10.10 Uhr, Flugplatz Tschkalowskij bei Moskau. Zwei Piloten, darunter der erste Kosmonaut der Welt, Juri Gagarin, sitzen im Cockpit eines Übungsjagdflugzeugs vom Typ MiG-15 UTI. Die Stimmung ist etwas nervös: Der Flug hat bereits Verspätung, alle warten darauf, dass das vorherige Flugzeug seine Aufgabe absolviert.
Um 10.19 Uhr heben sie schließlich ab. Gagarin tauscht Funksprüche mit dem Tower aus. Seine Stimme klingt ruhig und klar. Nach drei Minuten meldet er, dass er den Aufstieg abgeschlossen hat und bittet um die Erlaubnis, auf 4200 m steigen zu dürfen. Zwei Minuten später sagt er, habe die Wolkendecke durchflogen. Nach weiteren sechs Minuten meldet Gagarin mit der gleichen ruhigen Stimme das Ende der Mission in diesem Gebiet und bittet um die Erlaubnis, umdrehen und landen zu dürfen. Das überrascht die Fluglotsen – erst die Hälfte der für die Aufgabe vorgesehenen Zeit ist verstrichen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Kommunikation mit den Piloten jedoch unterbrochen.
Um 10.29 Uhr gerät der Düsenjäger 65 km vom Flugplatz entfernt ins Trudeln und schlägt auf dem Boden auf. Der Absturz vom 27. März 1968 ging in die Geschichte ein, vor allem wegen Gagarins Tod. An das zweite Opfer, den Fluglehrer Wladimir Serjógin, wird weniger oft erinnert. Obwohl der Leiter des Kosmonauten-Trainingszentrums persönlich auf dessen Kandidatur für den Flug mit Gagarin bestand.
Stalins Falke
1943 schloss Wladimir Serjógin die Pilotenschule ab und ging als Militärpilot an die Front.
Seine erste Auszeichnung – den Orden des Roten Sterns – erhielt der Pilot Anfang 1944. In den Gratifikationsurkunden werden diese beiden Leistungen erwähnt. Am Steuer seiner IL-2 begab er sich auf den Einsatz: Die Bombardierung von Panzern in der Nähe des Dorfes Marijewka.
Die deutsche Flak schoss vom Boden aus auf ihn, aber Serjógin erreichte sein Ziel genau und zerstörte zwei Panzer. Am nächsten Tag kam es zu einer ähnliche Situation: In der Nähe von Stalinodorf (Gebiet Wolgograd) wich er dem Beschuss aus und bombardierte drei überdachte Eisenbahnwaggons.
Und einmal rettete er einem sowjetischen Piloten das Leben, der von einer deutschen Fokke-Wolf angegriffen wurde. Serjógin feuerte eine lange Salve ab, woraufhin die Fokke-Wolf in Flammen aufging und zu Boden stürzte. Serjógin selbst wurde verwundet, erreichte aber das Flugfeld und landete ohne Fahrwerk.
Insgesamt flog Serjógin während des Krieges 140 Kampf- und 50 Aufklärungseinsätze. Solche Asse wie er wurden Stalins Falken genannt. Im Jahr 1945 wurde er zum Helden der Sowjetunion ernannt.
Gagarins Ausbilder
Nach dem Krieg saß Serjógin wieder auf der Schulbank. An der Luftwaffenakademie ergänzte er seine umfangreichen praktischen Erfahrungen mit theoretischen Kenntnissen. Nach seinem Abschluss testete er neue Modifikationen der Jagdflugzeuge MiG-15 und MiG-17. „Er führte Testflüge jeglicher Komplexität durch, auch mit abgeschalteten Triebwerken“, heißt es in seiner Personalakte.
Mitte der 1960er Jahre wurde er zum Kommandeur eines Fliegerregiments ernannt und mit der Flugausbildung von Kosmonauten beauftragt. Der Punkt ist, dass die ersten Kosmonauten in der UdSSR alle Kampfpiloten waren (Menschen, die mit hoher G-Belastung und Schwerelosigkeit vertraut waren sowie mit Lärm, Vibrationen und hohen Geschwindigkeiten umzugehen konnten). Wladimir Serjógin verfügte über eine enorme Erfahrung im Fliegen unter extremen Bedingungen.
Am 26. März 1968 wurde Nikolai Kamanin, stellvertretender Oberbefehlshaber der Luftstreitkräfte der UdSSR für den Weltraum, darüber informiert, dass Juri Gagarin eine Prüfung zur Erprobung der MiG-17 ablegen würde. Kamanin entschied jedoch, dass der erste Kosmonaut zuvor einen Trainingsflug in einer MiG-15 UTI absolvieren solle. Nikolai Kusnezow, Leiter des Kosmonauten-Trainingszentrums, bot sich an, mit Gagarin zu fliegen, aber Kamanin bestand darauf, dass Serjógin fliegt.
Das Geheimarchiv
Der Grund dafür, dass Gagarin, der bereits ins All geflogen war, die Prüfung erneut ablegen musste, war eine dreimonatige „flugfreie“ Pause, die mit der Vorbereitung seiner Diplomarbeit an der Akademie verbunden war.
„Flüge wie dieser gehören zum Ausbildungsprogramm aller Kosmonauten. Ohne sie ist es, wie wir sagen, schwierig, in Flugform zu sein. Dadurch werden nicht nur die beruflichen Fertigkeiten perfektioniert, sondern auch die Fähigkeit getestet, bei hoher Belastung und Lärm zu arbeiten“, schrieb Kamanin in seinen Memoiren.
Ein Flug mit einem so erfahrenen Ausbilder wie Serjógin löste bei niemandem Befürchtungen aus. Selbst nach der Nachricht vom Ausfall der Kommunikation hofften alle auf eine schnelle Notlandung oder, als letzten Ausweg, auf das Herauskatapultieren der Piloten.
Keines dieser Szenarien ist jedoch eingetreten. Die Trümmer des Flugzeugs waren in einem Umkreis von einem Kilometer verstreut und die sterblichen Überreste der Piloten wurden erst am nächsten Morgen gefunden. Das Ergebnis der Untersuchung füllte 29 Bände, die als „geheim“ eingestuft wurden – nicht einmal das Fazit zu den Umständen von Gagarins und Serjógins Tod wurde veröffentlicht.
Erst 2011 wurde auf der Grundlage der freigegebenen Dokumente als wahrscheinliche Absturzursache ein drastisches Manöver eines der Piloten ermittelt (von wem genau, ist unbekannt). Daraufhin geriet das Flugzeug ins Trudeln und kollidierte mit einer Ballonsonde. Nach einer anderen Version flog das Flugzeug von Gagarin und Serjógin gefährlich nahe an ein anderes Kampfflugzeug heran und geriet in den Sog dessen Triebwerks.