Russische Spuren in Wien – Teil 2: Von Vera Karalli bis Josef Stalin

J. Carlile/Global Look Press
Auch im zweiten Teil unserer Reise nach Wien bringen wir Sie an zahlreiche Orte, an denen russische Geschichte zu erleben ist.

Schwarzenbergplatz

Am 13. April 1945 musste Wien nach einem Kampf, bei dem rund 17 000 sowjetische Soldaten ums Leben kamen, seine Niederlage eingestehen und wurde durch die Rote Armee eingenommen. Bereits am 19. August wurde auf dem Schwarzenbergplatz feierlich im Beisein der sowjetischen und der österreichischen Führungskräfte der Nachkriegszeit das „Heldendenkmal der Roten Armee“, auch „Russendenkmal“ genannt, eröffnet.

Es wird angenommen, dass der Bildhauer Michail Intesarjan und der Architekt Sergej Jakowlew mit ihrer Arbeit bereits vor dem Sieg der Roten Armee in Wien begannen und ihre Entwürfe aus einer Mischung aus Speck und Brot anfertigten. Eine Flasche diente ihnen dabei als Grundgestell. An der Fertigstellung des Denkmals, die in rasantem Tempo erfolgte, waren an die 400 Menschen, darunter auch sowjetische Militärpersonen, deutsche Gefangene und österreichische Fachleute, beteiligt. Bis heute versetzt das sich zwischen dem Palais Schwarzenberg und einem 1884 zu Ehren der Wiener Wasserversorgung errichteten Springbrunnen liegende Denkmal auf dem Schwarzenbergplatz die Besucher in Staunen.

Der Schwarzenbergplatz, an dem die Grenzen der sowjetischen, britischen und französischen Verwaltungszonen aufeinandertrafen, trug von 1946 bis 1956 zudem den Namen Stalins.

Daneben findet man das Haus der Industrie, in dem von 1945 bis 1955 die sowjetische Kontrollkommission Österreichs tätig war. Im angrenzenden Schloss Belvedere wurde darüber hinaus am 15. Mai 1955 der Staatsvertrag zur Wiederherstellung der vollen Souveränität Österreichs unterzeichnet, die vom Abzug der sowjetischen Truppen begleitet wurde. Ein wichtiger Vertragspunkt war dabei die Übernahme der sowjetischen Denkmalpflege seitens der österreichischen Regierung auf dem Territorium des Landes.

Bis heute legen alle russischen Delegationen, die offiziell nach Wien reisen, sowie viele andere Gäste am „Russendenkmal“ zum Gedenken Blumen nieder.

Simmeringer Hauptstraße 234

Die Mehrheit der Touristen besucht im Zentralfriedhof, den zweitgrößten Friedhof der Welt, vorwiegend die Grabstätten von Beethoven, Schubert, Brahms und Strauß sowie die majestätische Kirche, die 1905 von Max Hegel im Jugendstil erbaut wurde. Besucher aus Die Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken schauen sich zudem gerne die Kirche in 100 Metern Entfernung an, an der sich mit über 3 000 bestatteten Soldaten die wichtigste und größte sowjetische Massengrabstätte in Österreich befindet. Insgesamt kamen Schätzungen zufolge mehr als 80 000 sowjetische Bürger, Befreiungssoldaten und Kriegsgefangene in Österreich ums Leben.

Meist wurden die Opfer zur Zeit der Schlacht um Wien an jener Stelle begraben, an der sie ums Leben kamen. Aus diesem Grund gab es 1945 viele Grabstätten in Parks und an öffentlichen Plätzen. Später wurden die Gräber dann in die Nähe des Zentralfriedhofs umgesiedelt und soweit es möglich war mit den Namen der Opfer versehen. Des Weiteren wurde eine Ehrengedenkstätte mit Stalinzitaten, Plastiken von Soldaten und den später hinzugefügten orthodoxen Kreuzen errichtet.

Orthodoxe Kreuze sind auch in einem anderen Teil des seit 1884 bestehenden Friedhofs zu sehen. Dieser wurde der russisch-orthodoxen Gemeinde zugeteilt. Im Jahr 1895 wurde hier die Lazaruskirche erbaut.

