Zehntausende religiöser Kultstätten wurden von den Bolschewiki Stein für Stein auseinandergenommen. Einige durften stehen bleiben, wurden aber umgebaut und für gänzlich andere Zwecke genutzt: als Kasernen, Lagerhäuser, Planetarien, Kulturzentren und sogar als Gefängnisse. Einige Kathedralen erfuhren wirklich eine außerordentliche Verfremdung.
Die Kirche der Gottesmutter auf der Wassiljewski-Insel in St. Petersburg wurde 1889 zum Gedenken an die Krönung von Zar Alexander III. erbaut. Ein Teil des Geldes für den Bau stammte aus der kaiserlichen Schatulle, der Rest wurde von Seeleuten gespendet. Die Kathedrale im byzantinischen Stil wurde von der Marine beauftragt. Sie war eine der wichtigsten Seekirchen in St. Petersburg. Leider bestimmte das wohl auch maßgeblich ihr späteres Schicksal.
Der Ruhm der Kirche geht auf die russische Revolution zurück. Sie befand sich im Hafenviertel von Galernaja - einem Gebiet, das von den Landstreichern der Nordhauptstadt („Bosjaki“) frequentiert wurde, den Armen, den ungebildeten Arbeitern oder ehemaligen Bauern. Um die Jahrhundertwende predigte dort der Priester Georgi Gapon. Er war so beliebt, dass jedes Mal zwei- bis dreitausend Menschen zu seinen Predigten strömten und es wären noch mehr gewesen, wenn genug Platz da gewesen wäre. Es war kein anderer als Gapon, der 1905 50.000 Arbeiter versammelte, um friedlich auf den Winterpalast zu marschieren. Dieser Tag ging als „Blutsonntag“ in die Geschichte ein.
Die Kathedrale war nach der Revolution weiterhin geöffnet und schloss erst 1932 ihre Türen, nachdem bekannt geworden war, wer ihren Bau beauftragt hatte.
Damals wurde das Gebäude in eine Ausbildungsstätte für Taucher umgebaut. Schon im folgenden Jahr gab es innerhalb der hohen und stabilen Mauern der ehemaligen Kathedrale eine Druckkammer.
Das 40 Meter tiefe Tauchbecken war das erste derartige Projekt in der gesamten UdSSR. Nur in Großbritannien gab es ein größeres.
Die Schätze und Artefakte der Kirche wurden sofort geplündert, während die Fresken einfach übermalt wurden. Als die Tauchschule geschlossen wurde, zählten Restauratoren zehn Farbschichten.
Die Renovierungsarbeiten begannen nicht vor 2006, als mit der russisch-orthodoxen Kirche Verhandlungen über die Rückgabe des Gebäudes aufgenommen wurden. Die Ausrüstungsgegenstände aus der ehemaligen Tauchschule lagen überall im Gebäude herum verstreut. Nicht viele Menschen hatten den Bau nach der Schließung betreten dürfen.
„Die Wände heruntergekommen, hängende Kabel, ein riesiger Pool mit verrotteten Fliesen, ein tiefes Loch, das vorsichtig mit einer provisorischen Ikonostase abgedeckt worden war“, so lautete die Beschreibung des Inneren im Jahr 2015, als die Restaurierungsarbeiten endlich im Gange waren.
Metalltreppen, die sich durch das Tauchbecken schlängelten, waren das größte Problem. Es gab die Befürchtung, dass ein Rückbau die Gebäudestruktur nachhaltig beschädigen könnte und die Kuppel einstürzen würde. Glücklicherweise konnten die Treppen ohne Schaden anzurichten entfernt werden.
Die Kathedrale wird noch immer restauriert. In einer nahegelegenen Kapelle finden die Gottesdienste statt.
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