Wie überleben die Russen, die durch das Coronavirus ihre Arbeit verloren haben?

Am 2. April 2020 erklärte Wladimir Putin den April zum arbeitsfreien Monat unter Beibehaltung des Lohns, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Da die meisten Menschen jedoch zu Hause sitzen, wurden viele Privatunternehmen geschlossen und Einzelunternehmer und Freiberufler bleiben ohne Kunden. Wir sprachen mit den Menschen, die ihre Arbeit verloren haben.

Jewgeni Wolgin, Bauarbeiter

Ich lebe in einer Kleinstadt im Gebiet Tscheljabinsk. Bisher habe ich selbstständig in der Baubranche gearbeitet und war als Einzelunternehmer registriert – ich habe Auftragsreparaturen ausgeführt und verdiente etwa 35.000 Rubel (430 Euro) im Monat, ein normaler Verdienst bei uns.

Wegen des Coronavirus habe ich nun meine Aufträge verloren. Selbst wenn die Leute noch Reparaturen benötigen, warten sie lieber ab, als eine fremde Person ins Haus zu lassen.

Meine Frau hat einen Kredit laufen, aber sie arbeitet zurzeit auch nicht. Heute habe ich mir eine Arbeitslosenbescheinigung besorgt – ich habe Anspruch auf 1.750 Rubel (21,50 Euro) pro Monat.

Insgesamt müssen wir etwa 10.000 Rubel (122,50 Euro) pro Monat [für Kredite] abzahlen. Der Bank ist es egal, wie wir das Geld zurückzahlen – eine Stundung wurde uns verweigert. Aber ich werde den Banken und die Betriebskosten für unsere Wohnung jetzt nicht zahlen – ich war nicht derjenige, der das Selbstisolierungsregime verhängt hat.

Wir haben eine Eigentumswohnung, aber keine Ersparnisse, vielleicht legen wir uns ein Gemüsebeet ein, um irgendwie zu überleben.

Artjom Sikorski, Schweißer

Am 25. März kündigte Wladimir Putin für die Dauer vom 30. März bis zum 5. April eine arbeitsfreie Woche bei vollem Lohnausgleich an. Am nächsten Tag rief uns unser Chef zu sich. Wir erhielten den Rest des Gehalts für März, etwa 10.000 Rubel (122,50 Euro) und wurden alle auf unbestimmte Zeit in den unbezahlten Urlaub geschickt. Das wurde damit begründet, dass wir keine Aufträge und damit keine Arbeit haben.

Offiziell hat mich niemand gefeuert, aber mir wird auf völlig legale Weise kein Geld mehr bezahlt. Ich musste gleich an meinen Kredit denken und eilte zur Bank, um eine Stundung zu beantragen.

Die Bank erteilte mir sofort eine Absage. Ich habe bis jetzt den Banken geschrieben und warte immer noch auf eine Antwort. Aber, wie ein Bankangestellter sagte, ist eine positive Antwort höchst unwahrscheinlich. Schließlich gäbe es eine Menge Leute wie mich und die Bank könne nicht jedem gegenüber Zugeständnisse machen. Offiziell wurde in unserem Land nicht der Notstand ausgerufen – es geht also weiter, als sei nichts Besonderes passiert. Nur dass dabei die Hälfte der Menschen einen Einkommensausfall von mindestens einem Monat hat.

Die Kredite sind mir absolut egal, ich werde schon irgendwie über die Runden kommen. Ich mache mir mehr Sorgen um die Menschen im Renten- oder Vorruhestandsalter.

Ich habe einen Nachbarn, der ist 61 Jahre alt. Er ist noch nicht in Rente (Männer in Russland gehen mit 65 Jahren in Rente – Anm. d. Red.) und hat sein ganzes Leben im Betrieb geschuftet, kann aber nun nicht mehr schwer körperlich arbeiten. Eine Schwerbehinderung wurde ihm nicht zuerkannt. Gestern hat er mich gefragt, wie er überleben könne. Aber ich weiß das auch nicht. Niemand weiß das.

