Wie ein sowjetischer Geheimdienstoffizier Churchills Sohn rettete

Geschichte
BORIS JEGOROW
Ein sowjetischer Offizier musste Randolph Churchill „ausknocken“, um dessen Leben zu retten.

Am 25. Mai 1944 um 5 Uhr morgens wurde die Stadt Drvar in Westbosnien und Herzegowina, die von den Truppen der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) kontrolliert wurde, von den Deutschen aus der Luft schwer bombardiert. Später landeten am Stadtrand Segelflugzeuge, aus denen die Soldaten des 500. SS-Fallschirmjägerbataillons eilig ausstiegen.

Dies war der Beginn der deutschen Operation Rösselsprung, deren Ziel es war, die Spitzen der jugoslawischen Widerstandsbewegung zu vernichten oder gefangen zu nehmen, insbesondere Marschall Josip Broz Tito und die Offiziere seines Stabes sowie die Mitglieder der in der Stadt stationierten sowjetischen, britischen und amerikanischen Militärmissionen.

Die Deutschen, die auf der Jagd nach dem jugoslawischen Anführer waren, hatten sogar zwei Fliegen mit einer Klatsche erschlagen können. Schließlich befand sich der einzige Sohn des britischen Premierministers Winston Churchill, Randolph, zu dieser Zeit in Drvar.

Besondere Mission

„Wohlgemerkt, die Söhne von Premierministern springen nicht einfach so an Fallschirmen ab und tauchen nicht ohne konkrete Ziele in fremden Hauptquartieren auf“, kommentierte Stalin die Mitteilung von Alexander Golowanow, dem Kommandeur der UdSSR-Langstreckenluftfahrt, dass Major Randolph Churchill im Februar 1944 in Jugoslawien eingetroffen sei.

Auf den ersten Blick war das Erscheinen von Churchill Jr. in Drvar nicht mit einer wichtigen politischen Aufgabe verbunden. Er war dort als Kriegsjournalist tätig und sprach auf antifaschistischen Jugendkongressen in Jugoslawien.

Tatsächlich spielte Randolph die Rolle eines Verbindungsmannes zwischen der britischen Führung und Marschall Tito. Wie andere Offiziere in den britischen und amerikanischen Missionen arbeitete er aktiv daran, die Jugoslawische Volksbefreiungsarmee aus der Obhut Moskaus in den Einflussbereich Londons und Washingtons zu bringen.

Die latente Rivalität zwischen der UdSSR und dem Westen auf dem Balkan hinderte Churchill jedoch nicht daran, eine freundschaftliche Beziehung zu Konstantin Kwaschin, dem Berater der sowjetischen Militärmission für Sabotagetätigkeit, aufzubauen. Diesem Offizier verdankte der Brite sein Leben.

Gefangen

Die Deutschen nahmen die Jagd auf Tito sehr ernst. An der Operation Rösselsprung waren neben einem SS-Bataillon motorisierte Infanterieregimenter, Aufklärungs-, Panzer- und Pionierbataillone, ein Regiment der Spezialdivision Brandenburg und kroatische Einheiten beteiligt.

Nachdem sie den Widerstand der jugoslawischen Einheiten gebrochen hatten, besetzten die Deutschen schnell die Stadt und zwangen die versprengten alliierten Truppen, sich in die Bergregionen zurückzuziehen. Der Marschall und seine Mitstreiter, sowjetische, britische und amerikanische Offiziere bewegten sich in Richtung Kupres, wobei Randolph Churchill, Kwaschin und einige Mitglieder der westlichen Militärmissionen zu der Gruppe gehörten, die sich in Richtung des Dorfes Tečivo bewegte.

Verfolgt vom Feind, konnten die Gruppen Kontakt zum Luftwaffenstützpunkt in Bari aufnehmen. Neben dem britischen und dem amerikanischen Geschwader war dort auch die Luftwaffe der Roten Armee stationiert.

Die Gruppe Kwaschin-Churchill hätte bereits am 1. Juni auf dem Luftweg evakuiert werden sollen, aber der Plan scheiterte. „Wir wurden bis zum 8. Juni wie eine Schafherde durch die Berge gejagt“, erinnerte sich Konstantin Kwaschin.

Mit seiner großen Erfahrung im Bereich der Aufklärung und Sabotage tat Kwaschin alles, was er konnte, um sicherzustellen, dass die Gruppe dem Feind wirksam ausweichen konnte. Doch in einem Moment wäre die Falle für sie fast zugeschnappt. Die Deutschen griffen von drei Seiten an, so dass der einzige Fluchtweg ein gefährlicher Abstieg einen steilen Hang hinunter ins Tal war.  

Der unbeherrschte Major

Kwaschin selbst musste Churchill während des Abstiegs sichern. Nach der Erinnerung des Aufklärers war der Sohn des britischen Premierministers zu diesem Zeitpunkt nicht ganz nüchtern. Randolph war ohnehin dem Alkohol nicht abgeneigt und die Umstände  waren wohl zu deprimierend für ihn.

Der Engländer reagierte nicht auf die Warnungen Kwaschins, als er anfing, Lieder zu singen. Er riskierte nicht nur, die Aufmerksamkeit der Deutschen auf sich zu ziehen, sondern auch, abzustürzen. Schließlich schlug der sowjetische Offizier den unkontrollierbaren Major mit einem einzigen Schlag k.o. und seilte den Bewusstlosen in Tal ab.

Nachdem die Gruppe die feindlichen Stellungen lautlos ausgeschaltet hatte, brach sie in ein sicheres Tal aus, wo sie bald von britischen Flugzeugen aus Bari abgeholt wurde. Wie sich herausstellte, war Tito einige Tage zuvor gerettet worden: Der jugoslawische Marschall und sein Hauptquartier waren von sowjetischen Piloten evakuiert worden.

Auf dem Luftwaffenstützpunkt in Italien war Randolph bereits völlig ausgenüchtert. Er verabschiedete sich und reichte Kwaschin fest die Hand. Er hegte keinen Groll gegen seinen Retter.

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