Deutschsprachige Zeitungen in Russland (TEIL 1): von den Anfängen bis zur Revolution 1905

Geschichte
ZHANNA NEYGEBAUER
Zahlreiche deutschsprachige Blätter sind mit der wechselhaften Geschichte der Deutschen im Russischen Zarenreich und später in der Sowjetunion verbunden.

In Russland sagt man, dass der erste Imperator, Peter der Große, „ein Fenster nach Europa geöffnet“ habe. Auf seinen Reisen übernahm er aktiv europäische Erfahrungen und lud ausländische Fachleute ins Land ein. Dank ihm entstand das Pressewesen in Russland. Nachdem die Sankt-Peterburgskije wedomosti (St. Petersburger Nachrichten) 1702 erstmalig erschienen war, wurde eine deutschsprachige Zeitung, die St. Petersburgische Zeitung herausgegeben. Später folgten zahlreiche weitere Blätter auf Deutsch.

St. Petersburgische Zeitung

Ausländer, die nach Russland kamen, brauchten Medien in einer Sprache, die sie verstehen konnten. Die deutsche Ausgabe wurde dadurch gerechtfertigt, dass ein großer Teil der Ankommenden Deutsche waren, und sie dominierten auch unter den Akademiemitgliedern, die die Ehre hatten, an der Wiege des Blattes zu stehen.

Die erste Ausgabe erschien Anfang im Januar 1727. Zu diesem Zeitpunkt war Peter der Große, der der Akademie der Wissenschaften die Aufgabe übertragen hatte, fremdsprachige Medien zu schaffen, bereits verstorben. Der Erlass zur Gründung der Zeitung wurde von seiner Nachfolgerin auf dem Thron, seiner Frau Katharina I., unterzeichnet.

Eine wichtige Aufgabe der Publikation, so die Absicht des verstorbenen Monarchen, war es, ein positives Bild des Landes im Ausland zu schaffen. „Sie sollen durch Werte, die Sie von ihren Wissenschaften und neuen Entdeckungen lateinisch schreiben und drucken lassen, uns den Credit und die Ehre in Europa erwerben, daß auch bei uns die Wissenschaften getrieben, und wir nicht als Verächter derselben und als Barbaren angesehen werden, so ermahnte Peter I. die Akademiemitglieder. 

Die Zeitung wurde im Abonnement vertrieben und erschien anfangs einmal pro Woche; im Laufe der Zeit erschien das Blatt häufiger und das Format wurde größer. Die Informationen für die Nachrichten stammten von Korrespondenten im Ausland und aus ausländischen Zeitungen, die vom Kollegium für Auswärtige Angelegenheiten – dem damaligen Außenministerium – exklusiv weitergeleitet wurden. Außerdem wurden Informationen über die von der Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Bücher und private Ankündigungen veröffentlicht. In späteren Ausgaben findet man zum Beispiel solche Stellenausschreibungen:

Ein Ausländer, der in der französischen, teutschen und italienischen Sprache, wie auch in der Geographie, Historie und andern Wissenschaften und Bildung giebt, wünschet sich als Lehrer in einem guten Haus angenommen zu werden, hat dabey glaubwürdige Attestate aufzuweisen. Er ist zu erfragen in der großen Meschanskoi Nr. 40. (St. Petersburgische Zeitung, №1, 1792)

Mit der Entwicklung der Zeitung wurden die Informationen, die sie enthielt, immer vielfältiger. Sie informierte über die neuesten Erlasse und Verordnungen, zu versteigernde Immobilien, bevorstehende Veranstaltungen, Verträge, Fundsachen, Bücherneuheiten, die Wettervorhersage für die nächsten Tage und sogar über Leute, die wegfahren und möglicherweise einen Reisebegleiter finden wollten. 

Zunahme der Publikationen im 19. Jahrhundert

Ende des 18. Jahrhunderts zeichnete sich in Russland der Trend zu einer strengeren Medienkontrolle ab: Katharina die Große hatte eine Vorzensur der Presse eingeführt und die meisten privaten Druckereien wurden geschlossen. Mit der Thronbesteigung Alexanders I., des Enkels der Zarin, begann jedoch eine Liberalisierung. Das 1804 unterzeichnete Zensurgesetz erleichterte die Herausgabe von Zeitschriften, und obwohl es bis zum 19. Jahrhundert in Russland fast keine weiteren deutschsprachigen Publikationen gab, begann ihre Zahl von da an zu steigen.

Bereits 1834 wurden in Russland mehr als 20 deutschsprachige Medien herausgegeben: in St. Petersburg, Kronstadt, Dorpat (heute Tartu), Riga, Reval (heute Tallinn), Pernowa (Pärnu), Libawa (Liepaja) und Mitawa (Jelgawa). Viele von ihnen, z. B. die St. Petersburgische Handels-Zeitung, der S. Petersburgische Preis-Courant und die Liste der importierten Waren, waren kommerziell ausgerichtet und enthielten Nachrichten über Geschäfte, importierte Waren und Preise. Andere berichteten über Literatur und druckten literarische Werke ab. In Dorpat wurde auch eine religiös orientierte Zeitung, die Evangelischen Blätter, herausgegeben. Ihr Gründer, der örtliche Theologieprofessor Busch, veröffentlichte Gedichte, Predigten, Biografien von Gerechten, religionsgeschichtliche Notizen und Nachrichten über theologische Literatur. Wenig später erschien in der Hauptstadt des Russischen Reiches die evangelische Publikation St. Petersburgisches evangelisches Sonntagsblatt.

