Onegin und Kuragin: Die sieben Scheusale der russischen Literatur

Den folgenden Charakteren würden Sie wahrscheinlich nicht gerne über den Weg laufen. Wenn diese Scheusale sogar schon in der fiktiven Welt unausstehlich sind, wie wäre es dann erst im wahren Leben?

  1. Eugen Onegin (gleichnamiger Versroman von Alexander Puschkin, 1833)

„Eugen Onegin“ gilt als die Perle in Puschkins umfangreichem Erbe. Der einflussreichste russische Dichter des 19. Jahrhunderts schrieb ein geschicktes Meisterwerk, welches das Leben in Russland zu jener Zeit wahrheitsgemäß porträtiert, und dessen gleichnamiger Held die Laster der Ära verkörpert.

Ein gelangweilter Adliger, der nie einen Tag in seinem Leben gearbeitet hat, führt ein nutzloses Leben voller sinnloser Unterhaltung. So verspottet er beispielsweise seinen besten Freund und gibt nur zum Spaß vor, dessen Geliebte zu bezirzen, nur um ihn dann in einem Duell zu erschießen. Was für ein Idiot.

  1. Stephan Pljuschkin („Die toten Seelen“ von Nikolai Gogol, 1842)

In „Die toten Seelen“ reist der Protagonist Pawel Tschitschikow durch das provinzielle Russland, kauft tote Leibeigene von seinen Besitzern, um Finanzbetrug zu begehen, und trifft auf sehr unterschiedliche, aber meist unerfreuliche Landbesitzer. Pljuschkin ist vielleicht der Schlimmste von ihnen – ein alter gieriger Mann, der alles sammelt, was er kann und es hortet, obwohl sein Anwesen im Schmutz versinkt.

>>> Der Schädel von Gogol

  1. Porfirij „Kleiner Judas“ Golowljow („Die Herren Golowljow“ von Michail Saltykow-Schtschedrin, 1880)

Russische Autoren des 19. Jahrhunderts liebten es, die Aristokratie zu kritisieren, und niemand tat es besser als der brutal ehrliche Michail Saltykow. In „Die Herren Golowljow“ beschrieb er eine dysfunktionale Adelsfamilie, in der die Kinder sich gegenseitig betrügen, täuschen und bekämpfen, um ihren Anteil am Erbe zu erhalten.

Porfirij Golowljow, mit dem Spitznamen „Kleiner Judas“, scheint der Schlimmste unter ihnen zu sein. Durch Täuschung und Verrat erlangt er das komplette Eigentum der Familie, aber am Ende findet er keine Befriedigung darin. Er stirbt unglücklich und allein, so wie auch alle anderen Charaktere im Roman. Saltykow ist nichts für Zartbesaitete.

  1. Die Familie Kuragin („Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi, 1865-1869)

Irina Skobzewa (l.) als Hélène Kuragina

Tolstois monumentaler Roman spiegelt die Laster und Tugenden seiner Epoche wider, und so sind die Kuragins eine Vorzeigefamilie für schlechte Angewohnheiten. Der alte Fürst Wassili Kuragin, ein schlauer aber arroganter Verschwörer, tut alles, um sich selbst und seine ziemlich düsteren Pläne am Hof zu bewerben.

Die Kinder sind noch schlimmer. Wassilis Sohn, Anatole, verführt die unschuldige Natalja Rostowa, obwohl er heimlich mit einer polnischen Frau verheiratet ist. Anatoles Schwester Hélène ist nur aufs Geld aus und betrügt alle ihre Liebhaber und sogar ihren rechtmäßigen Ehemann. Außerdem sollen diese beiden eine inzestuöse Affäre haben. Die Kuragins verkörperten somit alles, was Tolstoi verachtete.

  1. Pawel Smerdjakow („Die Brüder Karamasow“ von Fjodor Dostojewski, 1879-1880)

Wir könnten diese Liste vollständig mit Dostojewskis Charakteren füllen, der großartig darin war, Unmenschen zu porträtieren. Doch Pawel Smerdjakow, der illegitime Sohn des alten Fjodor Karamasows, der im Haus als Koch arbeitet, ist wahrscheinlich der schlimmste Charakter aus Dostojewskis Feder.

Smerdjakow verabscheut einfach alles und jeden: seinen Vater, Russland, die Welt und sich selbst. Er behauptet, dass es schön wäre, „russische Leute auszupeitschen“. Als Knecht träumt er davon, ein edler Herr zu werden und alle zu bestrafen. Smerdjakow ermordet seinen eigenen Vater und tötet sich schließlich selbst.

>>> Warum hassen manche Russen Dostojewski?

  1. Die Wachen („Erzählungen aus Kolyma“ von Warlam Schalamow, 1966-1967)

Es ist ein kollektives Bild von Wachmännern, das in diesen Erzählungen geschaffen wird. Jeder Wächter, der in sowjetischen Arbeitslagern arbeitete, in denen Schalamow während Stalins Herrschaft 14 Jahre verbrachte, soll damit dargestellt werden. Seine Prosa ist grundsätzlich dokumentarisch. In einer Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel „Erzählungen aus Kolyma“ beschreibt Schalamow die entsetzliche Existenz von hungrigen und machtlosen Gefangenen und Wärtern, die manchmal grundlos und aus reiner Langeweile Häftlinge töten. Und Schalamow hat sich dieses kollektive Bild nicht ausgedacht: Solche Menschen gab es tatsächlich – und es waren viele.

>>> Kolyma: Vom Goldenen Land zum Vorort der Hölle

  1. Andrej Komjaga („Der Tag des Opritschniks“ von Wladimir Sorokin, 2006)

Dieser Roman kombiniert Satire und Dystopie. Wir schreiben das Jahr 2027 und Russland ist zu einer ultraorthodoxen Monarchie geworden, in der die neuen Opritschniks, ursprünglich die Schergen von Iwan dem Schrecklichen, die Nation im Namen des Zaren terrorisieren und jeden töten und erpressen. Das ist es auch, was Komjaga, der Protagonist des Romans, tut. Sein Tag umfasst Morde und Vergewaltigungen sowie Drogen und Orgien; und immer mit Gottes Namen auf seinen Lippen.

>>> Des Zaren dunkle Reiter: Wer waren die „Opritschniki“?

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!