„Die zeitgenössische russische Kreativität hat die Besonderheit, eine interessante und ernste Idee zu entwickeln, aber nur die erste Stufe dieses Gedankens zu verwirklichen, die dann in optimaler Weise perfektioniert und ausgeführt werden muss. Aber ich habe keine Probleme mit dem russischen Pavillon. Alles wurde hervorragend erschaffen und ausgeführt – von den kleinen Beschriftungen bis hin zum wundervollen Video“, sagte Selfira Tregulowa, die Direktorin der Tretjakow-Galerie, gegenüber Russia Beyond.
Semjon Michajlowskij, der Kurator des Pavillons, drückte „Freiraum“, das Hauptthema der 16. Internationalen Architekturbiennale aus, indem er Architektur, Geschichte, Kunst und die Zukunft von Städten und Bahnhöfen kombinierte.
Es gibt mindestens fünf Gründe, einen Blick in den russischen Pavillon in Giardini zu werfen, während Sie durch das größte touristische Zentrum der Welt schlendern.
Der erste Bahnhof im zaristischen Russland wurde 1838 im Petersburger Vorort Pawlowsk, etwa 30 Kilometer von der Reichshauptstadt entfernt, erbaut, da er eine der kaiserlichen Sommerresidenzen beherbergte. Die Station diente nicht nur als ein Ort, an dem die Züge aus der Hauptstadt hielten, sondern auch als Konzert- und Ballsaal, in dem viele außergewöhnliche Musiker und Komponisten der damaligen Zeit, darunter auch Johann Strauss, auftraten.
Das neobarocke Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört. Für den russischen Pavillon wurde es als Modell wieder aufgebaut, wo es jetzt als zentrales Kunstobjekt dient.
Das Modell des Bahnhofs von Pawlowsk, das aussieht, als wäre der Bahnhof direkt aus dem Boden gerissen und neu aufgestellt worden, ist nicht das einzige Ausstellungsobjekt. Das Klischee „eine Architekturausstellung mit Modellen, Fotos und Skizzen ist langweilig“ wird durch die Kombination mit den Werken moderner Künstler widerlegt.
Die Ausstellung enthält eine dynamische Video-Karte zur Geschichte der russischen Eisenbahn sowie Installationen mit sowjetischen Koffern und Schließfächern von Arden Walda und Wänden mit Graffiti von Anatoli Akue - den unverzichtbaren Begleitern von Bahnhöfen und Tunneln. Es gibt außerdem ein fesselndes Reisevideo von Regisseur Daniil Sintschenko.
Sintschenkos „Sieben Tage in Sieben Minuten“ Reisevideo ist nicht nur eine filmische Reise – in erster Linie ist es eine persönliche Geschichte. Vor ein paar Jahren hat der Großvater von Sintschenko, ein Kapitän der ozeanischen Schifffahrt, der in Wladiwostok lebt, den Regisseur auf Facebook entdeckt. Sie hatten sich zuvor nie gesehen.
„Ich beschloss, in den Fernen Osten zu reisen, um meinen Großvater zu treffen. Ich nahm den Zug, um ein Gefühl für Russlands Unendlichkeit zu bekommen, so wie mein Großvater die Unendlichkeit der Welt während seiner Langstreckenfahrten auf dem Ozean gespürt hatte“, sagt Sintschenko.
Tregulowa nannte den Film nicht nur hervorragende Videokunst, sondern auch ein gutes Beispiel dafür, wie man Produktplatzierungen in ein Kunstwerk einbaut. „Das Logo des Sponsors ‚Russian Railways‘ erlebt sein eigenes ‚Leben in der Kunst‘“, bemerkt sie.
Im angrenzenden Videoraum befindet sich eine weitere historische Kunstinstallation, „Crypt of Memories“ (zu Deutsch „Gruft der Erinnerungen“), die aus Teilen des sowjetischen Moskauer Bahnhofs in Sankt Petersburg besteht, die in die Mauer eingekeilt sind. Eingemauerte Kisten enthalten Artefakte und Erinnerungsstücke von berühmten Passagieren der Station, die mit der russischen Eisenbahn reisten – von den Zaren Alexander der Dritte und Nikolaus der Zweite bis hin zu Fidel Castro und David Bowie.
Sie können hier beispielsweise lernen, dass Leo Tolstoi es hasste, in Zügen zu reisen, und nach dem persönlichen Arzt des Autors war es eine Zugfahrt, die den Tod des 82-jährigen Schriftstellers verursache. Angeblich habe er sich auf einer solchen Reise erkältet, was dann zu seinem Tod führte.
Es kursiert auch eine Geschichte über Mao Zedong, der in einem Sonderzug mit Josef Stalin unterwegs war und hoffte, vom sowjetischen Führer Unterstützung zu erhalten.
Natürlich kann kein nationaler Pavillon der Biennale auf ein futuristisches Projekt verzichten. Der russische Pavillon zeigt daher die Hochgeschwindigkeitsstrecke Moskau-Kasan, die rund 15 Milliarden Euro kosten würde.
Nikolai Schumakow vom Unternehmen Metrogiprotrans, der versprach, dass die Züge die Passagiere mit einer Fahrgeschwindigkeit von 360 Kilometern pro Stunde in nur in 3,5 Stunden von Moskau nach Kasan befördern würden, stellte das Projekt mit seinen Haltestellen und Bahnhöfen entlang der 800 Kilometer langen Schienenstrecke vor.
Die 16. Internationale Architektur Biennale Venedig findet vom 26. Mai bis 25. November 2018 statt.
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