Wie Moskauer Straßenrennen ablaufen

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NIKOLAJ SCHEWTSCHENKO
Verschlossenheit ist die erste Regel des Moskauer Straßenrennsports. Geschwindigkeit die zweite.

Die Luft riecht nach verbranntem Gummi. Zwei getunte Toyota Mark II nähern sich der Startlinie. Die Menge der Fans umgibt die Autos.

Der Moderator macht sich kurz mit jedem Fahrer vertraut und präsentiert ihn der Öffentlichkeit. Dann gehen alle außer einer jungen Frau hinter die Startlinie.  „Bereit?“, fragt sie die Fahrer nacheinander. Beide bestätigen ihre Bereitschaft mit der Lichthupe. Sie streckt sogleich ihre Arme in die Höhe und gibt damit das Startsignal.

Tausende von Fahrern in Moskau nehmen an Straßenrennen teil. Studenten mit ihrem Lada und Jugendliche aus reichem Elternhaus mit ihrem  Porsche oder BMW treffen sich einmal pro Woche, um sich dem Rausch der Geschwindigkeit zu ergeben. Die Mitglieder dieser halblegalen Bruderschaft sind an einem speziellen Aufkleber an der hinteren Stoßstange zu erkennen.

Speedhunter

In der Nacht vor dem Rennen versammeln sich Hunderte von Autos auf den Sperlingsbergen und stellen sich in mehreren Reihen auf – teure ausländische Autos wie auch billige Ladas, die oft bis zur Unkenntlichkeit getunt wurden.

Am Anfang dieser Kolonne stehen zwei riesige Lautsprecher. Zwischen ihnen ist ein Banner der Speedhunters  gespannt. Darauf prangt das Logo dieser informellen Vereinigung der Moskauer Straßenrennfahrer – ein schwarzer Smiley auf orangefarbenem Hintergrund.

Das Sagen hat hier Andrej, und er ist auch eine Art Impresario für die Speedhunters.

„Mit den Bullen haben wir keine Probleme. Die Rennen werden seit 2010, also seit neun Jahren durchgeführt. Und weißt du, was das zu bedeuten hat, dass wir bisher noch nie aufgeflogen sind? Probleme können entstehen, aber man kann sie auch lösen“, erklärt Andrej.

Je weniger die Fahrer jedoch irgendwo in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten, desto besser ist es für die Organisatoren. Der Ruhm kann nicht nur für Zulauf zur Brüderschaft sorgen, sondern auch zu Problemen mit den Stadtverwaltungen.

Ein Meer von Warnblinklichtern

Die Speedhunters sind die letzte Hochburg der Fans von Straßenrennen, hohen Geschwindigkeiten und getunten Motoren in Moskau.

Der Veranstaltungsort der Rennen wird streng geheim gehalten. Alle warten geduldig, hören Musik, rauchen Wasserpfeife direkt aus dem Kofferraum und unterhalten sich miteinander.

Pünktlich um ein Uhr fährt der Wagen des Veranstalters an den geparkten Autos vorbei und gibt ein Signal, ihm zu folgen. Jeder stürmt zu seinem Wagen, setzt sich hinter das Steuer und reiht sich in den Strom ein.

Die Kolonne fährt in zwei oder drei Reihen, wobei die linke Spur für den normalen Verkehr reserviert bleibt. Diese leuchtende Schlange ist sogar noch dann gut sichtbar, wenn sie sich mehrere Kilometer entlang dem Lenin-Prospekt erstreckt. Die Organisatoren fahren stadtauswärts in das Umland.

Eine Viertelmeile

Die schmale Ausfahrt führt zu einer perfekt asphaltierten, breiten Straße. Sie ist für alle geschlossen, außer für die Straßenrennfahrer. Es ist eine klassische Viertelmeile kostenloser, ebener Asphalt. Hier kann man das Gaspedal durchtreten.

Die Organisatoren berappen 500 Rubel pro Auto und Fahrt. Mit einem Rennen können sie, überschlägt man die Zahl der Autos, bis zu 250.000 Rubel (umgerechnet 3.500 Euro) verdienen. Aber die Kosten für die Organisation und Durchführung der Rennen werden geheim gehalten.

Laut einem anonymen Straßenrennfahrer geht der gesamte Gewinn an Go-Go-Tänzerinnen, die Musikanlage, die Organisation der Feuershow und an den „Vertrag“ mit der Verkehrspolizei. Die Zeitung Moskowskij Komsomoljezzitiert (rus) ihn mit den Worten: „Die Organisatoren haben gerade einmal genug Geld für den Sprit übrig“.

Die Streetracer fahren zum abgesperrten Parcours und stellen sich mit ihren Fahrzeugen im Fischgrätenmuster entlang der Straße auf. Es gibt hier so viele Autos, dass wir zur Startlinie noch fünf Minuten laufen müssen. Die Stimmung ist am Kochen.

Eine endlose Reihe von Autos bewegt sich zur Startlinie, die mit Präzisionsmesstechnik ausgestattet ist, um Fehlstarts und ein „Übertreten“ zu erkennen. Die Fahrer können selbst entscheiden, ob der Start durch die Hightech-Anlage oder die bezaubernde junge Dame erfolgen soll.

Auf beiden Seiten der Startlinie verteilt sich das Publikum. Sie können an Ständen Tee und Kaffee kaufen und einige haben sogar einen Grill aufgebaut. Denen, die heute nicht mitfahren, wird Whiskey eingegossen. Beliebte „Streetracer“ werden stürmisch begrüßt – es ist Festtagsstimmung.

„Was für ein Motor? Was für ein Getriebe? Was für ein Antrieb?“ – die Streetracer sind auf der Suche nach einem würdigen Rivalen für ein Rennen. Für den Wettkampf werden etwa gleich starke Wagen gesucht.

„Ich habe bisher an jedem Rennen teilgenommen“, sagt Anton, der mit seinem KIA Rio hier ist. „Es gab dieses Jahr vier Rennen, und alle – mit einer Ausnahme – habe ich gewonnen.“

Es gibt hier keine Wetten, weder von den Fahrern, noch von den Zuschauern. Hier herrscht der Geist des Wettbewerbs und es zählt nur das sportliche Interesse.

Zwei Autos fahren langsam bis zum Start. „Weiter, weiter, weiter – halt!“ – die Organisatoren platzieren die Wagen zentimetergenau. „Bereit?!“ – fragt das „Mädchen“ den ersten Fahrer. Als Antwort blinzen die Scheinwerfer seines Wagens auf. „Bereit?!“ Auch der zweite Fahrer bestätigt, dass er fertig ist. Sie reißt ihre Arme in die Höhe, streckt sie zur Seite und gibt das Startsignal. Mit quietschenden Reifen und röhrenden Motoren schießen die beiden Rivalen zum Horizont.

Am nächsten Tag sind die Streetracer wieder Teil des Moskauer Verkehrschaos. Sie stehen im Stau oder fahren bestenfalls mit den zulässigen 60 km/h durch die Straßen. Und nur durch den Aufkleber auf der hinteren Stoßstange erkennen sie ihre „Brüder“.

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