Eine Frau, die in einem Café am Flughafen Moskau-Scheremetjewo ihr Kind gestillt hat, wurde gebeten, aufzuhören. Der Kellner machte sogar auf die Regeln aufmerksam, die dies verbieten würden. Eine Freundin der Betroffenen teilte die Geschichte auf Facebook und verursachte damit einen Aufruhr auf Social Media.
Wie gewöhnlich war die öffentliche Meinung zweigeteilt: einige rieten der Frau, mehr Anstand zu haben und ihr Kind in einem dafür vorgesehenen Raum oder gar zu Hause zu stillen. Andere hingegen sahen diesen Prozess als ganz natürlich an. Russia Beyond fragte die Menschen, was sie über das Stillen in der Öffentlichkeit denken.
Wer wagt es, eine stillende Mutter zu unterbrechen?
„Wenn ich eine Angestellte eines Restaurants wäre, würde ich es niemals wagen, mich einer stillenden Mutter zu nähern und zu sagen, dass sie etwas falsch macht“, sagte Olga, Mutter einer 21-jährigen Tochter. Darüber hinaus ist Olga der Ansicht, dass ein Land, das so besorgt über seine Geburtenrate ist, komfortable Bedingungen für neue Mütter schaffen sollte, einschließlich der Möglichkeit, dort zu stillen, wo sie es wünschen.
„Eine stillende Frau hat genügend andere Probleme - angefangen mit einem schweren Kinderwagen, der bei unserem winterlichen Wetter wirklich eine Herausforderung darstellt“, sagt Katja.
Nikolai, ein 26-jähriger, gibt zu, dass er, als er ein Teenager war und zum ersten Mal eine stillende Frau in Europa sah, sich unbeholfen fühlte und es für falsch hielt, so etwas in der Öffentlichkeit zu sehen. Aber als er älter wurde, änderte er seine Meinung. „Diesen Idioten, die Frauen dafür tadeln, rate ich, dass sie sich um ein hungriges, weinendes Baby kümmern oder sich zu Hause einschließen“, tobt er.
Wsewolod, ein 30-Jähriger, sieht eine stillende Mutter nicht sehr häufig und sagt, die Situation sei nicht typisch für Russland und Europa. „Aber ich denke, dass wenn eine Frau stillt, es ein vitales Bedürfnis dafür gibt. Man kann immerhin wegschauen und sich nicht in ihre Angelegenheiten einmischen.“
Mehr unerfreuliche Dinge
Unter den Facebook-Kommentatoren, die öffentliches Stillen für unangebracht halten, sind die Gründe, die sie nennen, folgende: Brüste sehen nach dem Stillen nicht hübsch aus, und geschwollene Brustwarzen sind nichts, was die Leute sehen wollen.
Die von Russia Beyond befragten Personen antworten darauf jedoch, dass man ja auch gar nicht starren soll! Und natürlich gibt es Dinge, die viel störender sind, wie sich leidenschaftlich küssende Menschen, vor allem Teenager, oder Körperteile wie den Hintern einer Person, ganz zu schweigen von hässlichen Gesichtern.
George gibt zu, dass das Stillen eines Kindes die private Angelegenheit einer Frau ist, und wenn eine Person in die Öffentlichkeit geht, sollte sie bereit sein, Dinge zu sehen, die ihr vielleicht nicht gefallen.
„Ich würde lieber verschwitzte Achseln verbieten, als Brüste und Babys!“, sagt Katja.
„Betrunkene, schreiende Menschen in Bars nerven wahrscheinlich viel mehr als eine Kolonne von Babys und stillenden Müttern“, fügt Wsewolod hinzu.
Vorsicht vor Psychopathen
Swetoslawa hat 16 Monate gestillt, und sie gibt zu, es an allen möglichen Orten getan zu haben: Restaurants, Flugzeuge, Flughäfen, Autos und Straßen. „Es gibt nichts Bequemeres für eine aktive Mama, die nicht alleine zu Hause sitzen möchte. Sie haben alles, was Sie brauchen, direkt bei sich, und brauchen nicht Dutzende von Flaschen, Pulver und Wasser. Außerdem erspart es Ihnen das nachträgliche Abwaschen von all diesen Flaschen“.
Nikolai meint, wenn die Gesellschaft will, dass Frauen ein soziales Leben haben, dann müssen sich die Menschen daran gewöhnen.
Deyan, ein zweifacher Vater, sagt, der einzige Rat, den er einer Frau geben würde, sei, ihre Brüste zu verstecken - es gibt zu viele Psychopathen und andere sexuell verdorbene Menschen. Ein anderer Nikolai, der Vater eines Kleinkindes, stimmt zu, dass Frauen sich, aus hygienischen Gründen und um Blicke zu vermeiden, bedecken sollten. Gott sei Dank, dass es heutzutage etliche nützliche Hilfsmittel dafür gibt.
Tabuthema
Die Menschen in der Sowjetunion sind mit Tabus über alles, was mit dem Körper verbunden ist, aufgewachsen, und einige davon bestehen bis heute. Zum Beispiel ist es immer noch nicht akzeptabel, über Menstruation, Schwangerschaft, Toilettenbedürfnisse und andere Dinge zu sprechen, sogar nicht mit Ihren nächsten Verwandten. Ganz zu schweigen von Diskussionen über diese Themen in der Öffentlichkeit.
Alexandra sagt, dass ihre 60-jährige Mutter das öffentliche Stillen für unanständig und nicht hygienisch hält. „Meine Mutter hat kürzlich eine stillende Frau in der U-Bahn gesehen und war total geschockt. Sie sagte, eine Frau sollte ihren Tag so planen, dass sie nach Hause zurückkehren kann, um ihr Kind zu füttern.“
Die Popularisierung des Stillens als gesunder und wichtiger Prozess wird erst seit kurzem durch eine staatliche Initiative betrieben. Manchmal gehen die alten Ansichten jedoch zu weit. „Ich kenne Frauen, die gar nicht stillen oder denen es peinlich ist, so als ob sie sich falsch verhalten“, sagt Swetoslawa.
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