Strategische Entscheidung: Warum Stalin im Zweiten Weltkrieg Finnland verschont hat

Getty Images, Sputnik, Pixabay, gemeinfrei
1944 entschied die Sowjetführung keinen Krieg gegen Finnland zu führen, obwohl es ein Verbündeter Deutschlands war. Eine Invasion fand nicht statt. Die Finnen dankten es der UdSSR und dem modernen Russland mit guter Nachbarschaft. Hier ist ein historischer Rückblick.

Unter allen Verbündeten Hitlers nahmen die Finnen einen besonderen Platz ein. Ihre kriegerische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion endete anders als in Rumänien, Bulgarien oder Ungarn. Letztere standen ab 1945 unter starkem sowjetischen Einfluss. Finnland hingegen bekam keinen pro-sowjetischen Machthaber vorgesetzt. 

Finnische Truppen auf dem Marsch

Finnland hat den Dreigliedrigen Pakt nie unterzeichnet und war keine offizielle Achsenmacht. Die Finnen betonten trotz ihrer Kooperation mit den Deutschen stets, dass sie einen unabhängigen Krieg gegen die UdSSR führten. Ihr Ziel war es, im Winterkrieg verlorene Gebiete zurückzuerobern. Doch tatsächlich drangen die Finnen noch viel weiter auf sowjetisches Gebiet vor. 

Für die Sowjetunion spielten diese diplomatischen Nuancen der Finnen keine Rolle. Sie betrachteten das Land als Aggressor und  Marionette des Dritten Reiches. Die Front gegen Finnland galt ebenfalls als Front des Großen Vaterländischen Krieges.

Im Juni 1941 verfügte Finnland über eine 400 000 Mann starke Truppe aus finnischen und deutschen Soldaten. Am 22. Juni war die Operation Barbarossa gestartet, doch die Finnen hielten sich mit einem Angriff auf die Sowjetunion zurück und bremsten auch die Deutschen. 

Die finnische Armee hatte jedoch die Bestimmungen des Moskauer Vertrags von 1940 (der den Winterkrieg beendete) verletzt, indem sie auf den entmilitarisierten Aland-Inseln gelandet waren. Zudem flog die deutsche Luftwaffe ihre Angriffe gegen die Sowjetunion auch von finnischen Flughäfen aus. Der Krieg nahm Fahrt auf. Sowjetische Bomber griffen Helsinki an und finnische Soldaten überquerten am 28. Juni die Grenze in Richtung der sowjetischen Großstadt Murmansk.

Während dieser Offensive eroberte die finnische Armee weite Gebiete vom Stadtrand von Murmansk im Norden bis zum Onega-See im Süden. Am 31. August überschritten die Finnen die alte sowjetisch-finnische Grenze bei Leningrad. Damit war die Stadt eingekreist, die berüchtigte und tragische Leningrader-Blockade nahm ihren Anfang.  

Sowjetische Frauen frühstücken neben einem brennenden Müllhaufen in einem finnischen Konzentrationslager in Petrosawodsk, Karelien.

Im Juli 1941 wiederholte der finnische Oberbefehlshaber Carl Gustaf Emil Mannerheim seine im finnischen Bürgerkrieg (1918) zum ersten Mal geäußerten Worte: „Ich werde mein Schwert nicht einstecken bis Finnland und Ostkarelien [Sowjetgebiete] frei sind.” Und weiter: „Soldaten! Euer Sieg wird Karelien befreien, Eure Taten werden Finnland eine glückliche und großartige Zukunft bringen.” Doch nicht alle Soldaten waren überzeugt von den „Befreiungsplänen”: Einzelne Soldaten und sogar ganze Einheiten weigerten sich, über die alten sowjetisch-finnischen Grenzen hinaus vorzudringen. 

