Einer der Anwärter für die mir in Russland meistgestellte Frage ist: „Besitzen Sie eine Waffe?"
Das erste Mal, als ich eine Waffe abfeuerte, wollte ich immer und immer wieder damit schießen und sie mit nach Hause nehmen und unter mein Kopfkissen legen, um sie gegen alles zu richten, wovor ich Angst hatte, auch gegen Spinnen.
In Russland kommen auf rund 145 Millionen Einwohner etwas mehr als sechs Millionen Waffen. (Das muss falsch sein, denn in Hollywoodfilmen habe ich schon mindestens sechs Millionen Russen mit beeindruckenden Schießkünsten gesehen, aber lassen wir das.) Diese Zahl ist nichts im Vergleich zu den 393 Millionen Schusswaffen, die im Besitz von 327 Millionen Amerikanern sind.
Ich wollte wissen, wie die Menschen in einem Land über Waffenbesitz denken, das am Ergebnis der Debatte nicht interessiert ist. Die Allgegenwärtigkeit von Waffen in den USA haben zu einer Desensibilisierung geführt, die es in Ländern mit strengeren Richtlinien und ohne eine Flut von Vorurteilen nicht gibt. Wenn ich mit Russen sprach, hörte ich die bekannten gegensätzlichen Argumente. Von liberaler Seite hieß es: „Jeder sollte die Möglichkeit zur Selbstverteidigung haben, aber keine tödliche Waffe.” Die Konservativen sagten: „Warum wollen die Menschen eine Waffe tragen? Weil sie es können. Es ist ein natürliches Recht, das nicht beschränkt werden sollte.”
Maria aus Sankt Petersburg fragte mich: „Die USA sind ein Land der Farmer, oder?” „In manchen Gegenden ist das so. Nicht mehr so extrem wie früher, aber dennoch ist das richtig”, sagte ich. Sie erklärte: „Nun, in Russland finden wir, dass Schusswaffen im Krieg zum Einsatz kommen sollten. Wir haben keine Leidenschaft für Wildwest. Die Amerikaner scheinen ihre Waffen zu brauchen, um sich selbst zu verteidigen. Es könnte sein, dass sie ihre Waffen daher mehr wie ein nützliches Werkzeug betrachten und nicht als etwas Böses.” „In Russland gibt es aber doch auch viele landwirtschaftliche Fläche”, entgegnete ich. „Das stimmt, aber um an diese zu kommen mussten wir nicht erst eine Menge Eingeborene erschießen”, stellte Maria fest.
Im Internet fand ich diese Theorie bestätigt. Die Bundesstaaten, die sich am lautesten gegen ein Waffenkontrollegesetz aussprechen, sind auch die mit den größten Ackerflächen. Ein Paradebeispiel ist Texas, das oft wegen seiner Waffenbesessenheit verspottet wird und zugleich über das meiste Farmland verfügt.
Zu den Themen Suizid durch Schusswaffengebrauch, Amokläufe und Polizeibrutalität hatten die Russen meist diese Meinung: Menschen, die sich umbringen wollen, werden sich selbst töten; Menschen, die viele andere Menschen töten wollen, werden viele Menschen töten. Das Thema ist also nicht einfach.
„Wenn man Städte wie Houston und Chicago vergleicht, kann man erkennen, dass die Ursache für Gewaltverbrechen nicht der Zugang zu Waffen ist. Es muss etwas anderes sein. Ich mache mir eher Sorgen um die Leute, die die Verfassung aufheben wollen, als um die, die von Waffen besessen sind. Das ist in Ordnung, solange sie damit niemandem schaden. Außerdem sterben noch immer mehr Menschen bei Autounfällen als durch Schusswunden. Geschwindigkeitsbegrenzungen in den Städten sind ein viel drängenderes Thema”, schreibt Igor.
„Ich glaube, dass es Leuten, die Waffen kaufen (überall, nicht nur in den USA) um Macht geht. Sie wollen das Gefühl der Kontrolle haben und anderen demonstrieren, dass sie überlegen sind. Oft haben diese Menschen nur wenig Selbstbewusstsein, was sie durch die Waffe ausgleichen wollen und das macht es gefährlich und beunruhigend. Gewehre können, weil sie ziemlich teuer sein können, auch ein Sammelobjekt für Wohlhabende sein, die damit vor ihren Freunden prahlen können. Das hat es schon immer gegeben”, meint Daria.
„Ich glaube nicht, dass sich Russen, die keinen Zugang zu amerikanischen Medien haben, über Schusswaffen Sorgen machen. Wir haben hier kein Problem damit, auch wenn in einigen Köpfen noch der raue Geist der 1990er Jahre herumspukt. Ich sage nicht, dass Russland sicherer ist. Aber wenn wir über bestimmte unsichere Gegenden sprechen, sagen wir, dass man dort vergewaltigt, überfallen oder erstochen werden könnte, aber von erschießen ist nie die Rede”, schreibt Julia.
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