Diana Awetisjan, Verkaufsleiterin

Ich arbeitete als Verkaufsleiterin, verdiente etwa 20.000 Rubel (245 Euro) pro Monat. Für Kasan, wo ich lebe, ist das ein normales Gehalt, es reicht für den Lebensunterhalt.

Seit dem 20. März bin ich arbeitslos. Wegen des geringen Umsatzes wurden wir nach Hause geschickt – wir wurden dazu gedrängt, einen Antrag auf unbezahlten Urlaub zu stellen. Auch das Restgehalt für März wurde uns nicht ausgezahlt. Uns wurde erklärt, das die Kasse leere sei.

Eigentlich sollte das Gehalt für die letzten beiden Märzwochen dazu dienen, den April zu überbrücken – ich wollte mit diesem Geld irgendwie über den Monat kommen. Ich teile mir mit meiner besten Freundin eine Wohnung, die auch bezahlt werden muss. Ich hoffe, der Vermieter gewährt uns einen Aufschub.

Während ich mich aktiv nach einer anderen Stelle umsuche, arbeite ich vielleicht vorübergehend in einem Callcenter.

Anna, Epilier-Meisterin

Seit mehr als zehn Jahren arbeite ich als Einzelunternehmerin in der Beauty-Branche. Ich habe zwei Kinder – eines ist 13 Jahre alt, das andere ist erst vor kurzem vier Jahre alt geworden.

Da ich bei meiner Arbeit unmittelbar mit Menschen zu tun habe, hatte ich in den letzten drei Wochen überhaupt kein Einkommen – null Rubel! Wir sitzen alle in der Selbstisolation, denn ich möchte nicht die Gesundheit von mir und meinen Kindern riskieren.

Aber natürlich müssen wir auch weiterhin unsere Miete bezahlen und den Kredit in Höhe von 200.000 Rubel (2.450 Euro) tilgen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich tun soll. Ich habe es noch rechtzeitig geschafft, Lebensmittel einzukaufen – damit kommen wir zwei Wochen über die Runden. Das Kindergeld ist lächerlich gering und ich weiß nicht, ob mir Arbeitslosengeld gewährt werden wird. Was passiert, wenn die Lebensmittel aufgebraucht sein werden, weiß ich auch nicht.  

Elizabeth, 21, Managerin bei einem Lasertag-Anbieter

Bereits seit Anfang März hatten wir aufgrund der Nachrichten über das Coronavirus immer weniger Kunden. Da unser Gehalt direkt vom Umsatz abhängt, haben einige Mitarbeiter am 10. März gekündigt, da sie erkannt hatten, dass es hier nichts mehr „zu holen“ gäbe.

Bis zum 19. März arbeitete ich in allen Schichten, um meine ausgefallenen Kollegen zu ersetzen – unterm Strich war ich neun Tage hintereinander zwölf Stunden pro Tag ohne freies Wochenende im Einsatz. Am 19. März wurde mir mitgeteilt, dass ich auf unbestimmte Zeit beurlaubt werde.

Mir wurde versprochen, dass ich für März noch ausgezahlt werde, aber wann das sein wird, wurde mir nicht mitgeteilt, da das Unternehmen große Verluste erleidet und bereits seine Ausrüstung verkauft.

Das war noch vor dem Zeitpunkt, als Putin eine Woche Urlaub mit Lohnfortzahlung ankündigte.

Jetzt bin  ich mit meinen Eltern zu Hause und wir leben von ihrer Rente. Ich versuche, eine Teleheimarbeit zu finden, aber bisher hat das nicht geklappt – alle Vorstellungsgespräche wurden verschoben oder sogar abgesagt.

Ich fühle mich zu Hause eingesperrt und warte auf irgendein Wunder, das vielleicht nie eintreten wird.

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