Wie ein Franzose das klassische russische Ballett veränderte

Kultur
ANNA GALAJDA
Am 11. März nähert sich der 200. Geburtstag von Marius Petipa, einem französischen Choreografen, dessen Ballette bis heute auf der ganzen Welt aufgeführt werden und sich immer noch großer Beliebtheit erfreuen.

Der Name Marius Petipa findet sich auf den Plakaten der beliebtesten Ballette der Welt wieder, darunter auch Schwanensee, Dornröschen, La Bayadère, Giselle, Don Quijote sowie der Nussknacker. Ebenso einfach ist es immer noch, ein Porträt von Petipa zu finden, einem alten Mann, mit einem sanften Lächeln und kleinem, ordentlich gekämmten, grauen Bart. Dennoch wissen wir erstaunlich wenig über den Franzosen, der das klassische russische Ballett prägte.

Eigene selbst erschaffene Legende

Es war Marius Petipa selbst, der sein Leben in eine Legende verwandelt hatte. Im französischen Marseille in eine Theaterdynastie geboren, bekam er von Anfang an Erfolg und Abenteuerlust zu schnuppern, ohne die es schwierig gewesen wäre, im künstlerischen Bereich Fuß zu fassen und Karriere machen zu können. Um sich Verträge zu sichern, änderte Marius sogar sein Geburtsdatum und gab vor, sein eigener Bruder zu sein.

Sein unbändiges Temperament trieb ihn zu romantischen Abenteuern, aufgrund derer er später sogar aus Spanien flüchten musste. Wie ein Löwe kämpfte er um Gelder, die er von Unternehmern oder der Verwaltung des russischen Hofes bekommen konnte. Darüber hinaus war Petipa nicht dem Gedanken abgeneigt, Ideen anderer Leute und sogar Szenen aus anderen Balletten zu adaptieren. Im Alter von 85 Jahren verwandelte der erste Ballettmeister des Sankt Petersburger Imperialen Theaters schließlich sein stürmisches und leidenschaftliches Leben, das nicht nur von Höhen, sondern auch von Tiefen, Enttäuschungen und Abenteuern geprägt war, in eine höchst ausgeschmückte Autobiographie. Hundert Jahre lang wurden Petipas Memoiren in mehreren Auflagen verlegt und dienten als Hauptquelle für Biographen.

Plagiat oder Originalität?

In Bezug auf seine kreative Arbeit ist die Geschichte noch komplizierter. Fast 60 Jahre lang arbeitete Petipa in Russland, 40 davon war er als Ballettmeister des Sankt Petersburger Imperialen Theaters angestellt. Während dieser Zeit schuf er etwa hundert Ballette und Tänze sowie ein Duzend Opern. Heute steht der Name Petipa gleichbedeutend für das Erbe des klassischen Balletts: Er gilt als Urheber aller bis heute erhaltenen Ballette des 19. Jahrhunderts, mit Ausnahme von La Sylphide des dänischen Choreografen August Bournonville, oder zumindest als derjenige, der diese Ballettstücke erfolgreich adaptierte. Gleichwohl ist die Bedeutung seiner künstlerischen Arbeit weitaus höher. Natürlich war er nicht derjenige, der die großen klassischen Ensembles gründete, den Nationaltanz auf der Bühne salonfähig machte, den Spitzentanz sowie das Prinzip der Balletthierarchie einführte oder das Ballet d'action sowie das Pantomimenballett erfand, ein System der plastischen „Sprache“, das die Protagonisten zwischen den Tanzeinlagen benutzten.

Petipa war vielleicht ebenso wenig der, wie man glaubte, erfindungsreichste Schöpfer von Ballettkombinationen – ihm wurde vorgeworfen, er habe sich diese von Jules Perrot und Arthur Saint-Léon geliehen, und auch er selbst machte kein Geheimnis daraus, dass er Christian Johanssons Unterricht an der Waganowa-Ballettakademie beiwohnte, um dort originelle choreographische Einlagen zu sehen und zu übernehmen. Dennoch schuf Petipa zu einer Zeit, in der das europäische Ballett im Wesentlichen zu einer Show verkommen war, im fernen Russland künstlerisch anspruchsvolle Choreographien, formte die beste Ballettkompanie der Welt und fasste in den für sie geschaffenen Produktionen all die Erfahrungen zusammen, die das Ballett in den zweihundert Jahren bis dahin vorzuweisen hatte.

Eine Inspiration für die Choreographen von heute

In der Zwischenzeit schworen die Anhänger dem Erbe des Choreographen Treue und führten hundert Jahre lang Petipas Ballettstücke auf, die sie zwar nach dem Geschmack ihrer Zeit interpretierten, Petipas Geist und Stil jedoch stets mit einbezogen. In der Bibliothek der Harvard Universität befindet sich das umfangreiche Archiv des Choreographieassistenten Nicholas Sergejew, das einzigartige choreografische Aufzeichnungen von Petipas Produktionen aus dem frühen 20. Jahrhundert enthält.

Bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts wurden sie zwar von Praktikern und Theoretikern weitgehend ignoriert, dienen heute jedoch zunehmend als Zeugnis dafür, dass sogar die Sankt Petersburger Lesarten manchmal bis zur Unkenntlichkeit verändert werden können. Nichtsdestotrotz schuf Petipa Arbeiten, die seine Anhänger wie keine anderen dazu inspirieren, mit dem klassischen Ballett zu interagieren, es zu revidieren, zu transformieren und immer wieder aufs Neue zu erforschen.

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