Die Tradition, eine deutschsprachige Presse herauszugeben, konnte sich in Moskau nicht durchsetzen. In den Jahren 1811-1812 wurde dort die Moskauische Zeitung herausgegeben, die 1865 und 1870 unter ähnlichen Titeln neu aufgelegt wurde. Ihre geringe Popularität könnte mit dem andersgearteten Publikum zusammenhängen: Im Gegensatz zu St. Petersburg gehörten die Deutschen in Moskau hauptsächlich der Kaufmanns- und Handwerkerschicht an. Aus einem ähnlichen Grund entwickelte sich die Presse unter den überwiegend auf dem Land lebenden Deutschen in der Wolgaregion nur marginal. Erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts konnten sich die Zeitschriften dort mehr oder weniger fest etablieren.

In den 1721 dem Russischen Reich angegliederten baltischen Städten wurden vergleichsweise viele deutschsprachige Medien produziert. Die Baltendeutschen waren in der Region sehr präsent: Sie versorgten den Adel und die besser gestellten Bevölkerungsschichten, besaßen Land und Deutsch war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Verwaltungssprache. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kam es zu Veränderungen in der Region: Die russischen Behörden gingen zu einer Russifizierungspolitik über und das Nationalbewusstsein der Einheimischen wuchs. Darüber hinaus entstand 1871 in der Nähe ein neuer starker Staat – das Deutsche Kaiserreich.

Vor diesem Hintergrund begann die deutschsprachige Presse, die ihre Wurzeln im akademischen Bereich, in der Wissenschaft und in großen Nicht-Nachrichtenformaten wie Jahrbüchern und Almanachen hatte, gesellschaftspolitischen Themen große Aufmerksamkeit zu schenken. In den Veröffentlichungen wurden drängende soziale Fragen angesprochen und eine klare politische Haltung eingenommen, die oft kritisch gegenüber den Maßnahmen der russischen Behörden war. Fragen der Autonomie und der Selbstbestimmung waren für die lokale Bevölkerung von großer Bedeutung, und solche Themen konnten die Aufmerksamkeit der Führung des Landes nur erregen. Mit der Thronbesteigung von Nikolaus I. im Jahr 1825 wurde die Zensur in Russland wieder verschärft, und die Publikationen der Deutschbalten, wie die Döptsche Zeitung, das Dorpater Tagesblatt, die Rigaschen Stadtblätter und Der Zuschauer, wurden häufig von der Zensur verwarnt. Das Provinzialblatt für Kur-, Lit- und Estland wurde sogar verboten.

Die deutschen Kolonisten in Südrussland hatten im 19. Jahrhundert ebenfalls ihre eigenen Medien. Im Jahr 1846 wurde das Unterhaltungsblatt für Deutsche Ansiedlerim Südlichen Russland ins Leben gerufen. Die Publikation durfte keine politische Haltung zum Ausdruck bringen und sollte den Lesern einen unterhaltsamen Zeitvertreib bieten. Sie wurde durch die Odessaer Zeitung ersetzt, die ausländische, nationale und lokale Nachrichten, Literatur- und Theaterkritiken sowie Notizen zur Landwirtschaft enthielt. Die regionale Leserschaft war klein, so dass die Zeitung mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, obwohl sie von den Behörden unterstützt wurde: Das Abonnement war für städtische Beamte obligatorisch. Dagegen waren religiöse Zeitungen und Kalender bei den Kolonisten sehr beliebt.

Odessa, St. Petersburg und die baltischen Städte wurden zu den drei Zentren der deutschen Presse im Russischen Reich. Die Entwicklung der deutschsprachigen Presse war jedoch nicht nur geografisch bedingt. Der Journalismus selbst hat in dieser Zeit große Fortschritte gemacht: Es entstand eine Kultur der Schlagzeilen, die Vielfalt der Genres nahm zu und die Kultur der Erstellung von Sonderbeilagen und -medien fasste Fuß.

Im Jahr 1865 lockerte der neue Zar Alexander II. die Zensurgesetze erheblich und förderte damit auch deutschsprachige Periodika. Unter dem nächsten Herrscher, Alexander III., verschlechterte sich die Lage jedoch wieder. Vor dem Hintergrund der sich abkühlenden Beziehungen zu Deutschland wurde auch das Verhältnis zu den Deutschen in Russland angespannt, und die deutschsprachige Presse übernahm die Rolle des Beschützers der nationalen Kultur.

Die erste russische Revolution im Jahr 1905 löste eine neue Welle deutschsprachiger Medien aus. Die russische Monarchie machte Zugeständnisse und verabschiedete das Manifest vom 17. Oktober, in dem „Gewissens-, Rede-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit“ verkündet wurde. In dieser Zeit des Umbruchs verfolgten die Russlanddeutschen nicht nur die Veränderungen in ihrem Land, sondern suchten auch nach ihrem Platz in der neuen Situation. Die bis dahin inaktiven Provinzen Saratow und Tiflis z.B. schlossen sich der Produktion deutscher Zeitschriften an. Einige Zeitungen befassten sich mit Politik, andere waren unterhaltsam und versuchten, die nationale Identität zu bewahren.

Bereits sechs Monate später begann eine erneute Verschärfung der Medienkontrolle, die bis Anfang der 1910er Jahre andauerte, als die industrielle und wirtschaftliche Entwicklung die weitere Verbreitung von hochspezialisierten Publikationen wie der Russischen Eisenbahnzeitung für die Eisenbahner erforderlich machte. Die meisten der in dieser turbulenten Zeit gegründeten Zeitungen überdauerten jedoch nicht lange.

>>> Wie die Bolschewiki die „sprechende“ Zeitung erfanden (FOTOS)

>>> Wie es einer Zeitung gelang, die russische Revolution 1917 vorzubereiten

>>> Von einer Zarenzeitung bis Sprachrohr der Bolschewiki: Vier Printmedien, die Russland veränderten