Ninilchik: Wie ein seltener russischer Dialekt nach Alaska kam

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In einem abgelegenen Dorf in Alaska wird bis heute ein seltener russischer Dialekt gesprochen. Wie viele sprachliche Verbindungen gibt es zwischen Nordamerika und Russland außerdem noch?

Mitte Juli 2020 nahmen US-Aktivisten, die sich als Kämpfer gegen Rassismus betrachteten, einen Küstenort in Alaska ins Visier, genauer gesagt ein dort befindliches Denkmal. Ihr Ziel war die Statue des russischen Kaufmanns und Staatsbeamten Alexander Baranow aus dem 18. Jahrhundert, die in Sitka, der Stadt, die er 1799 gegründet hat, steht. Die Statue wird nun in ein örtliches Museum verlegt.

Das Denkmal für Alexander Baranow in Sitka, Alaska

Es gibt aber noch weitere Relikte aus der Zeit der russischen Besiedelung Alaskas, nämlich einen Dialekt, der als Ninilchik-Russisch bekannt ist.  

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Ein Dorf in Alaska hat die russische Sprache bewahrt 

Ninilchik-Russisch ist nach einem Dorf benannt, das etwa 300 km südlich von Anchorage liegt. Zusammen mit der Stadt Kodiak ist es eine der wenigen noch russischsprachigen Gemeinden in dieser ehemaligen Provinz des Russischen Reiches.

Sitka, Baronof Island, Alaska

Alaska wurde von der Russländisch-Amerikanischen-Kompagnie verwaltet, vergleichbar mit Britisch-Indien, wo die Britische Ostindien-Kolonie das Sagen hatte. Es waren keine Gouverneure bzw. Politiker, die dort als staatlich autorisierte Verwalter eigesetzt wurden, sondern Kaufleute wie Baranow. 

Die drei bedeutendsten Familien des Dorfes Ninilchik, die Kwasnikows, die Rastorgujews und die Oskolows, stellten eine Art Dynastie, die bis heute überlebt hat. Mit ihnen ist auch die russische Sprache erhalten geblieben. Die Version des Russischen, die sie sprechen, unterscheidet sich jedoch vom in Eurasien und in der russischen Diaspora gesprochenen russischen Standarddialekt. Heutzutage wird er wissenschaftlich untersucht, in der Hoffnung, ihn so vor dem Aussterben bewahren zu können. 

„Ninilchik-Russisch wird in den Köpfen seiner Sprecher mit bäuerlicher Kultur und Selbstversorgung in Verbindung gebracht“, sagt der Linguist Conor Daly, der den Dialekt erforscht hat. Die Assoziation mit dem Bäuerlichen hängt damit zusammen, dass der Dialekt auf viele der komplexen Strukturen des Standardrussisch verzichtet und daher sprachlich eher simpel ist. 

Daly sagt, dass dies mit Sprachen geschehen kann, die in einem Schutzraum innerhalb einer fremden Kultur überlebt haben. Nachdem Alaska Teil der USA wurde, kam die Forderung auf, dass an den Schulen nur noch Englisch gesprochen werden sollte. Die russische Bevölkerung von Ninilchik konnte sich in ihrer Muttersprache nur noch im häuslichen Umfeld miteinander unterhalten. So verlernten einige sogar, die Sprache zu schreiben. Sie wurden bezogen auf Russisch zu Analphabeten. 

Der Dialekt des Dorfes musste zudem angesichts zweier Einwanderungswellen mit dem Standardrussisch konkurrieren. Nach der Oktoberrevolution flohen viele russische Altgläubige an die amerikanische Westküste. Einige landeten in Oregon und im Staat Washington, sahen dort ihre Kultur aber durch die allzu weltlichen Amerikaner in Gefahr und zogen sich daher nach Alaska zurück. Dazu kamen die Russen, die die Sowjetunion nach deren Untergang 1991 verlassen haben und heute in der Nähe der Städte Anchorage und Fairbanks leben.

Während der Dialekt oft als eine Eigenart angesehen wird, eine sprachliche Besonderheit in einem fremden Land, ist die Verbindung zwischen den in Russland und Nordamerika vorkommenden Sprachen möglicherweise komplexer als man denkt.

Die Dené-Jenisseische Sprachfamilie: Eine überzeugende Hypothese 

Der Dené-Sprachfamilie, zu der sowohl die in Alaska gesprochene Tlingit- als auch die Athabaskan-Sprache gehören, werden auch Verbindungen zu den Ländern des ehemaligen Russischen Reiches nachgesagt, in diesem Falle bis ins tiefe Sibirien. 

Im Jahr 2008 stellte der Linguist Edward Vajda die Hypothese einer Verbindung zwischen den Dené-Sprachen und denen, die in der Region Jenissei in Nordsibirien gesprochen werden, auf. Nicht zum ersten Mal wurde diese Hypothese aufgestellt. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasste man sie zur Dené-Jenisseischen Sprachfamilie zusammen. Laut Vajda könnten die Vorfahren beider Völker aus Sibirien stammen. Das passt zu der Vermutung, dass Nordasiaten über die Beringstraße nach Nordamerika kamen und aus ihnen verschiedene Stämme hervorgegangen sind, die wir heute noch kennen. 

Die Eskimo-Aleuten-Sprachfamilie, deren bekannteste Sprecher die Inuit in Kanada und auf Grönland sind, hat ebenfalls Verbindungen nach Sibirien in Form von Yupik, einer gefährdeten Sprache, die nur noch im abgelegenen russischen Autonomen Kreis (Okrug) Tschukotka gesprochen wird. In diesem Fall wurde die in ihrer Heimat schon fast ausgestorbene sibirische Sprache in den Weiten der nordamerikanischen Arktis wiederbelebt. 

Während die beiden oben genannten Thesen in der sprachwissenschaftlichen Gemeinschaft Zustimmung fanden, gibt es andere, die als wesentlich ausgefallener gelten. Ein Beispiel dafür ist der Vorschlag für eine uralosibirische Sprachfamilie, die die Inuit- und Aleuten-Sprachen mit den Sprachen des russischen Urals verbindet. Solche Theorien einer übergeordneten Sprachfamilie stoßen jedoch auf akademisches Misstrauen. 

Ninilchik-Russisch heute 

Kenai, Alaska

Es gibt heute im Dorf nur noch wenige Sprecher von Ninilchik-Russisch. Ein Forscherpaar aus Moskau, Mira Bergelson und Andrei Kibrik, besuchte das Dorf in den 90er Jahren. 

„Die Bewohner haben die englischsprachige Schule besucht“, erzählte Bergelson 2013 in einem Interview. „Sie gab es seit den 1930er Jahren. Sie ersetzte die um 1917 geschlossene russisch-orthodoxe Schule der Pfarrgemeinde.“ 

Nachkommen der Kwasnikows und Oskolkow leben jedoch noch immer in Ninilchik und haben mit Linguisten zusammengearbeitet, die zahlreiche Begriffe notiert und auch Tonaufnahmen gemacht haben, um Aussprache und Akzent zu dokumentieren, die für das heutige russische Ohr durchaus fremd klingen. Einige davon finden Sie online in der Ninilchik-Russisch-Datenbank.  

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