Warum gaben diese Balletttänzerinnen vor, Russinnen zu sein?

Russia Beyond (Hulton-Deutsch Collection / Corbis via Getty Images; Baron / Hulton Archive / Getty Images)
Russische Namen anzunehmen, war einst bei englischen und amerikanischen Tänzern sehr beliebt. Es versprach ihnen eine große Karriere auf der Bühne.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts organisierte der russische Ballettmeister Serge Djagilew  regelmäßig Tourneen russischer Künstler ins Ausland. Erstmals fanden Aufführungen unter dem Titel „Russische Jahreszeiten“ in Paris in den Jahren 1907 bis 1908 statt. Später formierte sich das „Ballets Russes“ mit Sitz in Monte Carlo. Damals erlebte das internationale Publikum Ballettstars wie Anna Pawlowa und Waslaw Nijinsky, den Komponisten Igor Strawinsky und die Choreografen Michael Fokine und George Balanchine. Diese Namen sind weithin bekannt, selbst, wenn man sich nicht für die Welt des Tanzes interessiert. 

Kein Wunder, dass es für viele junge Leute, die auf der Bühne stehen wollten, ein Traum war, in Djagilews Truppe aufgenommen zu werden. Er wählte nur die besten Künstler aus. Doch ohne einen russischen Namen waren die Chancen auf einen Platz in der ersten Reihe gering. Daher änderten viele ausländische Tänzer und Tänzerinnen ihre Namen. 

Sir Anton Dolin

Der wirkliche Name dieses charismatischen Tänzers ist Sydney Francis Patrick Chippendall Healey-Kay, aber in Theaterkreisen ist er als Anton Dolin (1904-1983) bekannt. Der in West Sussex geborene Tänzer besuchte die Kurse der Choreographen von Djagilew und trat 1921 in das Ensemble „Ballets Russes“ ein. Natürlich unter dem neuen Namen. Sein erstes Pseudonym war „Patrikejew“. Djagilew änderte es in „Anton Dolin“. Der Tänzer war ein Frauenschwarm. Er sah großartig aus und brillierte sowohl dramatischen als auch in romantischen Rollen. 

Durch die Zusammenarbeit mit Balanchine (dem „Vater" des amerikanischen Balletts) wollte Dolin sich selbst in der Choreografie versuchen - und hatte damit Erfolg. 

Markowa und Dolin im Metropolitan Opera House in New York, um 1960.

Zusammen mit seiner Kollegin Alicia Markowa (Lilian Alice Marks) eröffnete er 1925 ein Studio in London, inszenierte Perrots „Pas de Quatre“, „Giselle“ und „Variationen für Vier“ und gründete 1950 die Kompanie London Festival Ballet, aus der später das English National Ballet wurde. Im Jahr 1981 wurde er zum Ritter geschlagen und erhielt den Titel „Sir".

Dame Alicia Markowa

Alicia Markowa in Schwanensee, 1954.

Dolins Kollegin Lilian Alice Marks (1910-2004) änderte ebenfalls ihren Namen für die Bühne. Sie wurde in London geboren und erhielt ihre Ausbildung in der Schule der russischen Ballerina Serafima Astafjewa. Im Alter von 14 Jahren trat Lilian mit einem „russifizierten“ Namen Djagilews Truppe bei und wurde die jüngste Tänzerin.  

Alicia Markowa war überzeugt, sie sei nur aus Mitleid aufgenommen worden und war sehr bestrebt zu zeigen, dass sie der Aufgabe gewachsen war. Sie machte unglaubliche Sprünge im Stil eines Mannes und ihre Bewegungen wurden mit denen einer „geflügelten Fee" verglichen. Ihr einziger Freund auf der Bühne war jedoch Anton Dolin, da sie mit den russischen Ensemblemitgliedern keinen gemeinsamen Nenner fand. 

Alicia Markowa bei der Vorbereitung auf ihre Rolle als Pawlowa in einer speziellen Fernsehaufführung.

Markowa führte übrigens die Mode der gestrickten Gamaschen ein, die Ballerinen heute noch beim Training tragen. Darüber hinaus war Alicia Markowa die erste Ballerina, die im Fernsehen auftrat und den klassischen Tanz populär machte. Mehrere Jahre lang leitete Markowa das Metropolitan Ballet in New York. 

Im Jahr 1963 wurde Alicia von Elisabeth II. mit dem Titel „Dame" geehrt. Markowa unterrichtete bis ins hohe Alter.

Lydia Sokolowa

Lydia Sokolowa in dem Ballett

Die Ballerina Hilda Munnings (1896-1974) wurde in London geboren und studierte Tanz bei Enrico Cecchetti, der auch Anna Pawlowa unterrichtete und mit der Kompanie von Djagilew arbeitete. Der Impresario wurde 1915 auf die junge Ballerina aufmerksam und lud sie zum Russischen Ballett ein, wo sie unter dem Namen „Lydia Sokolowa" erfolgreich war. Wie sich ihre Kollegen erinnern, fühlte sie sich als Russin und beherrschte die Sprache perfekt - sie sprach nur mit einem leichten Akzent. 

Ihre beiden Ehemänner waren übrigens auch Tänzer von Djagilew, und sie nannte ihre einzige Tochter Natascha. 

Vera Sawina

Im Gegensatz zu Lydia lernte Vera Clark nie Russisch. Sie studierte an der Sledman-Schule und debütierte 1911 mit dem Ballett von Anna Pawlowa. 1918 schloss sie sich Djagilews  „Ballets Russes" an und änderte ihren Nachnamen in „Sawina“. 1926 wurde sie die Frau von Djagilews Direktor und Choreographen Léonide Massine, und der Impresario tobte. Gerüchten zufolge hegte Djagilew selbst Gefühle für Massine. Schließlich verließ der Choreograph die Kompanie und Sawina wurde ins Corps de Ballet versetzt. 

Anna Ludmila

Anton Dolin und Anna Ludmila tanzen im Grosvenor House in

Auch diese amerikanische Balletttänzerin änderte ihren Namen. Anna Ludmila (1903-1990) wurde als Jean Marie Kaley in Chicago geboren. Sie war eine Bewunderin von Anna Pawlowa und schrieb sich 1915 in der von ihren ehemaligen Tänzern Andreas Pawley und Serge Oukrainsky gegründeten Schule ein (die heute als Chicago Opera Ballet bekannt ist). Im Alter von 13 Jahren war sie bereits deren erste Ballerina. Ihre Auftritte waren so erfolgreich, dass Theaterkritiker sie als „amerikanische Pawlowa" bezeichneten. 

1928 sah Djagilew sie bei einer Aufführung in Frankreich und lud sie in sein Ensemble ein, doch sie wurde von Bronislawa Nijinsky (der Schwester von Waslaw Nijinsky) unter Vertrag genommen. Im Jahr darauf starb Djagilew.

Doch dann wandte Anton Dolin seine Aufmerksamkeit Anna zu, und sie wurde nicht nur seine Partnerin auf der Bühne, sondern auch seine Frau (obwohl sie sich bald darauf scheiden ließen). 

Annas Karriere endete 1933 aufgrund einer Verletzung, woraufhin sie nach der Methode Cecchettis zu unterrichten begann. 

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