Eisiges Willkommen
In dem ersten Büro in Moskau, in dem ich gearbeitet habe, saß eine Gruppe von zehn oder zwölf Kundenbetreuerinnen hinter ihren Computern. Und am ersten Tag trat ich freudig ein und sagte: „Hi, ich bin Ben.“ Die einzigen Reaktionen waren eiskalte Blicke über die Computer hinweg und keine Antwort, und ich dachte – Mist, bin ich am falschen Ort? Bis mich jemand zur Seite nahm und mir erklärte: „So redet man hier nicht mit Leuten, Ben.“ Überraschenderweise, nachdem ich für ein oder zwei Tage im Büro herumgelaufen war, kamen alle vorbei und begannen sich mit mir zu unterhalten und mir gegenüber herzlicher zu sein, aber die erste Reaktion war dennoch „Wer ist dieser Idiot?“
Vor Moskau lebte ich ein paar Jahre in Tokio. Wenn man irgendwo in Japan ein Büro oder Geschäft betritt, überschlagen sich die Menschen um Sie zu begrüßen und sind sehr freundlich und höflich. Nach ein wenig Erfahrung wird Ihnen jedoch klar, dass keiner von ihnen es besonders aufrichtig meint. Russland hat eine gewisse gegenteilige Einstellung. Anfangs sind die Leute sehr ernst und kühl, aber wenn Sie diese Hülle zerbrechen, dann wissen Sie, was Sie haben - Sie bekommen bei diesen Leuten immer die Wahrheit.
Russen sind aufrichtig interessiert. Sie wollen Sie kennenlernen und sie wollen Ihnen von sich erzählen, und sie werden Ihnen gegenüber ehrlich sein, wie sie sich fühlen. Diese Art hat etwas sehr erfrischendes. Das ist etwas, was ich in Russland zutiefst respektiere.
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„Nun, das ist Russland“
Ich habe bereits an verschiedenen Orten gelebt und die Dinge um mich herum waren immer in Ordnung. Ich hatte das Glück, den Tsunami in Japan 2011 zu verpassen, und in Deutschland war es ruhig, obwohl es Probleme mit dem Euro gab... Aber nicht in Moskau. Im ersten Jahr, in dem ich hier war, gab es einen großen Werteinbruch des Rubels. Ich dachte mir „Oh mein Gott, was wird nun passieren?“ Werden Straßen und Geschäfte geplündert, wird alles auseinanderbrechen oder werden die Leute anfangen von Brücken zu springen? Und wissen Sie was – Sie wachen am nächsten Tag auf und es war genauso wie am Vortag. Zu diesem Zeitpunkt habe ich den Ausdruck „Nun, das ist Russland“ kennengelernt, den viele Leute hier benutzen. Und ich habe verstanden, dass es keine Arroganz ist, das es nicht heißen soll „Wir sind daran gewöhnt, dass es uns schlecht geht“. Es bedeutet einfach „Wir haben gelernt, mit Dingen umzugehen, die schief gehen“, und auch dafür habe ich großen Respekt.
Es ist das gleiche mit allen Herausforderungen des russischen Lebens: Es ist nicht die Situation, die wirklich zählt. Es ist die Art, wie Menschen sie wahrnehmen. Und das macht den Unterschied aus. In Manchester sind wir es gewohnt, drei Wochen am Stück Regen zu haben, und wir vergessen gerne, dass es wirklich deprimierend ist. Es ist eine andere Sache hier in Moskau - Sie lernen die Gegensätze des Lebens zu schätzen.
Die Geschichte von zwei Städten
Ich beschreibe Moskau oft als zwei Städte - die Winterstadt und die Nicht-Winter-Stadt. Es scheint, dass der Winter hier immer einen Monat zu lang dauert, und dieser letzte Monat Schnee - man denkt einfach, dass es nie enden wird. Und dann ändert sich plötzlich alles innerhalb von nur zwei Wochen. Man hat einen Wechsel von Schnee überall auf plus 20 Grad Celsius, und es verändert sogar Ihre Mentalität ein bisschen, weil es so schnell passiert. Die vorherige Kälte lässt Sie die Wärme schätzen, und Sie können mehr Abende draußen verbringen, im Gegensatz zu „Ich muss schnell nach Hause, oder ich werde erfrieren.“ Aber ich finde kaltes Wetter besser als nasses Wetter. Das kalte Wetter ist nicht unbedingt tragisch, und es gibt nun mal kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung - das lernt man in Moskau ziemlich schnell.
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Fake news!
Es ist bedauerlich, wie falsch das von den Medien geschaffene Bild ist, was die Menschen von einem Leben in Moskau haben. Die Ansichten der meisten Leute über Russland basieren leider immer noch auf „Rocky V“ oder ähnlichen Filmen aus den 80er Jahren. Seitdem wissen leider nicht viele Menschen, wie sich die Dinge in Russland entwickelt und verändert haben. Jedes Jahr komme ich nach Hause und meine Familie erwartet, dass ich mich irgendwie verändert habe, und es dauert einige Zeit, sie zu überzeugen, dass das Zentrum Moskaus nicht so anders ist als das Zentrum jeder anderen großen Stadt. Es ist bedauernswert, dass unsere Ansichten in England aufgrund der Medien so massiv überholt sind.
Ich erinnere mich an die Zeit, als es ein Einfuhrverbot für ausländische Lebensmittel aus Europa gab. Und natürlich verfolge ich die englischen Medien auch aus Russland, und die Bilder, die verwendet wurden, um diese Geschichte über Russland zu berichten, waren Bilder von leeren Regalen in Supermärkten. Meine Mutter rief mich an und fragte, ob ich am Verhungern wäre, und ich antwortete wieder, dass es genauso sei wie am Tag zuvor - die Leute gingen weiterhin ihrem Alltag nach, nicht in Panik, und es gab auch keine Knappheit. Und es macht mich ein bisschen traurig, dass Leute von außerhalb Russlands so schlecht über die wahre Lebensweise, die wirkliche Situation hier, informiert sind. Schließlich haben meine Freunde und meine Familie gelernt, den Berichten über Russland nicht immer zu vertrauen. Sie sollten besser auf mich und meine Nachrichten warten, damit ich ihnen erzählen kann, was wirklich vor sich geht - ich bin ihr „Mann vor Ort“, und von mir wissen sie, dass die Situation in Wirklichkeit völlig anders ist.