Drei sowjetische Sportlegenden, die Opfer der Stalinschen Säuberungen wurden

Geschichte
ALEXANDRA GUSEWA
Während der stalinistischen Säuberungen wurden Millionen Menschen verhaftet und hingerichtet oder in Straflager gesteckt. Auch große Sportlegenden fielen dem Gräuel zum Opfer.

Am 30. Juli 1937 wurde die Operationsverordnung Nr. 00447 des NKWD „Über Repressalien gegen ehemalige Kulaken, Kriminelle und andere antisowjetische Elemente" unterzeichnet, die das in Gang setzte, was in der sowjetischen Geschichte als die „Große Säuberung“ bekannt wurde. Jedermann konnte dabei in die Kategorie „andere antisowjetische Elemente“ fallen.

Innerhalb von nur 18 Monaten wurde mehr als eine Million Menschen festgenommen, etwa 700.000 von ihnen hingerichtet, der Rest in Gulag-Lager gebracht. Viele der Opfer der Säuberungen waren eng mit der Welt des Sports verbunden.

1 Die Schachlegende Wassili Russo starb im Lager

Wassili Russo war Maler und Bildhauer. Ihm ist es aber auch zu verdanken, dass die UdSSR eine führende Schachnation wurde.

1900 kam der junge Wassili Russo aus der Provinz Odessa in die damalige Hauptstadt St. Petersburg, um an der Akademie der Künste zu studieren. Zufällig besuchte er einmal das Restaurant Dominik, wo Schach gespielt wurde. Er lernte das Spiel.

Nach dem russischen Bürgerkrieg landete Russo in Moskau und war 1920 bis 1923, wie er sich später erinnerte, damit beschäftigt, „Schach und Dame in Moskau zu fördern“. 1924 ernannte der Vorsitzende des Obersten Rates für Körperkultur und Sport, Konstantin Mechonoschin, Russo zum Verantwortlichen für den Aufbau der Schach- und Damebewegung in der gesamten Sowjetunion.

Der begeisterte Russo gründete zahlreiche Schach- und Dame-Clubs und schrieb Bücher dazu. Während der Großen Säuberung wurde Mechonoschin jedoch als Mitarbeiter von Leo Trotzki, Stalins bitterstem Feind, hingerichtet.

Bald darauf wurde auch Russo, Mechonoschins Schützling und Untergebener, aufgrund von erfundenen Anschuldigungen verhaftet. Der Schachfreund wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die harte Arbeit und eine extrem schlechte Ernährung, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs noch schlimmer wurde, belasteten Russos Gesundheit so sehr, dass er 1942 kurz vor dem Ende seiner Haftstrafe starb.

2 Der erfolgreiche Springer Nikolai Kowtun verbachte zehn Jahre in Lagern

Nikolai Kowtun war ein geborener Athlet: Mit 17 Jahren nahm er an seinem ersten Leichtathletikwettbewerb teil und schaffte es, ohne zuvor gezielt dafür trainiert zu haben, 1,70 Meter hoch und sechs Meter weit zu springen.

Von Rostow am Don, wo er an einer Universität studierte und trainierte, wurde Kowtun nach Moskau eingeladen. Der Trainer bewunderte sein Talent: Kowtun brauchte nur drei Trainingseinheiten, um den Stabhochsprung zu beherrschen und sofort hervorragende Ergebnisse abzuliefern.

1937 übersprang Nikolai Kowtun als erster sowjetischer Hochspringer die 2,01-Meter-Marke. Im selben Jahr wurde er während einer Trainingseinheit festgenommen.

Kowtun wurde zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt und zur Verbüßung seiner Haftstrafe im hohen Norden in die Lager von Norilsk und Workuta geschickt, die für ihre schrecklichen Arbeitsbedingungen, das extreme Wetter und die dürftige Ernährung berüchtigt waren.

Der Grund für Kowtuns Verhaftung war sein Geburtsort: Harbin war eine Stadt an der chinesischen Grenze zu Russland. Kowtuns Eltern waren dort in den Bau der Chinesisch-Ost-Eisenbahn involviert. Nach der Revolution verkaufte die Sowjetregierung die Eisenbahn nach China, und Tausende von Russen, die sie gebaut hatten, kehrten in ihre Heimat zurück. 1937 wurden sie und ihre Familienangehörigen plötzlich allesamt als Spione denunziert, die angeblich Sabotageakte zugunsten Japans planten.

Nach zehn Jahren Lager und Hunger war Kowtun 1947 wieder mit seiner Familie vereint. Wegen ihrer Verbindung zu einem „Volksfeind“ hatte seine Frau all die Jahre keine Arbeit gefunden. Darüber hinaus wurde Kowtun schon bald Opfer einer neuen Welle von Repressalien, da 1948 ein staatliches Dekret herauskam, wonach alle „besonders gefährlichen Staatsverbrecher“ in abgelegenen Teilen des Landes zum lebenslangen Exil verurteilt werden sollten. Dort sollten auch die ehemaligen Gefangenen hingebracht werden, die bereits die Schrecken der Säuberungen miterlebt hatten.

Nach Stalins Tod wurde Kowtun rehabilitiert. Er arbeitete als Sportlehrer. Auch seine sportlichen Leistungen wurden wieder gewürdigt.

3 Der Tennisspieler Archil Mdivani wurde hingerichtet

Archil Mdivani begann in früher Kindheit Tennis zu spielen. In den 1920er Jahren war Tennis ein Sport der Elite, und Archils Vater Budu Mdivani, ein bekannter georgischer Politiker, wollte für seinen Sohn nur das Beste. Als sein Vater zum sowjetischen Handelsbotschafter in Frankreich ernannt wurde, besuchte ihn Archil dort und sah europäisches Tennis. Die Techniken, die er im Ausland beobachtete, brachte er dann in der Heimat auf den Platz. Er zog nach Leningrad und wurde einer der besten Tennisspieler der 1930er Jahre.

Archils Vater war ein hochrangiger Parteifunktionär, der in leitenden Positionen im Ausland gedient hatte. In der Debatte über die ethnische Politik der Partei in den frühen 1920er Jahren unterstützte er Lenin gegenüber Stalin. Nach Lenins Tod trat er gegen Stalin an und stellte sich auf die Seite von Leo Trotzki. In den späten 1920er Jahren wurde er verhaftet und verbrachte drei Jahre im Gefängnis.

1937 wurden Archils Vater, Mutter und Brüder verhaftet und auf die „Hinrichtungslisten“ besonders gefährlicher „Saboteure“ gesetzt, die ohne Gerichtsverfahren erschossen werden sollten.

Es gab eine Legende, dass einer der berüchtigtsten Mitarbeiter Stalins, Lawrenti Beria, beschlossen hatte, dem Tennisspieler übel mitzuspielen. Er versprach demnach dem Sportler, seine Familie aus dem Gefängnis zu entlassen, falls er ein Turnier gewinnen sollte. Archil gab alles für dieses Turnier und gewann, aber beim Bankett nach dem Spiel erkannte er, dass es ein Trick gewesen war und seine Familie nicht freigelassen werden würde. Er verlor die Beherrschung und erklärte Beria öffentlich, dass es in seiner Familie keine „Feinde des Volkes“ gebe. Beria konnte solche Unverschämtheit nicht vergeben.

Archil wurde verhaftet und wegen seiner Verbindung mit dem Leiter einer konterrevolutionären trotzkistischen Organisation, Budu Mdivani (also seinem eigenen Vater!), zum Tode verurteilt.

>>> Abkürzung für Grausamkeit: Was war der GULAG?