Zwei Freunde: Leo Tolstoi in den Augen Ilja Repins (Malereien)

Kultur
ALEXANDRA GUSEWA
Der große russische Künstler Repin hat über 20 Porträts, Studien und Zeichnungen des ebenso großen russischen Literaten Tolstoi angefertigt. Wir betrachten diese kreative Symbiose ein wenig näher.

Es war eine langjährige Freundschaft, in der die beiden Männer zugleich viel gestritten haben. Sie bewunderten und beeinflussten sich gegenseitig, doch es gab auch unüberbrückbare Differenzen, beispielsweise beim Thema Kunst.

Zwölf Porträts, 25 Zeichnungen, acht Skizzen von Familienmitgliedern, 17 Illustrationen zu Tolstois Werken und drei Gipsbüsten: das ist das gesamte Werk Repins in Verbindung mit Tolstoi. 

Repin und Tolstoi begegneten sich erstmals 1880 in Moskau. Zu diesem Zeitpunkt war Tolstoi bereits ein sehr bekannter Schriftsteller. Zudem befand er sich gerade in einer Phase der Selbstfindung. Er nahm eine Neubewertung der Werte und Erfolge seiner frühen Jahre vor. Der 52jährige Tolstoi suchte das Atelier des relativ jungen Künstlers – Repin war 36 – auf. 

In seinen Erinnerungen „Meine Bekanntschaft mit Leo Tolstoi schreibt Repin: „Leo Tolstoi? Ist er es wirklich? So sieht er also aus. Ich kannte nur sein Porträt von Iwan Kamskoi und hatte mir Tolstoi bisher als exzentrischen Gentleman vorgestellt, einen Grafen, groß, dunkelhaarig, mit einem weniger großen Kopf…

Repin erinnert sich, dass Tolstois Stimme tief und ernst war. Er hielt eine Moralpredigt, dass die Menschen gleichgültig gegenüber den Schrecken des Lebens geworden seien und sich Ausschweifungen hingeben würden.

„Die Lampe auf dem Tisch war schon angezündet, es war eine düstere und geheimnisvolle Stimmung. Es schien, als wären wir am Vorabend des Jüngsten Gerichts… Es war zugleich romantisch und erschreckend.  

Nach dem Treffen bot sich Repin an, den Schriftsteller nach Hause zu begleiten. Danach trafen sich die beiden nahezu täglich zu Spaziergängen, bei denen sie intensive Gespräche führten. Repin war von allem, was Tolstoi sagte, so beeindruckt, dass er schrieb: „Danach konnte ich nicht schlafen, mein Kopf war voll von seiner gnadenlosen Verachtung für althergebrachte Lebensweisen. Tolstois Plädoyer für die Abschaffung der Todesstrafe inspirierte Repin zu seinem Werk vom Bischof von Myra, der drei Unschuldige vor dem Tode rettet. Eine Theorie besagt, dass der Heilige Nikolaus in Repins Gemälde, ein gauhaariger, bärtiger Mann geschmückt mit Kreuzen, Tolstoi selbst sei.  

Die Bekanntschaft hinterließ einen starken Eindruck bei Repin, der an den Kritiker Wladimir Stasow schrieb, dass er sich in Gegenwart Tolstois wie ein kleiner Junge gefühlt habe, der unbedingt auf ihn hören wolle. „Mein Gott, was für eine allumfassende Seele dieser Tolstoi hat! Alles was geboren wurde und lebt und atmet, die ganze Natur - all dies spiegelt sich gänzlich unverfälscht in ihm wider, ohne die geringste Lüge und wenn Du es einmal erfahren hast, bleibt es Dir für immer im Gedächtnis…

Tolstoi sagte dem Künstler seine Meinung zum Werk „Die Saporoger Kosaken“, an dem Repin damals arbeitete. Tolstoi fand es frivol. Repin nahm sich das sehr zu Herzen und beendete seine Arbeit vorerst. Später jedoch konnte er nicht widerstehen. Er malte das Bild zu Ende. Es sollte eines seiner Meisterwerke werden.   