Vera Karalli

Auf dem Zentralfriedhof in Wien liegt auch das Grab der 1972 verstorbenen russischen Balletttänzerin Vera Karalli, die seit 1906 nicht nur ein Star des Bolschoi-Theaters und des Ballet Russe, sondern auch als Schauspielerin des Stummfilms und eine der schönsten Frauen der Welt bekannt war. Zunächst mit dem berühmten Tenor Leonid Sobinow liiert, kam sie später mit dem Großfürsten Dmitrij Pawlowitsch zusammen. Man nimmt an, dass sie als seine Lebensgefährtin mit an der Ermordung Grigorij Rasputins beteiligt war.

Schönbrunnerstrasse 30

Im Haus der Schönbrunnerstrasse 30 befindet sich eine Gedenktafel, die an den sowjetischen Diktator Josef Stalin erinnert. Stalin lebte hier 1913 bei der russischen Immigrantenfamilie Trojanowskij und arbeitete an seinem Essay „Der Marxismus und die nationale Frage“. Diese Tafel wurde im Jahr 1949 von österreichischen Kommunisten angebracht.

Man nimmt an, dass Nikita Chruschtschow 1961 bei seinem Besuch in Wien zu verstehen gab, dass die Gedenktafel entfernt werden könne. Die österreichische Regierung beschloss jedoch, dass sie laut Staatsvertrag dem Denkmalschutz unterliegt und aus diesem Grund als Kriegsdenkmal erhalten werden sollte. Schließlich wurde von der Stadt Wien ein kleines Schild mit einer Erklärung angebracht: Die Gedenktafel soll der Erinnerung an Millionen ermordete und leidende Menschen der Sowjetunion, aber auch an Hunderte österreichische Opfer des Stalinismus dienen.

Dr.-Karl-Renner-Ring 3

Das Palais Epstein, das heute der Arbeitsplatz des österreichischen Parlaments ist, hatte nach dem Zweiten Weltkrieg ein besonderes Schicksal. In dem Gebäude befand sich seit der Befreiung Österreichs im Jahr 1945 bis zum Wiedererlangen der Souveränität durch den Staatsvertrag von 1955 die Sowjetische Militärkommandantur Wiens. Des Weiteren findet man hier die lateinische Inschrift „Sunt lacrimae serum“, „es gibt Tränen über das Schicksal und die Toten wühlen die Seele auf“, des spätantiken Dichters Vergil, die an den Trojaner Aenaeas sowie die Schlacht um Troja erinnert. Sie wurde zur Erinnerung an die Befreiung Österreichs vom Naziregime und an die Besatzung angebracht und mit den Porträts von Lenin und Stalin geschmückt. Aus diesem Grund gaben die Wiener dem Schloss den Spitznamen „das Tor nach Sibirien“.

Im Inneren des Schlosses findet man eine kleine Ausstellung, die aus Dokumenten und persönlichen Dingen der sowjetischen Soldaten besteht, bevor sie das Gebäude 1955 verließen.

Von hier aus kann man auch einen Spaziergang zu den luxuriösen Hotels Imperial und Grand Hotel machen, in dem die sowjetischen Militärführung sowie sowjetische Generäle und Offiziere nach dem Zweiten Weltkrieg untergebracht waren.

Opernring 2

Eine der ersten Handlungen der sowjetischen Führung nach der Befreiung Österreichs im Jahr 1945 war es, finanzielle Mittel für die Wiedererrichtung der Wiener Oper bereitzustellen, die durch einen amerikanischen Bombenangriff am 12. März 1945 zerstört worden war. Die feierliche Wiedereröffnung fand im Anschluss an die Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955 statt und wurde zum Symbol der Wiedergeburt Österreichs.

Auf dem Spielplan der Wiener Oper findet man regelmäßig russische Stücke. Hier treten in regelmäßigen Abständen russische Opernsängerinnen und –sänger wie Anna Netrebko, der kürzlich verstorbene Dmitrij Chworostowskij und viele andere auf. Auch unter den dort arbeitenden Künstlern sowie im Publikum findet man viele Russen. Im September 2017 wurde zudem eine Untertiteleinrichtung in acht Sprachen, darunter auch Russisch, angebracht.

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!