Russes überraschten in Paris nicht nur mit neuartiger Tanzchoreografie, sondern auch mit entsprechenden Kostümen. Der westliche Stil „a-la russe“ übernahm die Zierstickerei sowie verschiedene Variationen der Kopfbedeckung Kokoschnik. Dieser Trend trug später zum Überleben und zum Lebensunterhalt der Zuwanderer aus Adelsfamilien bei: In Europa begannen ganze Studios, Werkstätten und Modehäuser im russischen Stil aus dem Boden zu schießen und schöne russische aristokratische Frauen im Exil wurden zu den ersten Topmodels von Coco Chanel, Paul Poiret und anderen bekannten Modedesignern.

In den 1910er Jahren fängt die Mode an, fortschrittlicher zu werden. Um Frauen beispielsweise das Autofahren zu erleichtern, die Röcke werden kürzer – die Säume weicher, die Hüte kleiner.

Der Erste Weltkrieg bringt die Liebe zur Vereinfachung und die Stärkung der patriotischen Gefühle mit sich, weshalb viele modische Frauen heimische Produzenten unterstützen. Die Kleidung ähnelt mehr und mehr Uniformen – sowohl militärischen, als auch denen der Schülerinnen und Lehrerinnen. Einfach geschnittene Kleider sind in der Zeit in Mode, die Röcke werden auf Midi-Länge gekürzt und die Hüte bescheidener gestaltet. Außerdem befreien sich Frauen aus den Korsetts und beginnen, sich die Haare kurz zu schneiden.

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Kleidung für Ritter und Feministen

Nach der Revolution kümmerten sich die sowjetischen Behörden um die Schaffung einer Uniform für die Rote Armee. Im Jahr 1918 wurde dazu eine Sonderkommission mit den bekannten Künstlern Wiktor Wasnezow und Boris Kustodijew ins Leben gerufen. Als Grundlage für die Uniform diente ein historisches Kostüm. Der Budenowka-Hut ähnelte dem Helm eines alten russischen Ritterhelden.

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Auch die Zivilkleidung änderte sich sowohl aus ideologischen als auch aus Versorgungsgründen erheblich. Getragen wurden mit Vorliebe Kommissarsjacken aus Leder, Kleider und gerade Röcke aus Sackleinen und Soldatentüchern. Frauen griffen darüber hinaus gerne zu Männerpullovern. Das rote Kopftuch wurde indes zum Symbol der Emanzipation und wurde am Hinterkopf, statt, wie es traditionell in russischen Dörfern üblich war, unter dem Kinn, befestigt.

Mitglieder der Jugendorganisation Komsomol, sowohl junge Männer als auch Frauen, trugen ferner die „Jungsturmowka“, eine Uniform, deren Design an die Uniform der deutschen Jungkommunistenorganisation „Rote Jugendarmee“ angelehnt war: Es handelte sich um eine Jacke mit umgeschlagenem Kragen in gedämpftem Grün und aufgesetzten Taschen.

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Die bekannte Modedesignerin Nadeschda Lamanowa schlug dem Kulturminister Lunatscharskij überdies vor, eine Werkstatt für moderne Kleidung einzurichten. Die Behörden sahen ein, dass es für die Errichtung einer „richtigen“ Ideologie wichtig wäre, das Aussehen und die Erscheinung des Sowjetmenschen zu kontrollieren. Lamanowa musste die Arbeiter- und Bauernmode aus fast nichts kreieren und verwendete Tischdecken, Taschen- sowie Handtücher als Kleidungsstoffe. Selbst aus solchen Rohstoffen konnte Lamanowa eine beeindruckende Kollektion nähen, für die sie im Jahr 1925 auf der Weltausstellung in Paris den Grand Prix gewann. Nichtsdestotrotz konnte die Bevölkerung ihre Kleidungsstücke zunächst nicht erwerben: Sie waren erst nach 1936 erhältlich. Bis dahin musste die alte Kleidung umgenäht und alle zur Verfügung stehenden Stoffe genutzt werden.

Mit der Verabschiedung der neuen Wirtschaftspolitik (NEP) wich die Zerstörung des Landes einem Überfluss. Private Unternehmer begannen Kleidung aus Europa mitzubringen und westliche Modetendenzen schwappten auch auf die Sowjetunion über. Sowjetische modebewusste Frauen imitierten die Stars der Stummfilme. Im Jahr 1920 wurden die Höheren Kunst-Technischen Werkstätten (WHUTEMAS) gegründet, die bis 1932 existierten und die Grundlage für das Industriedesign der UdSSR bilden sollten. Dieses wurde später als „Stil der grauen Massen“ bekannt.

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