1. Margarita in „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow
Viele Literaturwissenschaftler glauben, dass Bulgakows letzte Frau Jelena Sergejewna der Hexe Margarita als Vorbild diente. Als sie den Schriftsteller kennenlernte, war sie – genau wie Margarita – noch verheiratet. Ihr Mann war der General der Roten Armee Jewgenij Schilowski.
Die Bulgakow-Forscherin Marietta Tschudakowa glaubt, dass der Schriftsteller eine mögliche Zusammenarbeit Jelenas mit dem NKWD vermutete. Dies könnte auch erklären, dass er nicht verhaftet wurde und die Familie sich mit Ausländern treffen durfte. Im Roman schließt Margarita ihres Geliebten wegen einen Pakt mit dem Teufel.
Tschudakowa glaubt, dass Bulgakow auf diese Weise seine Frau rechtfertigte, die ja eigentlich nur im Interesse seiner Sicherheit handelte.
2. Ostap Bender in „12 Stühle“ von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow
Der Kriminalpolizist Osip Schor, ein Freund des Autorentandems Ilf und Petrow, war wie Ostap Bender ein echter Glücksritter.
Nach Abschluss der Hochschule in St. Petersburg benötigte Schor für die Rückreise in seine Heimatstadt Odessa zwei Jahre – ohne einen Pfennig in der Tasche. Dafür erlebte er viele Abenteuer. Im Roman werden auch seine Geschichten erzählt: Wie er als Kunstmaler auf einem Propaganda-Dampfer anheuerte, ohne überhaupt malen zu können. Oder wie er mit einem Synchronschach-Wettbewerb Geld verdiente, obwohl er gar nicht spielen konnte.
3. Bolkonski in „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi
Für die Hauptfigur des Romans gibt es mehrere Prototypen. Die gescheiterte Ehe mit Natascha Rostowa hat Tolstoi möglicherweise an das Leben seines Bruders angelehnt, der mit der Schwester von Tolstois Frau Sophia Andrejewna verlobt war.
Aber die wesentlichen biographischen Sujets hatte er nach Meinung von Literaturwissenschaftlern dem Leben des Generalleutnants Nikolai Tutschkow entlehnt. Wie Andrej hatte auch dieser eine glänzende militärische Laufbahn. Während des Krieges mit Napoleon befehligte er eines der Armeekorps von Barclay de Tolly. Wie Andrej wurde Tutschkow in der Schlacht von Borodino von einer Kugel in die Brust getroffen und starb kurz darauf in Jaroslawl.
Ein weiterer möglicher Prototyp ist Fürst Dmitri Golizyn, der Kampfgefährte von Bagration, einem anderen großen Feldherrn. Er wurde in der Schlacht von Borodino von einer Granate verwundet und starb kurz darauf, wenn auch in einer anderen Stadt – in Wladimir.
>>> Gotteshaus auf dem Leichenfeld: Geschichte des Erlöserklosters von Borodino
4. Dmitri Karamasow aus „Die Brüder Karamasow“ von Fjodor Dostojewski
Das Sujet des Romans basiert auf einer wirklichen Geschichte. Nachdem er seine Zwangsarbeit in Sibirien abgeleistet hatte, erfuhr Dostojewski von einem spektakulären Strafverfahren. Der tatsächliche Vatermörder, Dmitri Iljinskij, wurde verurteilt und ins Gefängnis gesperrt.
Der Schriftsteller traf sich mit dem Täter und verlieh seinem Helden Dmitri Karamasow nicht nur dessen Namen, sondern zum Teil auch dessen äußere Merkmale, die gewalttätige und leidenschaftliche Natur bei gleichzeitigem Edelsinn.
Dostojewski porträtierte oft reale Personen. Starez Sossima, der geistige Vater Aljoscha Karamasows, erinnert an den Mönchspriester Ambrosius von Optina. Es ist bekannt, dass Dostojewski diesen kontaktierte, während er am Roman arbeitete, und dessen Mönchszelle glich jener im Roman.
5. Alexander Tschatzkij aus „Verstand schafft Leiden“ von Alexander Gribojedow
Gribojedows Stück, das im Jahre 1825 uraufgeführt wurde, zeigt den aufgeklärten Intellektuellen Tschatzkij, der nach einer langen Reise durch Europa nach Moskau zurückgekehrt ist. Dort sieht er ein ganz anderes Leben und ist entrüstet: Das Moskauer Publikum sorgt sich absolut nicht um Bildung und Aufklärung. Die Menschen leben nach überholten Prinzipien und interessieren sich nur für ihre Karriere.
Die Literaturwissenschaftler sind der Meinung, dass Tschatzkijs Prototyp Pjotr Tschaadajew war, Veteran des Kriegs mit Napoleon im Jahre 1812, Journalist und Mitglied einer revolutionären Geheimgesellschaft. Er reiste viel durch Europa, studierte philosophische Ideen und schrieb die Philosophischen Briefe, die die Lage in Russland kritisierten und die geistige Stagnation und Rückständigkeit gegenüber dem Rest der Welt aufzeigen.
Das Stück „Verstand schafft Leiden“ sagte in gewisser Weise auch das Schicksal Tschaadajews voraus. Tschatzkijs Aussagen waren so fortschrittlich, dass sie vielen als Unsinn erschienen und man munkelte, er sei verrückt. 1836 erklärte die zaristische Regierung Tschaadajew deshalb für geistig unzurechnungsfähig.