Die neue Situation erfordert neue Lösungen. Wegen der Pandemie haben Bewohner von mehr als einem Dutzend russischer Städte Kundgebungen im virtuellen Raum abgehalten. Sie trafen sich mithilfe der mobilen Dienste Yandex.Navigator und Yandex.Maps. Beide haben eine Konversations-Funktion, mit der eine Marke auf die Karte gesetzt und ein Kommentar dazu geschrieben werden kann.
Normalerweise wird diese Funktion von den Autofahrern genutzt, um sich gegenseitig über Vorfälle im Straßenverkehr zu informieren, aber diesmal war der Grund dafür die Selbstisolation der Bevölkerung.
Die Teilnehmer forderten, entweder eine vollständige Quarantäne mit Verkündigung des Ausnahmezustandes, damit man mit der Haftung des Staates rechnen kann, oder aber die Beschränkungen aufzuheben und die Menschen arbeiten zu lassen. Das restriktive Regime in allen Städten Russlands wird zurzeit als „Selbstisolation“ bezeichnet.
„Die Leute kommen zu der Kundgebung!“ Der Kommentar auf der Karte lautet: „Die Nerven liegen blank“
In Rostow am Don startete die erste Kundgebung. Auf der Karte gab es vor dem Gebäude der Regionalregierung immer mehr Marken mit Protestkommentaren. Dies geschah, nachdem die Behörden der Stadt am 19. April von den Arbeitgebern verlangt hatten, Passierscheine für ihre Angestellten zu beantragen, das Verfahren jedoch schlecht organisiert war: Die Leute konnten telefonisch keinen Termin vereinbaren, da die Leitungen die ganze Zeit besetzt waren, und gingen deshalb alle gleichzeitig zu den Ausgabestellen. So kam es zu Tumulten.
„Rostow am Don. Jetzt.“
In den Yandex-Apps begannen die Kommentatoren über alle Probleme zu sprechen, die sie im Zusammenhang mit der Pandemie haben. „Die Nerven liegen blank“, „Lasst uns arbeiten“, „Wovon soll ich meine Hypothek bezahlen?“ – Solche Kommentare hinterließen die Benutzern.
Dem Protest schlossen sich Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, Krasnojarsk, Saratow, Nischni Nowgorod, Ufa, Tscheboksary, Woronesch und Kasan an. In Moskau wurden Protestkommentare auf dem Roten Platz hinterlassen, aber später erfolgte der „Umzug“ zur Twerskaja-Straße.
Yandex löste die „Kundgebungen“ auf
Als es zu viele Demonstranten wurden, begann der Moderationsdienst von Yandex jedoch, die Kommentare schnell zu entfernen. Die Benutzer verglichen dies mit dem Auseinandertreiben einer nicht autorisierten Kundgebung, von Yandex wurde es als „automatische Moderation“ bezeichnet.
Nachrichten, die sich nicht auf Situationen im Straßenverkehr beziehen oder anzügliches Vokabular enthalten, würden „sofort entfernt“ werden, teilte ein Vertreter des Dienstes Yandex.Navigator der Zeitung Wedomosti mit. „Wenn es zu viele solcher Kommentare gibt, kann die Zeit ihrer Anzeige auf der Karte automatisch verkürzt werden, damit die Navigation nicht behindert wird“, erklärte der Vertreter des Dienstes.
Und was ist dabei herausgekommen?
Bislang war das einzige nennenswerte Ergebnis der virtuellen Treffen die Forderung des Leiters des Gebiets Rostow, Wassilij Golubew, das Verfahren für die Ausstellung der Passierscheine in Rostow zu ändern. Bald wird die Ausstellung per E-Mail durchgeführt werden können.
Auch der Kreml ist auf die virtuellen Proteste aufmerksam geworden. Dmitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten, teilte mit, ihm sei das Geschehen bekannt und er werde die Kommentare der Nutzer bei der weiteren Planung berücksichtigen. „Wir schenken jenen Berichten, in denen die Menschen über ihre Schwierigkeiten und die Gründe für diese Schwierigkeiten sprechen, große Aufmerksamkeit“, versicherte er.
Bei Yandex erklärte man, dass die Konversations-Funktion nicht deaktiviert werden würde, rief aber dazu auf, den Dienst nicht zu einer Plattform für politische Diskussionen zu machen: „Unsere Dienste stehen für jedermann zur Verfügung, deshalb haben wir uns vor mehr als zwanzig Jahren darauf geeinigt, dass Yandex sich aus der Politik heraushält – auf diesem Prinzip basieren unsere Dienste und die Regeln der Moderation.“