Carl Gustaf Emil Mannerheim

Nach einem Durchbruch am Anfang wurde der finnische Vormarsch gestoppt und die Front stabilisiert. Bis 1944 wurden hier keine größeren Operationen durchgeführt. Die Soldaten scherzten über die sowjetischen Truppen, die Leningrad gegen die Finnen verteidigten: „Nur drei Armeen auf der Welt kämpfen nicht: die schwedische, die türkische und die 23. sowjetische Armee.

Die deutsche Niederlage in der Schlacht von Kursk beunruhigte die finnische Führung erheblich. Als die Sowjets allmählich ihre Gebiete zurückeroberten und sich Karelien näherten, wandten sich die Finnen an die Deutschen, um mehr militärische Unterstützung zu bekommen und an die USA, die als Vermittler bei Friedensverhandlungen auftreten sollten (die USA hatte Finnland nicht den Krieg erklärt). 

Im Sommer 1944 befreite die Rote Armee das gesamte Gebiet Kareliens von den finnischen Truppen. Der massive finnische Widerstand und dessen lokale Erfolge, wie die Schlacht von Tali-Ihantala, stellten die sowjetische Führung vor die ernste Frage, ob es sich lohne, einen weiteren Vorstoß auf finnisches Gebiet zu wagen. 

„Es ist heute unmöglich herauszufinden, was er vorhatte”, sagt der Historiker Bair Irintschejew.  Weder 1940 noch 1944 hatte Stalin versucht, ganz Finnland zu besetzen. „Das war nicht unbedingt eine strategische Entscheidung… Hätte es sich gelohnt, ganz Finnland von Helsinki bis Oulu zu besetzen? Ein Land von fast der Größe Großbritanniens, dicht besiedelt, mit einem drohendem Bürgerkrieg?" 

„Das Ziel war nie, zumindest zeigen das militärische Dokumente, Finnland in die Sowjetunion zu integrieren”, so der finnische Historiker Ohto Manninen. „Das Ziel war es, freien Zugang für die Marine der Roten Armee zum Finnischen Meerbusen sicherzustellen, um die Deutschen vom Norden her angreifen zu können.”

Kämpfe bei Wyborg im Juni 1944

Der „D-Day“ spielte eine nicht unwichtige Rolle bei der Entscheidung der Sowjets, Finnland in Frieden zu lassen. Die Sowjetunion konzentrierte alle ihre Bemühungen auf das Hauptziel, Berlin vor den Briten und Amerikanern zu erobern. „Die Alliierten hatten in Frankreich eine zweite Front gegen Deutschland eröffnet, die den Weg für einen Waffenstillstand zwischen Finnland, der Sowjetunion und Großbritannien im September 1944 ebnete, erklärt der finnische Historiker Henrik Meinander.

Laut dem russischen Historiker Alexei Komarow, „dachte Stalin pragmatisch. Zumindest zu diesem Zeitpunkt war ein neutrales Finnland wichtig für ihn. Die sowjetische Führung sah Finnland als Pufferzone zwischen der UdSSR und dem Westen.” 

Am 19. September 1944 schloss Finnland in Moskau ein Waffenstillstandsabkommen mit der UdSSR und dem Vereinigten Königreich. Die Finnen gaben Teile von Karelien und Salla sowie einige Inseln im Finnischen Meerbusen und Petsamo ab. Die Sowjets erhielten das Recht, die Halbinsel Porkkala in der Nähe von Helsinki für 50 Jahre als Stützpunkt für ihre Marine zu pachten. Als Zeichen des guten Willens gab die UdSSR die Insel 1956 zurück. 

Nachdem die Finnen sowjetisches Gebiet verlassen hatten, beschloss die UdSSR, es damit auf sich beruhen zu lassen. In den folgenden Jahren entwickelten sich die Finnen zu einem wohlgesonnen Nachbarn und zuverlässigen Wirtschaftspartner. 

>>> Warum gab es im Zweiten Weltkrieg keinen Angriff der Japaner gegen die UdSSR?

>>> Warum fielen die anglo-sowjetischen Truppen in den Iran ein, als die Nazis kurz vor Moskau standen?

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!