Eine Geschichte der russischen Parlamente

Schon lange vor der Gründung der Staatsduma hat sich das russische Volk in Gremien zusammengefunden, um die Politik zu gestalten.

Ein bestimmendes Merkmal der altrussischen Demokratie war, dass die Bedürfnisse der Bauern und armen Städter zumeist von ihren Grundherren, wohlhabenden Bürgern in den Städten und militärischen Befehlshabern vertreten wurden. Volkswahlen als solche wurden erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt.

Wetsche

Bevor die Rurikiden-Fürsten in den russischen Ländern an die Macht kamen, wurden viele große Städte, darunter Nowgorod, Pskow und Kiew, von der Wetsche regiert - einer Volksversammlung, die aus allen aktiven Bürgern einer Stadt bestand. Die Wetsche war kein Parlament im engeren Sinne, denn es gab keinerlei Wahlen - nur die mächtigsten, wohlhabendsten und angesehensten Bürger versammelten sich. Die Nowgoroder Wetsche zum Beispiel bestand aus etwa 300 Personen.

Im 11. bis 13. Jahrhundert, während der feudalen Zersplitterung der russischen Ländereien, agierten die Wetschen in verschiedenen Städten an der Seite der Rurikiden-Fürsten, die in diesen Städten ansässig waren. Der bekannte sowjetische Historiker Michail Tichomirow spricht von einer Diarchie von Fürsten und Wetschen: Während die Fürsten die richterliche und gesetzgebende Gewalt innehatten, repräsentierten die Wetschen die Meinung der Bevölkerung. 

Das Hauptprinzip der Wetsche war Einstimmigkeit - jede Entscheidung musste von allen Mitgliedern der Wetsche einstimmig gebilligt werden. Daher dauerten Wetsche-Versammlungen manchmal wochenlang. Mächtige Wetschen, wie die von Nowgorod und Pskow, konnten sogar den Fürsten die Herrschaft in den Städten verbieten, Ländereien verteilen, Bischöfe wählen und Todesurteile verhängen.

Mit der Zentralisierung der russischen Ländereien unter der Führung Moskaus hörten die Wetschen auf zu existieren.

Semski Sobor

Der Semski Sobor (Rat des Landes) wurde so genannt, um ihn von den Kirchenräten zu unterscheiden. Der Rat tagte nicht regelmäßig, sondern für gewöhnlich auf Anordnung des Zaren, um Angelegenheiten von staatlicher Bedeutung zu besprechen.

Der erste Semski Sobor wurde auf Geheiß von Iwan IV. dem Schrecklichen im Jahr 1549 einberufen, um das neue Gesetzbuch (Sudebnik) und die anstehenden Reformen zu bestätigen. Anwesend waren Abgesandte aller im Land vertretenen Konfessionen und aus allen Ländern des Moskauer Zarenreiches.

Der Semski Sobor bestand aus dem kirchlichen Sobor (Versammlung von Priestern aus allen Ländern, geleitet vom Metropoliten, später vom Patriarchen), der Bojaren-Duma (Regierung des Zarenreiches) und den Vertretern der Länder.

Er existierte von 1549 bis in die 1680er Jahre und endete, als Peter der Große seine umfassenden Reformen begann und die absolute Monarchie in Russland einführte, in der es keinen Platz für repräsentative Organe gab.

Das Russische Reich: zwei Jahrhunderte ohne Parlament

Das Bild zeigt eine Dorfgemeinschaft, die sich auf einem russischen Marktplatz versammelt.

Peter der Große sah den Adel, die Grundherren, als die Vertreter der Volksmeinung in seinem Staat. Natürlich basierte das Wohlergehen der Grundherren auf dem Wohlergehen der Bauern, die auf ihrem Land arbeiteten und in der Armee als Soldaten dienten. Doch nicht alle Adligen kümmerten sich um ihre Bauern.

Die Bauern selbst bewahrten das demokratische Institut der bäuerlichen Gemeinschaft (община, obschina, d.h. „die gemeinsame Sache"), in der die Entscheidungen kollektiv getroffen wurden: Die Obschina wählte die Rekruten aus, die zur Armee eingezogen wurden, und verteilte die Steuerlast auf ihre Mitglieder. Nach der Emanzipation der Bauernschaft von 1861 erhielten die Dorfgemeinschaften den offiziellen Status als Selbstverwaltungsorgane. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es über 100.000 Dorfgemeinschaften.

Die Staatsduma

Die feierliche Eröffnung der Staatsduma und des Staatsrates. Der Winterpalast. 27.04.1906.

Eine der Hauptforderungen des Volkes während der Revolution von 1905 war die Einschränkung der Autorität des Zaren durch die Einführung eines repräsentativen Staatsorgans.

Am 6. August 1905 wurde die Staatsduma (дума, duma – „sich Gedanken machen, Überlegungen anstellen“) als gesetzgebender Rat gegründet. Am 17. Oktober 1905 erhielt sie die gesetzgebende Gewalt und ohne ihre Zustimmung durften keine Gesetze erlassen werden. Allerdings mussten die Gesetze auch vom Staatsrat und schließlich vom Kaiser ratifiziert werden.

Nach dem neuen Wahlgesetz vom 11. Dezember 1905 sollten 49 Prozent der Abgeordneten von den Bauern gewählt werden. Das Wahlrecht wurde nur Personen zugestanden, die Eigentum besaßen (z.B. durften nur Bauern wählen, die ein Haus besaßen), und Frauen durften überhaupt nicht wählen. Die Wahlen waren nicht direkt - die Wähler wählten die Wahlkollegien, die ihrerseits die Abgeordneten wählten.