Repin besuchte Leo Tolstoi oft in seinem Haus in Chamowniki in Moskau. Ein Porträt des Schriftstellers hatte er bis dahin noch nicht gemalt, doch er hat ihn genau beobachtet, um eine Vorstellung von ihm zu bekommen. Das erste Porträt von Tolstoi entstand 1887, als Repin ihn auf seinem Landgut Jasnaja Poljana besuchte. 

Repin blieb eine Woche dort und fertigte mehrere Skizzen an, die Tolstoi in seinem Arbeitszimmer zeigten, wie er las, spazieren ging, mit Bauern redete und ein Feld pflügte. Repin schrieb, dass Tolstoi an einem heißen Tag, als die Hitze ihren Höhepunkt erreicht hatte, den schwarzen fruchtbaren Boden sechs Stunden lang ununterbrochen gepflügt habe. „Ich hatte mein Skizzenbuch dabei und notierte mir umgehend alle Details, jedes Mal wenn der Tross an mir vorüberzog...

Als der Sammler Pawel Tretjakow von Repins Ausflug nach Jasnaja Poljana erfuhr, war er enttäuscht, dass er dem Maler nicht vorher seine Wünsche zu einem Porträt von Tolstoi hatte mitteilen können. Es stellte sich heraus, dass auch er wollte, dass Tolstoi für die Nachwelt festgehalten würde, in ganzer Größe, im Freien und im Sommer. 

Tolstoi, der es hasste, zu posieren, saß geduldig Modell für das Porträt. In einem Brief an seinen Freund  Wladimir Tschertkow schrieb er sehr wohlwollend über Repin: „Seit einer Woche haben wir Repin zu Gast. Er malt ein Porträt von mir. Das kostet mich meine Zeit, doch ich freue mich und mag ihn sehr. Er ist ein guter und ernsthafter Mann. Auch in anderen Briefen brachte Tolstoi seine Sympathie und Wertschätzung für Repin zum Ausdruck. 

Repin besuchte Jasnaja Poljana häufig und war von Tolstoi total begeistert. Der Einfluss von Tolstois „starker und inspirierter Persönlichkeit war enorm. Repin nahm alles, was Tolstoi sagte, als ultimative Wahrheit an. 

Aber mit der Zeit schien der Zauber zu verfliegen. Tolstois Persönlichkeit erschien Repin nicht mehr ganz so magisch. Im Gegenteil, er hatte Mitleid mit dem alten Mann mit dem Pflug, der oft allein bei Kerzenlicht im dunklen Arbeitszimmer saß.  

Die Haltung des Malers gegenüber Tolstoi änderte sich dramatisch, als ihm auffiel, dass nicht der Schriftsteller sich zu den Bauern hinunterbeugen, sondern sie vielmehr auf die Ebene des Großgrundbesitzers heben sollte. Ein weiterer Stolperstein kam durch Meinungsverschiedenheiten in künstlerischen Fragen hinzu. Repin wies viele Aussagen Tolstois kategorisch zurück.  

In einem Artikel beschrieb der Autor Raphael, Wagner und Shakespeare als wertlos, was Repin sehr wehtat: „Immerhin ist es, als hätte mir ein Großmaul gesagt, Leo Tolstoi sei talentlos und falsch. Nun, warum sollte man mit so einer Person diskutieren?, schrieb Repin. 

Dennoch bleiben die beiden Männer Freunde und stritten sich über alles und jedes bis zu Tolstois Tod 1910. Und auch danach noch schuf Repin weitere Porträts des Schriftstellers. Es war wohl Repin, der das Bild entstehen ließ, das den meisten Menschen in den Sinn kommt, wenn sie an Tolstoi denken. 

Die Ausstellung „Repin: Mythos Tolstoi” im Leo-Tolstoi-Museum in der Prechistenka Straße in Moskau geht noch bis zum 13. Oktober. 

>>> Gegen Staat, Kirche und Shakespeare: Tolstois drei „heilige Kriege"

>>> Ilja Repins sieben Meisterwerke: Kennen Sie diese?