In der Sowjetunion, wo es „keinen Sex” gab, sollte es auch keine Erotik geben. Die Propaganda setzte stattdessen auf Sport. Spärlich bekleidete, durchtrainierte Körper gab es nur im sportlichen Kontext zu sehen, etwa beim Schießen oder Rudern. Erotische Szenen in ausländischen Filmen wurden üblicherweise zensiert. Welche Möglichkeiten hatten da die sowjetischen Filmemacher? Einige stellten sich als ziemlich mutig heraus.
Erinnern Sie sich an den Film „Das Flüstern des Wassers”, ein Hollywood-Fantasy-Drama über eine stumme Frau, die sich in ein mysteriöses Fischwesen verliebt? 2018 erhielt „Das Flüstern des Wassers” den Oscar in der Kategorie „Bester Film“.
Das ist bemerkenswert, kam aber sehr spät. Schon vor rund 50 Jahren wollte Hollywood einen Film mit einer sehr ähnlichen Handlung nach einem Roman des sowjetischen Autors Alexander Beljajew drehen, aber es kam nicht dazu. Die Produzenten scheuten die Herausforderung der vielen schwierigen Unterwasserszenen.
In der Sowjetunion war man mutiger und schuf mit „Der Amphibienmensch” einen Kultfilm für sowjetische Science Fiction-Freunde. Der ganze Film war für die damalige Zeit außergewöhnlich, vom aufwändigen Kostüm des Amphibienmenschen aus zehntausenden glitzernden Pailletten, über echte Unterwasseraufnahmen, bis zur Musik. Und nicht zuletzt gab es die ersten Erotikszenen im sowjetischen Film.
In einer Szene tritt Anastasia Wertinskaja, die sowjetische Greta Garbo, in einem durchsichtigen Badeanzug auf.
Noch Jahrzehnte nach dem Erscheinen des Films hatte Wertinskaja den Ruf des Sexsymbols. Das ist womöglich nicht Ihre Vorstellung von Erotikszene, aber der Film erschien neun Jahre nach Stalins Tod. Was wollen Sie da erwarten? Für die damalige Zeit war er gewagt.
Der Weg von durchscheinenden Brustwarzen bis zu einem Film, in dem alle Tabus gebrochen wurden, war lang. „Kleine Vera” unter der Regie von Wassili Pitschul war der zweite und deutlich selbstbewusstere Versuch, Erotik im Film zu zeigen. Erstmals wurde in der Geschichte des sowjetischen Kinos eine Sexszene im Film gezeigt. Das machte den Film berüchtigt.
„Ich erinnere mich, dass wir eine ganze Szene aus einem Bertolucci-Film nachgespielt haben. Es war ein brillanter PR-Schachzug von Wassili Pitschul", erzählt Vera-Darstellerin Natalja Negoda. „Wir saßen in der Küche zusammen und haben gemeinsam überlegt, wie wir die Szene technisch umsetzen könnten. Als wir die Szene gedreht haben, waren wir alle ein wenig wie betäubt.”
Der Plan ging auf. „Kleine Vera” hatte über 50 Millionen Zuschauer in der Sowjetunion. Negoda schaffte es als erste sowjetische Schauspielerin auf das Cover der amerikanischen Ausgabe des Playboy.
Der Film über das Mädchen Vera ist vor dem Hintergrund von Generationskonflikten, Armut in der Provinz und Alkoholismus als Symbole der Perestroika in die Geschichte eingegangen. Es waren, wie man fairerweise sagen muss, nicht nur die Sexszenen, die den Film so erfolgreich gemacht haben, sondern auch die beispiellos realistische Darstellung des sowjetischen Alltags. Der Film war der Auftakt zu einer Reihe von Produktionen, die Themen wie häusliche Gewalt, Prostitution oder Kriminalität zum Inhalt hatten. Dieses Genre wurde unter dem Begriff Tschernucha, trockener Realismus, zusammengefasst.
Neben „Kleine Vera” wurde auch der nachdenklich stimmende Film „Intergirl” von Regisseur Pjotr Todorowski zum Symbol für die neue Zeit und die neue Ästhetik mit erotischer Note.
Der Film handelt von einer Krankenschwester, die sich als Prostituierte gegen harte Währung in Hotels ausländischen Freiern anbietet. Ein solcher Film konnte nicht mit staatlichen Mitteln gedreht werden. Es wurde daher eine sowjetisch-schwedische Koproduktion.
Todorowski, ein seriöser Filmemacher, der bereits Kriegsfilme gedreht hatte und für den Oscar nominiert war, wollte zunächst keinen Film über eine Hure drehen. Doch seine Frau bestand darauf. Sie zeigte ihm in Hotels echte Prostituierte. „Ich habe keinen Film über eine Nutte gedreht, sondern über eine Frau, die sich in der Sowjetzeit nicht selbst verwirklichen konnte”, erklärte der Regisseur später.
Doch er wurde missverstanden. Sein „Intergirl“ wurde zur Heldin eines Jahrzehnts, aber nicht, weil sie eine Frau war, die sich unter schwierigen Umständen durchs Leben kämpfte. Das Publikum sah darin eine Möglichkeit, wie in der Zeit von massenhaften Entbehrungen scheinbar schnelles Geld verdient werden konnte.
Der Titel „Eine Brünette für 30 Kopeken” spricht für sich. Es ist eine Geschichte, diesmal eine Komödie, über das bereits bekannte Thema Prostitution. Genauer gesagt: Es geht um eine arme Provinzstadt, die versucht, sich zu retten, indem das Heimatmuseum in ein Bordell umgewandelt wird, eine starke Metapher…. Im Film wimmelt es von Nacktheit und immer wieder ist die schöne und begabte Anna Samochina, die in den 1990er Jahren mit Nacktauftritten im Film Karriere gemacht hat, zu sehen. Doch Sex wirkt hier noch immer comichaft.
Am Ende der Sowjetzeit gab es viele ähnliche Low-Budget- und Trashfilme. Es schien, als sei die Erotik endlich im Leben der einfachen Leute angekommen. Doch man wusste noch nicht, was man damit anfangen sollte. Filmemacher waren da keine Ausnahme.
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