Russische Opernsängerin in Wien: "Österreicher halten Moskau für gefährlich"

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ANNA SOROKINA
Ekaterina Nesterowa studierte Sprachwissenschaften in Moskau, aber als sie in Wien, einer der Hauptstädte der klassischen Musik, lebte, verliebte sie sich in die Oper und zog dorthin, um in dieser Metropole zu leben und gleichzeitig zu singen. Wie man in das Wiener Konservatorium aufgenommen wird und warum die Österreicher Angst haben, nach Russland zu reisen, erfahren Sie in unserem Artikel.

Bereits in der Schule beschäftigte ich mich mit Musik und wollte sogar im College Pop-Gesang studieren, aber schließlich trat ich in die Fußstapfen meiner Mutter und begann an der Moskauer Staatlichen Linguistischen Universität zu studieren. Die deutsche Sprache hat mir schon immer gefallen.

Im ersten Studienjahr habe ich in Österreich studiert und mich in die Oper verliebt! Und dann setzte ich mir das Ziel, am Wiener Konservatorium zu studieren. Das war eine ziemlich verrückte Entscheidung, aber ich war mir sicher, dass es mir gelingen würde.

2008 habe ich mein Studium abgebrochen und bin nach Wien gezogen. Meine Eltern waren nicht glücklich über meine Entscheidung, aber da ich unbedingt hierher wollte, haben sie mich sogar finanziell unterstützt, obwohl ich von Anfang an auch jobben musste. Ich hatte musikalisches Talent, schaffte es aber erst im dritten Anlauf zu immatrikulieren – die Konkurrenz war riesig.

In der Zeit zwischen den Aufnahmeprüfungen studierte ich Gesang bei Privatlehrern und Germanistik an der Universität Wien. Ich musste ganz von vorne beginnen, weil das hier eine andere Fachrichtung war, die nicht mit der in Moskau übereinstimmte.

Ich singe in der Wiener Oper im sogenannten „Zusatzchor“: Man wählt selbst die Inszenierungen aus, an denen man teilnehmen möchte, muss aber jedes Mal ein Casting absolvieren. Und von den 15 Personen, die angehört werden, können nur zwei ausgewählt werden.

Ich trete auch in kleinen Opernhäusern in Österreich und Deutschland auf und habe den gesamten deutschsprachigen Raum komplett bereist. Ich liebe Turandot, Traviata und die Zauberflöte. Natürlich möchte ich eine Festanstellung im Theater bekommen – ich bin sogar bereit umzuziehen. Meinen Lebenslauf versende ich weltweit und fahre zum Vorsingen, unter anderem auch nach Moskau.

Die Mentalität von Österreichern und Russen ist sehr unterschiedlich. Es gibt hier viel weniger Spontanität. Es ist üblich, einen Café-Besuch zwei Wochen im Voraus  zu vereinbaren. Die Probe endet genau zu dem Zeitpunkt, zu dem es geplant war, und währenddessen können keine Tea-Parties und Gespräche stattfinden.

Hier gibt es das Klischee, dass ein russisches Mädchen eine frivole Dame mit einer Tonne Makeup, einem Minirock und High Heels ist.

Viele Österreicher glauben, dass Russland ein Mafia-Land ist, in dem es nur sehr reiche und sehr arme Menschen gibt und alle davon träumen, auszuwandern, vorzugsweise nach Österreich. Ihrer Meinung nach ist es in Moskau gefährlich, in russischen Flugzeugen wird Wodka in Pappbechern serviert, alle Russen fürchten Putin, sprechen zu Hause nur im Flüsterton und wollen die Sowjetunion zurückhaben.

Viele der älteren Generation waren 1980 bei den Olympischen Spielen in der UdSSR und man kann ihnen nicht erklären, dass dies ein völlig anderes Russland war.

In Wien fehlen mir Moskaus Lichter, das Gefühl eines pulsierenden Lebens, wenn man zu jeder Tageszeit ausgehen kann und etwas los ist, und man um drei Uhr morgens in den Laden geht, wenn man plötzlich Appetit auf eine Mango hat. Hier machen abends um sieben Uhr alle Geschäfte zu, und zwei Stunden später sind die Straßen leer und dunkel, weil alle zu Hause sitzen. Aber es ist eine imperiale, majestätische Stadt und es gibt hier eine besondere Kaffeekultur, der ich noch nie zuvor begegnet bin, und man kann einen wunderschönen Sonntagabend mit einem Buch in einem Café verbringen.

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