Wütender Russe: Könnten Sie bitte mal Ihr Handy weglegen?

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WÜTENDER RUSSE
In der Kolumne "Wütender Russe" schreibt sich unser eigentlich ganz friedfertige Autor Verwunderung und Frust über verschiedene Dinge des russischen Alltags von der Seele.

Heute sind so viele super wichtige Personen in der Öffentlichkeit unterwegs. Zum Beispiel, dieser Typ: Hey, Mister Wichtig, es tut mir wirklich leid, Sie zu unterbrechen, aber Sie sind gerade aus der Metro-Tür getreten und haben sofort steif angehalten, um etwas auf Ihrem iPhone zu lesen. Sicherlich können die 15 Leute hinter Ihnen, die auch hier aussteigen müssen, so lange warten, wie Ihre Majestät wünscht... zusammen mit den 27 anderen Leuten, die nicht einsteigen können, so lange wir nicht alle ausgestiegen sind. Aber wahrscheinlich hat Ihnen gerade Jesus oder Putin eine Facebook-Nachricht geschickt. Sonst würden Sie ja wohl kaum den Verkehr so ​​blockieren.

Das Leben des Leibeigenen ist hart in der zeitgenössischen Megapolis. Vor einem Jahr beispielsweise ist mir eine Dame, anscheinend eine ganz wichtige Persönlichkeit, mit ihrem Honda Jazz direkt in meinen erfahrenen Passat B3 gerauscht, als ich bei Rotlanhielt. Als ich ausstieg, sah ich, dass sie immer noch SMS schrieb.

"Das war eine ganz wichtige Nachricht", sagte sie.

Ich bat sie, Königin Elisabeth das nächste Mal von mir zu grüßen.

Natürlich ist das alles Spaß und Spiel, bis es aber ins Auge geht. Erinnern Sie sich an das Mädchen, das bei einem Autounfall ums Leben kam, weil es gerade Selfies mit Pharrell Williams Lied "Happy" im Hintergrund machte? Nach verschiedenen Statistiken führen jedes Jahr über 330.000 Unfälle durch Kurznachrichten während der Fahrt zu schweren Verletzungen. Offensichtlich sind einige Leute zu unvorsichtig, um selbst Maßnahmen zu ergreifen, sodass Regierungen und IT-Experten langsam nach eigenen Lösungen zur Bewältigung des Problems suchen und sie dann "über die Köpfe der Menschen hinweg" einführen.

Apple hat eine neue Funktionen für sein iOS angekündigt, mit denen die Nutzer kontrollieren können, wie viel Zeit sie für Apps ausgeben. In Tokios U-Bahn empfehlen Anzeigen, dass die Leute ihre Klingeltöne abschalten, in der Öffentlichkeit nicht mit dem Telefon telefonieren und mehr schauen sollen, wohin sie gehen. Verkehrsschilder mit der Aufschrift "Achtung! Leute mit Smartphones!" sind schon in einigen Ländern aufgetaucht, darunter auch in Russland.

Bei öffentlichen Veranstaltungen, Konzerten usw. sind Telefone und Tablets immer noch eine große Ablenkung. Kürzlich unterbrach der berühmte russische Orchesterleiter Theodor Kurenzis ein Konzert, weil Telefone im Publikum klingelten.

Es heißt: "Meine Freiheit endet dort, wo Deine anfängt."

Nun, mir geht es gut. Wenn Du in Deiner Freiheit mir Dein Tablet unter die Nase schiebst, während wir wie Sardinen in der U-Bahn stehen. Und ich frage mich auch: Warum nur bist Du so schüchtern, wenn ich Dein Facebook-Gespräch mit deiner Freundin begutachte? Du würdest die Erlebnisse von letzter Nacht doch sicher auch direkt vor meinen Augen besprechen, oder? Oh, ich bitte um Verzeihung, Eure Majestät. Ich sollte meine Augen schließen und meine Erinnerung löschen.

Was ich Ihnen vorschlage, ist eine einfache Übung zum Anfang: Den ganzen Arbeitsweg ohne Smartphone! Ja, ich weiß, wie schwer es ist. Aber ohne Schmerz kein Gewinn. Stellen Sie sich vor, Sie denken nur Ihre eigenen Gedanken, nicht als Facebook-Thread, sondern ganz frei. Schauen Sie die gottverdammten Vögel und Bäume vom Busfenster aus an. Freuen Sie sich auf die vielen neuen Leute in der U-Bahn, Sie können ihr Aussehen studieren und Geschichten über dazu erfinden. Wie im Song "America" von Simon und Garfunkel:

"Lach im Bus, spiele mit den Gesichtern. (...) Sie sagte, der Mann im Gabardine-Anzug sei ein Spion. Ich sagte, sei vorsichtig, seine Fliege ist wirklich eine Kamera."

Diese Art von Unterhaltung geht nur ohne Telefon in der Hand.

Und vielleicht können Sie eines Tages antworten, wenn jemand fragt:

"Warum hast Du  drei Stunden lang nicht auf meine Nachricht geantwortet?" - "Ich hatte wichtigere Dinge zu tun: Ich habe Blumen im Park angeschaut und schreibe ein Gedicht!"

Dann hüllst Du Dich  geheimnisvoll in den Mantel und gehst dramatisch davon. Dramatisch aber wird es nur, wenn Sie Ihr Kinn gen Wolken recken, nicht auf Ihr Tablet.

Und nein, keine Selfies im Mantel! Mein Gott ... Sie haben wieder alles falsch verstanden...

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