In Moskau geht’s rund: Warum hat die rusische Hauptstadt so viele Ringe?

Die Moskauer Ringe sind mehr als nur Straßen und Bahnlinien. Sie prägen darüber hinaus die Kultur und Architektur der russischen Hauptstadt.

Wenn sie Moskau aus der Vogelperspektive oder in Google Maps betrachten, wirkt die Stadt wie eine riesige Dartscheibe. Das Zentrum, der Kreml, wird von mehreren Ringen unterschiedlicher Größe umgeben. Tatsächlich hilft das Wissen über Moskaus Ringsystem dabei, sich in der Stadt zurechtzufinden und die „Moskauer Seele“ zu verstehen.

Aber zuerst einmal die wichtigste Frage: Warum strukturierten die Moskauer ihre Stadt auf diese Weise?

Sicherheitsmaßnahmen

Die meisten Moskauer Straßen wirken mit ihren plötzlichen verlaufenen Kurven recht chaotisch. Wenn man keine Karte hat, findet man sich in Russlands Hauptstadt deutlich schwerer zurecht als in New York oder auch in Sankt Petersburg, wo die Straßen im Schachbrettmuster angelegt sind.

Die Erklärung dafür ist relativ einfach: Als die Moskauer ihre Stadt vom 14. bis zum 16. Jahrhundert erbauten, dachten sie weniger an künftige Touristen, als über Tartaren und benachbarte Fürstentümer, die die Stadt abbrennen wollten.  

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Festung innerhalb der Festung

Da liegt der Ursprung der Ringe. Einst waren es Mauern, die die Stadt beschützen sollten. Der Kreml war die innerste Festung. 1585-1593 entstand in Moskau die „weiße Stadt“ (Bely Gorod), der Wohnsitz des Adels. Dieser wurde ebenfalls von ringförmig angelegten Mauern umgeben.

Je mächtiger das Zarenreich wurde, desto größer wurde auch Moskau. Immer mehr Menschen mussten außerhalb der alten Stadtmauern leben, weswegen man zwischen 1692 und 1695 eine weitere Stadtmauer errichtete. Der innerhalb dieser Mauer gelegene Teil der Stadt wurde auch Semljanoj Gorod (Bodenstadt) genannt.

Der alte Kreml

Als die Stadt noch weiter wuchs und die Gefahr einer Invasion sank, wurden die Mauern nutzlos. Die Behörden ließen sie abreißen und an ihrer Stelle die heutigen Ringstraßen errichten.  

„Diese Struktur ist typisch für europäische Festungsstädte“, erklärt (rus) Historiker und Kulturwissenschaftler Pjotr Masajew. “Doch abgesehen von Moskau, das von stadtplanerischen Experimenten des 18. Jahrhunderts weitestgehend unberührt blieb, konnte sich dieses Schema bis heute nur in wenigen Städten halten.“

Die Festung von Bely Gorod wurde zum Boulevardring, die Mauern um Semljanoj Gorod wurden in den Gartenring umgewandelt. Diese Struktur prägt das Zentrum der russischen Hauptstadt bis heute. Die Ringe sind das Rückgrat der Moskauer Infrastruktur. Welche Ringe sind zu unserer Zeit, im 21. Jahrhundert, von großer Bedeutung?

1. Der Boulevardring

Länge: 9 km

Der erste Moskauer Ring ist genaugenommen kein Ring, sondern nur ein Halbkreis. Am Ufer der Moskwa ist jeweils Schluss. Er entstand aus der ehemaligen Stadtmauer von Bely Gorod, an deren Stelle Straßen und Parks angelegt wurden.

Die historische Bebauung und die überall gepflanzten Bäume machen die Straße zu einer pittoresken Sehenswürdigkeit. Ein Spaziergang von einem Ende am Pretschistenskje-Worota-Platz zum anderen am Jausskije-Worota-Platz dauert etwa anderthalb Stunden und lohnt sich vor allem bei schönem Wetter.

2. Der Gartenring

Länge: 15,6 km

Moskau ist kompliziert: Während der Boulevardring tatsächlich ein Boulevard ist, gibt es am Gartenring keine Gärten. Der Name stammt noch aus der Zarenzeit, als die Häuser tatsächlich große Vorgärten hatten. In den 1930er-Jahren ließen die sowjetischen Behörden die Vorgärten jedoch entfernen und erweiterten stattdessen die Fahrbahn. So bekam der Gartenring sein heutiges Gesicht als breite, vielbefahrene Ringstraße rund um das Moskauer Zentrum.

Ein Vorurteil besagt, dass nur die reichsten und erfolgreichsten Menschen Russlands ein Appartement innerhalb des Gartenrings besitzen. Tatsächlich handelt es sich um das teuerste Viertel in der ohnehin schon teuersten Stadt des Landes.

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3. Moskauer Autobahnring (MKAD)

Länge: 108,9 km

Der Moskauer Autobahnring MKAD umschloss bei seiner Eröffnung im Jahre 1962 ganz Moskau. Heute hat sich die Stadt zwar weit über den Ring hinaus ausgebreitet, der MKAD ist jedoch nach wie vor eine wichtige Verkehrsader. Wenn man von einem Vorort in den anderen möchte, ohne durch das Zentrum zu fahren, lässt er sich kaum vermeiden.

Zudem hat der MKAD auch eine symbolische Bedeutung. Selbst wenn er nicht mehr die Stadtgrenze bildet, gilt er bis heute als Übergang zwischen der Hauptstadt und dem Rest Russlands. Moskauer machen sich über das „mystische Land“, genannt Samkadje („Land außerhalb des MKAD“), lustig, in dem sie dort fremde, unzivilisierte Wildnis vermuten und ironisch fragen (rus), ob es überhaupt Leben außerhalb des MKAD gebe.

Im Gegenzug beschwert man sich im Rest Russlands über angeblich arrogante Hauptstädter. Der Kampf ist endlos, aber es geht zum Glück eher um humoristische Stereotypen als um einen echten Konflikt.

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Bonus: Andere Ringe

Doch es gibt noch viel mehr Ringe. Dazu gehört unter anderem der 35,1 Kilometer lange Dritte Ring, der 2003 autobahnartig ausgebaut wurde und damit die jüngste Moskauer Ringautobahn ist. Dem Bau vorausgegangen war eine intensive Debatte (rus), da nicht jeder mit der notwendigen Verbreiterung von Wohnstraßen einverstanden war.

Ebenfalls eine wichtige, ringförmige Verkehrsader ist die Ringlinie der U-Bahn. Die auf Netzplänen braun dargestellte Linie gehört zu den ältesten U-Bahnlinien der Stadt und verbindet sieben von neun Bahnhöfen sowie zehn andere U-Bahnlinien miteinander. Jede der zwölf Stationen ist eine Perle stalinistischer Architektur.  Siehe auch unsere Liste:

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Erst 2016 entstand der Moskauer Zentralring. Die 54 Kilometer lange S-Bahn verbindet die industriell geprägten Vorstädte.

Momentan wird an der großen Ringlinie der U-Bahn gebaut, die 2022 fertiggestellt werden soll. Es scheint als könnte Moskau nicht genug von Ringen bekommen.

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