Bis sich die Medizin als Wissenschaft in Russland im späten 18. Jahrhundert durchsetzen konnte, wurde die Geisteskrankheit noch wie zu Zeiten der Antike behandelt: Alles lag in Gottes Hand. In der russischen Sprache enthalten auch viele Beschreibungen von Geisteskrankheit häufig einen Hinweis auf Gott. Nicht alle sogenannten heiligen Narren waren Verrückte. Einige genossen ein hohes Ansehen. Unter den heiligen Narren gab es auch einige falsche Propheten und Betrüger, die den Status zur Bereicherung ausnutzten.
Und es gab die wirklich Verrückten, die angeblich an der „schwarzen Krankheit“ litten. Man vermutete damals, dass sie ein Fluch oder der böse Blick getroffen hätte oder Dämonen sich ihrer angenommen hätten.
Psychisch kranke Menschen, die körperlich noch fit waren, wurden oft in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Geisteskranken wurden oft in ihren ländlichen Gemeinden betreut. Diejenigen, die als besessen galten, wurden Exorzismus-Ritualen unterzogen. In der Orthodoxie bedeutete dies, dass Gebete über sie gesprochen wurden sowie sie mit Weiwasser besprüht und mit Öl gesalbt wurden. Die weltlichen Behörden lehnten es ab, sich um die Behandlung von psychisch kranken Menschen zu kümmern.
Die Einfältigen, die Seligen und die Dämonen
Bis zum 18. Jahrhundert gab es in Russland keine Gesetze für Geisteskranke. In seinem Buch „Geschichte der Psychiatrie“ von 1928 schrieb der sowjetische Psychiater Juri Kannabich (1872-1939), dass der Stoglaw - die Hundertkapitelsammlung von 1551 und der bedeutendste Moralkodex des mittelalterlichen Russlands - empfahl, Wahnsinnige ins Kloster zu stecken. Das stimmt jedoch nicht, im Stoglaw gibt es hierüber keine entsprechenden Passagen.
Darin steht lediglich, dass „falsche Propheten [...], die nackt und barfuß sind, deren Haare lang und wild geworden sind, die zittern und klagen“, aus der Gesellschaft vertrieben werden müssen. Natürlich wurden viele harmlose Einfältige zu Unrecht als falsche Propheten bezeichnet. Im alten und mittelalterlichen Russland wurden sie tatsächlich oft in Klöstern oder Armenhäusern oder in kalten Gruben und Verliesen eingesperrt und in Ketten gelegt, wenn sie sich aggressiv verhielten.
Aber was war, wenn ein Reicher oder gebildeter Mensch Anzeichen des Wahnsinns zeigte? Im 17. Jahrhundert beispielsweise, als Gotteslästerung und Beamtenbeleidigung mit dem Tod bestraft werden konnten, versuchten viele sich mit einer vorübergehenden geistigen Verwirrung herauszureden.
Aber es gab viel echten Wahnsinn. 1647 wurde ein Küster eines Moskauer Klosters untersucht. Er behauptete, Heilige und Engel zu sehen und zu hören. 1631 wurde in Moskau ein Provinzbauer namens Dorofei Iwanow verhaftet, weil er den Zaren öffentlich beleidigt hatte. Später wurde er gegen Kaution freigelassen und durfte nach Hause zurückkehren. Der Befehl des örtlichen Gouverneurs lautete wie folgt: „Der Mann soll nicht bestraft werden, weil er einfältig und nicht bei Verstand ist.“
Dies zeigt, dass echter Wahnsinn zuweilen anerkannt wurde. Im späten 17. Jahrhundert fand der Wahnsinn Berücksichtigung in der Gesetzgebung. 1669 wurde der Begriff „besnyi“ („dämonisch“) eingeführt - solche Menschen durften nicht als Zeugen auftreten und gegen sie durfte nicht die Todesstrafe verhängt werden.
1676 folgte ein Dekret von Zar Fjodor Alexejewitsch, wonach die Einwände und Ansprüche von Familienmitgliedern nicht akzeptiert würden, wenn Menschen, die „taub, blind und stumm“ waren, ihren Nachlass verschenken würden, denn „jeder ist frei über seinen Nachlass zu verfügen, wie er es für richtig hält.“ Vermutlich hat dieses Gesetz der Kirche geholfen, viele behinderte und psychisch kranke Menschen in der Obhut von Klöstern zum Überschreiben ihres Eigentums zu überreden.
Wen die Götter zerstören würden…
1645 reichte Dementij Lasarew, ein Einwohner der Stadt Kaschin, eine Beschwerde gegen seinen Diener Mischka ein: „Er ist krank im Kopf und hat begonnen, Tiere zu schlachten und Menschen zu verprügeln. Er ging in den Wald und in die Dörfer, wo er Menschen und Rindern alle möglichen üblen Dinge angetan hat.“ Als Mischka in einer Hütte gefesselt wurde, „brach er die Kette entzwei, kaute an den Wänden und heulte“. Aus den überlieferten Aufzeichnungen des anschließenden Verhörs geht hervor, dass Mischka psychisch krank gewesen sein muss. Mischka wurde von Mitarbeitern des Rasrydny Prikas (Kriegsministerium im 17. Jahrhundert) mit Knüppeln geschlagen und kehrte zu Dementij Lasarew zurück.
Im Allgemeinen jedoch ordneten die weltlichen oder kirchlichen Behörden in Fällen, in denen ein Vermieter oder ein anderer Bürger die Kontrolle über eine verrückte Person verlor, an, den Verrückten ins Kloster zu bringen. Auch Priester, Bojaren und sogar Äbte im Alkoholrausch wurden manchmal in Klöstern eingesperrt.
Im Kloster lebten und arbeiteten betroffene Personen, die für ihre Handlungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Waren sie zu einfältig, wurden sie als Knechte eingesetzt. Und wenn sie jenseits aller Hoffnung waren, wurden sie in Ketten gehalten. Gebete, strenge Regeln und Arbeit wurden als „Medikamente“ eingesetzt.
Die hochrangigen „Schwachsinnigen“ - insbesondere diejenigen, die von wohlhabenden Verwandten unterstützt wurden - waren nicht gezwungen zu arbeiten. Wenn die Wahnsinnigen ihre Sinne wiedererlangten, schrieben sie (oder gegebenenfalls ihre Verwandten) eine Petition an die Kirchenoberen, in der sie ihre geistige Gesundheit bestätigten, und nach einer Prüfung konnten sie in die Gesellschaft wieder entlassen werden.
Die Reformen des neuen Zaren Peter des Großen brachten viele Veränderungen mit sich. Die Klöster weigerten sich schließlich, die Wahnsinnigen aufzunehmen, auch weil viele Alkoholiker oder Kriminelle waren, die ihre Krankheit nur vortäuschten.
Dies ist jedoch nicht mehr die Geschichte des mittelalterlichen Russlands, sondern des kaiserlichen Russlands, in dem psychisch Kranke nicht nur von der Gesellschaft isoliert, sondern auch schon medizinisch behandelt wurden.