Die erste Versammlung der neuen Staatsduma fand am 26. April 1906 statt. Die Duma forderte z.B. das Verbot der Todesstrafe, Amnestie für politische Gefangene, mehr Land für die Bauern usw. Alle diese Forderungen wurden von der Regierung abgelehnt, und die Duma wurde am 9. Juli 1906 von Nikolaus II. aufgelöst.

Der Sitzungssaal der Staatsduma 1906-1917.

Die zweite Staatsduma bestand vom 20. Februar bis zum 3. Juni 1907 und wurde ebenfalls auf Befehl von Nikolaus II. aufgelöst. Der Grund dafür war das Überwiegen der linken Parteien.

Die dritte Duma bestand hauptsächlich aus rechten Parteien, was der Regierung entgegenkam. Diese Duma repräsentierte jedoch nicht die Forderungen und Wünsche der Gesellschaft. Die dritte Duma war die einzige der vier Dumas, die für die gesamte, gesetzlich vorgeschriebene fünfjährige Amtszeit arbeitete.

Die vierte Duma arbeitete von November 1912 bis zum 25. Februar 1917, als sie von Nikolaus II. formell aufgelöst wurde. Die Duma hielt sich jedoch nicht an die Anordnungen des Zaren und versammelte sich weiter. Sie bildete schließlich die Provisorische Regierung, die eine entscheidende Rolle in der Februarrevolution von 1917 spielte. Am 6. Oktober 1917 löste die Provisorische Regierung die Staatsduma schließlich auf.

Sowjetunion

21. Dezember 1972. Die Sitzung des Zentralkomitees der KPdSU, des Obersten Sowjets der RSFSR und des Obersten Sowjets der UdSSR anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung der UdSSR. Der Kreml-Kongresspalast.

Von 1918 bis 1936 gab es eine parlamentsähnliche Struktur, die sich „Kongress der Sowjets" nannte. Sowjets (советы, „Räte“ auf Russisch) waren die Grundlage des sowjetischen Regierungssystems, das der gesamten Sowjetunion ihren Namen gab. Sowjets waren Gruppen von Menschen, die in Dörfern, Fabriken und Städten gewählt wurden, um die Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung zu vertreten. 

Die Fabrik- und Dorfsowjets entsandten Delegierte in die Stadtsowjets und diese wiederum Delegierte in den Regionalsowjet. Die Stadt- und Regionalsowjets wählten Delegierte in den Provinzsowjet. Die Provinzsowjets entsandten Delegierte in den Sowjet der Teilrepublik. Die Sowjets der Unionsrepubliken entsandten zunächst, von 1918 bis 1936, Delegierte in den Sowjetkongress der Sowjetunion, und ab 1938 in den Obersten Sowjet der Sowjetunion, der bis 1989 bestand. 

Der Oberste Sowjet bestand aus zwei gleichberechtigten Kammern - dem Unionssowjet und dem Nationalitätensowjet. Die Kammern konnten entweder getrennt oder gemeinsam tagen. In den Jahren 1989 bis 1991 wurde der Oberste Sowjet durch den Kongress der Volksdeputierten der Sowjetunion ersetzt.

Auf den Sitzungen des Obersten Sowjets hielten die Delegierten Reden, stimmten ab und diskutierten aktuelle Themen. Allerdings war das alles inszeniert, es fanden keine wirklichen Diskussionen statt. In Wirklichkeit wurden alle wichtigen staatlichen Entscheidungen vom Politbüro (dem Politischen Büro des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion) getroffen, d.h. von den Führern der Kommunistischen Partei unter der Leitung des Generalsekretärs, der faktisch das Oberhaupt des Staates war. 

Die Bundesversammlung

Abgeordnete auf der Plenartagung der Staatsduma der Russischen Föderation.

Derzeit heißt das russische Parlament Föderale Versammlung Russlands. Sie besteht aus zwei Häusern: Der Staatsduma (Unterhaus) und dem Föderationsrat (Oberhaus).

Der Föderationsrat ist ein ständiges Gremium, das sich aus zwei Vertretern (Senatoren genannt) aus jedem föderalen Subjekt (Region) der Russischen Föderation zusammensetzt - einem Vertreter der Legislative (Regionalparlament) und einem weiteren aus der Exekutive (Regionalregierung). Zusätzlich werden 30 Senatoren durch den Präsidenten ernannt. Anders als die Staatsduma kann er nicht vom Präsidenten aufgelöst werden. Er tagt nach Bedarf, aber mindestens zweimal im Monat.

Die Staatsduma wurde erstmals am 12. Dezember 1993 gewählt. Nach der russischen Verfassung hat sie 450 Abgeordnete, die verschiedenen politischen Parteien angehören. Die Wahlen finden alle fünf Jahre statt.

Moskau, 2017. Das Gebäude der Staatsduma. Architekt Arkadij Langman, 1935.

Die wichtigsten Funktionen sind: Diskussion und Zustimmung oder Ablehnung von Gesetzesentwürfen, Zustimmung zur Ernennung des Ministerpräsidenten, Anhörung von Berichten der Regierung über ihre jährliche Arbeit, Ankündigung von Amnestien und sogar Anklageerhebung gegen den Präsidenten im Falle seiner Amtsenthebung (dafür ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich). Wählbar ist jeder russische Staatsbürger, der das 21. Lebensjahr vollendet hat und wahlberechtigt ist.

 

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