Sensibles Thema: Wie eine russische Fernsehsendung die Träume von Krebspatienten erfüllt

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OLEG JEGOROW
Einige der Teilnehmer sind todkrank, sagen ihre Ärzte. Doch das heißt nicht, dass sie keine Träume mehr haben. Die russische Fernsehsendung „Poprosi u Neba“ hat eine neue Sprache gefunden, um darüber zu reden.

Die russische TV-Sendung „Poprosi u Neba“ [zu Deutsch „Bitte den Himmel“] ist eine Koproduktion des Fernsehsenders Pjatnitsa! [zu Deutsch „Freitag!“] und verschiedener gemeinnütziger Vereine. In einer der Folgen spricht Moderator Semjon Sakrutschny mit Wlada Njuchtik, einer ernst dreinblickenden 23-jährigen Frau aus Sankt Petersburg. Ihre Unterhaltung führen sie auf der Veranda eines kleinen Strandhauses in Italien mit Blick auf das unendliche blaue Meer.  

Ein Aufenthalt am Meer und eine Tasse Kaffee mit Blick auf die Wellen zu genießen, das stand auf Wladas Wunschliste. Sie leidet an einem Karzinom, einem Hautkrebs, der auch die inneren Organe befallen kann. „Die Ärzte sagen, dass ihre Krankheit unheilbar ist, sie versuchen nur noch, ihr Leben zu verlängern“, erzählt Sakrutschny. Wlada ist eine von vier an Krebs erkrankten Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Sendung. 

Inspiriert von Filmen wie „Knockin' on Heaven's Door“ und „The Bucket List“, ist es Ziel der Sendung, dass Krebskranke einmal abschalten und leben können, so viel wie noch möglich. Zu Beginn jeder Episode bittet Sakrutschny die Teilnehmer, ihre Träume aufzuschreiben. Das Produktionsteam versucht dann alles, um diese wahr werden zu lassen, sei es eine Reise nach Italien, einen Elefanten zu sehen oder ein Essen mit den Eltern.

Andauerndes Stigma

Für das russische Fernsehen sind Ton und Stil von „Poprosi u Neba“ eher ungewöhnlich. Sakrutschny geht mit den Krebspatienten freundschaftlich um, er lacht und scherzt mit ihnen und spricht über das Leben statt über den Tod. Das ist neu, denn leider ist die Öffentlichkeit in Russland gegenüber dem Thema Krebs nicht sehr aufgeschlossen.

Gespräche über Krebs

Eine andere Herausforderung ist fehlendes Verständnis. Im Umgang mit Krebskranken verhalten sich viele oft dramatisierend, was die Situation jedoch nur verschlimmert. „Jeder unserer Teilnehmer sagt, dass Mitleid alles nur viel schlimmer mache. Sie wollen nicht bemitleidet werden. Sie sind Menschen wie Du und ich“, sagt Sakrutschny gegenüber Russia Beyond.

Zu wissen, wie man über Krebs spricht, auch mit Menschen, die an der Krankheit leiden, ist von entscheidender Bedeutung. Laut Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (rus) ist Krebs (alle Arten) eine der am weitesten verbreiteten Krankheiten der Welt und die zweithäufigste Todesursache. „Viele von uns werden früher oder später mit dem Thema Krebs konfrontiert - es ist daher wichtig, die Situation für die Betroffenen nicht durch Mitleid oder Weinen zu erschweren“, erklärt Sakrutschny.

Ein steiniger Weg

Pjatnitsa! ist eher als Unterhaltungssender bekannt und so erforderte der Umgang mit einem sensiblen Thema Fingerspitzengefühl. In enger Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Vereinen wurden vier Patienten ausgewählt, die mit Zustimmung der Ärzte für einige Zeit aus dem Krankenhaus entlassen werden konnten. Mit den Teilnehmern wurden Übereinkünfte geschlossen.  

Es ist nicht leicht, Träume von Menschen zu erfüllen, deren Leben in Gefahr ist. In der ersten Episode der Show wollte Julia nach Georgien reisen, doch es war nicht möglich. Ihr Arzt hielt es für zu riskant. Das passiert häufig und so müssen die Produzenten sehr flexibel sein und die Sendepläne dem Zustand der Patienten anpassen. „Träume sollten nicht töten", betont Alexej Pschonkin, ein Arzt, der zwei der Teilnehmer betreut.

Den Traum leben

In jeder Folge erleben die Zuschauer mit, wie Menschen, die vom Lauf ihres Lebens deprimiert sind, erdrückt von Chemotherapie, Medikamenten und Pflege rund um die Uhr, wieder aufblühen. Sie lächeln und lachen, sprechen über die Zukunft und wie sie ihr Leben führen wollen, ganz egal, wie wenig Zeit ihnen laut ihrer Ärzte noch bleibt.

Nachdem Wlada, die gerne malt, aber zuvor jeden Tag in einer Art Starre auf dem Sofa verbracht hatte, nach Italien gereist war, kam sie von dort voller Pläne und Lebensfreude zurück. "Ich werde mein Leben anders leben", sagte sie. Seit Dezember 2018 ist sie weiterhin aktiv, malt und bekämpft das Voranschreiten ihrer Krankheit.

Wie geht es weiter?

Leider sind die Aussichten für die Show vorerst genauso unvorhersehbar wie das Leben für ihre Protagonisten. „Es war ein soziales Projekt, das darauf abzielte, ein wichtiges Thema bei einem jungen Publikum anzusprechen, ohne tragische Zwischentöne“, sagt Sakrutschny. „Einschaltquoten hatten wir dabei nicht im Sinn. Ich bin nicht sicher, ob die russische Gesellschaft für ein solches Format bereit ist. Ich hoffe, dass die Sendung in der einen oder anderen Form weiterleben wird, aber für den Moment ist es noch zu früh, um etwas zu sagen.“

Mit nur vier produzierten und ausgestrahlten Episoden gilt „Poprosi u Neba“ bereits als ungewöhnliches Beispiel für eine sozial orientierte Unterhaltungsshow. Jekaterina Schergowa, Direktorin der Wohltätigkeitsorganisation Podari Schisn [zu Deutsch "Schenke das Leben"], die eng mit Krebspatienten zusammenarbeitet, sagt: „Ich danke dieser Show, dass sie unsere Patienten mit einem anderen Blick betrachtet hat – nicht mit Mitleid, sondern mit Bewunderung für ihren Mut und ihre Weisheit."

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